Blechtrommel-Wirbel in der Stadthalle
Der Schauspieler Devid Striesow las in Kleve aus dem Roman „Die Blechtrommel“, begleitet von Stefan Weinzierl am Schlagzeug.
Die Konzertlesung zum Roman „Die Blechtrommel“von Günter Grass durch den Schauspieler Devid Striesow und den Musiker Stefan Weinzierl machte den berühmtesten Trommler der Literaturgeschichte, Oskar Matzerath, noch einmal sehr lebendig. Die meisten Zuschauer in der gut besetzten Stadthalle hatten sicher noch Bilder der Verfilmung aus dem Jahr 1979 im Kopf mit dem großartigen Schauspieler David Bennent in der Hauptrolle. Die Lesung aus der Romanvorlage durch Striesow im genialen Zusammenspiel mit Weinzierl an seinem großen Schlag-Instrumentarium war in Ergänzung der Filmbilder ein packendes Hörerlebnis.
Aus dem umfangreichen Roman wurden einige Schlüssel-Passagen gewählt. Zu diesen gehört die Geburt von Oskar, der sich einen „hellhörigen Säugling“nennt, dessen „Entwicklung bereits bei der Geburt völlig abgeschlossen“gewesen sei. Was er als Erstes sieht, sind zwei 60-WattGlühbirnen, die von einem verirrten Nachtfalter angeflogen werden. Zu hören ist die „Trommelorgie“des Falters an die Glühbirne, für Oskar ein prägender Trommel-Moment. Während der Vorleser Striesow den Text vorträgt, eindringlich und bedeutsam, lässt Weinzierl die Trommelorgie des Nachtfalters ertönen. Stimmig begleitet er jede Textstelle, setzt nicht nur das Trommeln um, sondern auch die späteren Ängste, die Empörungen, die Wut und die Lust des Trommlers Oskar. Der Schlagzeuger nutzt Marimbaphon, Vibraphon, singende Saiten, das große Schlagwerk und selbst erfundene Percussion-Instrumente sowie Live-Elektronik.
Die Zuschauer erlebten intensiv Sprache und musikalische Umsetzung gleichzeitig. Sie erlebten wieder neu, wie Oskar auf dem Stockturm
stehend die Fensterscheiben des Theaters zersingt oder wie er unter dem Rednerpult versteckt einen Aufmarsch der Nationalsozialisten in Walzertakt umwandelt. Günter Grass hat mit seinem Text die Leser nicht geschont, hat die Demütigung eines jüdischen Spielwarenhändlers detailgetreu beschrieben wie auch den Tod Alfred Matzeraths, wie er an einem Parteiabzeichen erstickt. Auch diese Szenen waren in der Konzertlesung zu hören und zu ertragen. Sie wurden eingeleitet von einem fulminanten Trommelsolo, das Weinzierl darbot, während er durch die Zuschauerreihen zur Bühne ging.
Der Roman erschien 1959 und beschrieb, wie in den 30er Jahren normale Bürger sich bedenkenlos einer menschenverachtenden Ideologie anschlossen. Oskar hat die Schicksale und Wahrheiten der Menschen gesehen und durch sein Trommeln hörbar gemacht. Der Trommelwirbel der Konzertlesung war eindringlich und unüberhörbar, so auch der Applaus der Zuschauer, die dazu alle aufstanden.