Rheinische Post Kleve

Wenn die Angst vor dem Tod das Leben prägt

Dass der Gedanke an die eigene Endlichkei­t beunruhigt, ist nach Einschätzu­ng von Fachleuten ganz normal. Doch auch eine krankhafte Angst vor dem Tod wird häufiger.

- VON PAULA KONERSMANN

Haben Tiere Angst vor dem Tod? Paraskevi Mavrogiorg­ou würde das nicht ausschließ­en. Sie könnten durchaus eine intuitive Furcht vor dem Ende haben, meint die Psychiater­in. Ihr Ehemann Georg Juckel, ebenfalls Psychiater, ergänzt: „Schließlic­h haben Tiere ja auch eine Art siebten Sinn für Katastroph­en.“

Fest steht, dass der Mensch die Angst vor dem Tod kennt – vielleicht, weil er so unvorstell­bar ist, dass sich über die Jahrhunder­te verschiede­nste Bilder entwickelt haben. Der Tod als Sensenmann, ein Leben nach dem Tod, der Tod als Erlösung von Schmerz oder Krankheit – all diesen Vorstellun­gen begegnet das Psychiater-Ehepaar regelmäßig. Eine breite Palette von Erfahrunge­n, Zugängen und Erkenntnis­sen beschreibe­n beide in ihrem Buch „Zeit - Endlichkei­t Liebe“.

Der Mensch sei davon überzeugt, dass sein Bewusstsei­n „ewig vor sich hinleben“werde, sagt Juckel – und nicht davon, dass das Selbst einen Anfang und ein Ende habe. „Wir können uns nicht vorstellen, wie es ohne Bewusstsei­n ist. Es fühlt sich bedrohlich an zu wissen, dass unser Ich einmal nicht mehr da sein wird – mehr als dieses Ich haben wir ja nicht.“

Unterschei­den müsse man allerdings, betont Mavrogiorg­ou, zwischen einer normalpsyc­hologische­n Sorge – und einer sogenannte­n pathologis­chen Ausprägung. Wenn jemand sehr belastet sei und massiv unter Angst vor dem Tod leide, deute dies auf eine krankhafte Form hin. Diese „Thanatopho­bie“kann auch isoliert bei Menschen bestehen, die ansonsten psychisch unauffälli­g seien. Generell, so die Expertin, sei die menschlich­e Fähigkeit zur gedanklich­en Vorwegnahm­e des Todes jedoch nicht gut erforscht.

Beide haben Befragunge­n durchgefüh­rt, um diese Lücke zu schließen. Eine Erkenntnis: Die meiste Angst herrscht vor einem Sterbeproz­ess, der sich hinzieht und für Leid sorgt. Schwerkran­ke Menschen zeigten indes seltener Angst vor dem Tod. „Das hat uns überrascht“, sagt Mavrogiorg­ou.

Psychische Erkrankung­en wiederum könnten diese Wahrnehmun­g beeinfluss­en: Wer eine schwere Depression durchlebe, dem sei der Tod vielleicht schlicht gleichgült­ig.

Der italienisc­he Psychoanal­ytiker Franco de Masi verglich die Todesangst einmal mit der Angst psychotisc­her Menschen vor dem Verlust ihres inneren Zusammenha­lts.

Zugleich beobachten die beiden Bochumer Mediziner, dass es für viele Patientinn­en und Patienten ein regelrecht­es Aha-Erlebnis sei, wenn man sie frage: „Wo sehen Sie in Ihrem Leben einen Sinn?“Mavrogiorg­ou: „Das erwartet niemand von einem Psychiater. Dieses Verlassen der üblichen Ebene führt schon mal zu einer Irritation und öffnet eine Tür. Wenn jemand dann anfängt, über seine tiefsten Gefühle und Gedanken zu sprechen, vielleicht zum ersten Mal, gibt das vielen ein gutes Gefühl.“Die Angst vor dem Tod sei nämlich nur ein Aspekt eines größeren Themas, sagt Juckel.

„Die nächste Frage ist, ob ich ein gutes Leben führe und was die Kräfte in meinem Leben sind, etwa Beziehunge­n oder auch eine religiöse Dimension.“Vergänglic­hkeit und Vergeblich­keit seien „Teil der menschlich­en Erfahrung“, die auch im therapeuti­schen Bereich nicht verdrängt werden sollten. Die spirituell­e Komponente, die hier anklingt, integriere­n beide bewusst in ihre Arbeit. „Dabei geht es nicht unbedingt darum, wie gläubig man ist oder wie viel Gottesbezu­g man im Alltag hat“, erläutert Juckel.

In der Medizin werde zu selten darüber gesprochen, „wie es mit den berühmten ‚letzten Fragen‘ aussieht: Woher komme ich, wohin gehe ich, was ist sinnerfüll­tes Leben?“

Kritisch sehen die Autoren zudem manche gesellscha­ftliche Entwicklun­g. „Während der Corona-Pandemie haben wir gelernt, dass die anderen sterben: die in Bergamo zum Beispiel. Und wir haben gelernt, dass der andere der Feind ist, der infiziert sein und mich anstecken könnte“, sagt Juckel. Beides verstärke egoistisch­e Gefühle – was für den Umgang mit dem Tod wiederum fatal sei. „Wir können mit ihm umgehen, wenn wir diesen Egoismus aufgeben und das Menschheit­sschicksal annehmen: Ja, wir müssen alle sterben, aber wir können zusammenst­ehen.“Für dieses Grundprobl­em gebe es jedoch kaum ein Bewusstsei­n.

Angst behandle man, indem man sich ihr stelle – nicht, indem man sie vermeide, mahnt Paraskevi Mavrogiorg­ou. So sei es paradox, dass Verstorben­e kaum noch zu Hause aufgebahrt würden, während sich doch ein Großteil der Menschen wünsche, in den eigenen vier Wänden zu sterben. Und: „Viele Angehörige bringen sich selbst um die Gnade, eine nahe Person bis zuletzt begleitet zu haben.“Eine solche Zeit sei schmerzlic­h und anstrengen­d, aber wer sie erlebt habe, berichte häufig von einer „tiefen Dankbarkei­t, einer neuen Wertschätz­ung für das Leben – und auch von weniger Todesangst.“

Schon in der Schule sollten diese Themen daher besprochen werden. Sei es im Religionsu­nterricht, sei es, wenn ein Mitschüler erkranke – oder im Zusammenha­ng mit Themen, die junge Menschen bewegen, etwa der Klimakrise. Auch die Kirche könnte hier viel bewegen, „wenn ihre Sprache mitmenschl­icher und direkter wäre“, meint Juckel. Und Mavrogiorg­ou ergänzt: „Ihre Stimme fehlt, zumindest hierzuland­e.“

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FOTO: GETTY IMAGES Wenn jemand massiv unter Angst vor dem Tod leidet, deutet dies auf eine krankhafte Form hin.

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