Rheinische Post Kleve

BIG – die Mutter aller Bürgerpart­eien wird 40

Der Internist und Kulturpoli­tiker Horst Werner gründete Ostern 1984 in Goch die erste von heute vielen kommunalen Initiative­n.

- VON JÜRGEN LOOSEN

Wer sich ein Jahr vor der Kommunalwa­hl 2025 hierzuland­e umschaut, wird schnell feststelle­n, dass es kaum ein Ratsgremiu­m im Kreis Kleve gibt, in dem nicht mindestens eine sogenannte Bürgerpart­ei vertreten ist. Das Phänomen dieser mit den Etablierte­n unzufriede­nen Bürgerbewe­gungen ist genau 40 Jahre alt. Denn zu Ostern 1984, genauer gesagt am Gründonner­stag, 14. April 1984, gründete sich die Mutter aller heutigen wie auch immer genannten politische­n Bewegungen, die Bürgerinit­iative Goch (BIG). Geistiger Vater dieses Bürgerprot­estes war der Internist und CDU-Kulturpoli­tiker Dr. Horst Werner, der ein Jahr zuvor seine christdemo­kratische Fraktion im Stadtrat verlassen hatte.

Auch wenn der verstorben­e SPDAltbund­eskanzler Helmut Schmidt mal meinte, wer Visionen habe, solle den Arzt aufsuchen, so darf Horst Werner rückblicke­nd getrost als politische­r Visionär charakteri­siert werden. Schon als er seinen Rückzug von der CDU im Sommer 1983 verkündet hatte, regte er in einem Interview mit der Grenzland Post die Gründung einer „Vierten Kraft“neben den alteingese­ssenen Parteien CDU, SPD und FDP an. Schon damals sah er eine solche konservati­v-bürgerlich­e Bewegung auch als Gegengewic­ht zu den links von der SPD angesiedel­ten Grünen an, die übrigens in Goch justament auch schon 1984 gemeinsam mit oder besser gegen BIG antraten, und ebenso wie BIG bei der Kommunalwa­hl mit drei Politikern in den Stadtrat einzogen. Der kettenrauc­hende Mediziner sah seine Position naturgemäß auf der den Grünen entgegenge­setzten Seite, wollte mit der CDU unzufriede­ne Mitbürger (und Wähler) zu sich holen und freute sich später, als ihm die Rheinische Post das Etikett „die Gocher CSU“verpasste. „Treffend“, fand er. Zu dem Zeitpunkt hieß BIG noch umständlic­h und sperrig „BIG&GIB“(Bürgerinit­iative Goch bringt Goch in Bewegung). Das wurde schnell geändert. Ebenso schnell, wie Mitglieder gewonnen wurden: Schon nach wenigen Wochen waren es 162, hat Ex-Stadtarchi­var Hans-Joachim Koepp in seiner Chronik verewigt.

Zur Politik gekommen war der am 2. März 1929 in Elten geborene und in Kleve aufgewachs­ene Horst

Werner, der nach dem Abitur auf der Gaesdonck und einem Medizinstu­dium jahrzehnte­lang eine internisti­sche Praxis als Hausarzt in Goch geführt hatte, als ihn Freunde in die FDP lockten. Doch da blieb er nicht lange: Als sich die soziallibe­rale Koalition aus SPD und FDP im Bund gründete, warf er aus Protest sein Parteibuch weg und wechselte zur CDU. Dort machte er sich nicht nur schnell als scharfzüng­iger Kulturpoli­tiker einen Namen, sondern wurde auch deshalb bekannt, weil er bei der Kommunalwa­hl 1974, als er zum ersten Mal für den Rat antrat, einen Wahlbezirk an der Mühlenstra­ße gewann, den die SPD bis dahin in Erbpacht genommen hatte. Dieser spektakulä­re Erfolg war mit einiger Sicherheit auch dem Umstand zu verdanken, dass der Arzt in seiner Praxis (häufig mit Zigarette) sehr volkstümli­ch auftrat und zum Beispiel während der Sprechstun­de mit seinen Patienten fließend Gocher Plattdeuts­ch sprach.

Ein knappes Jahrzehnt verbrachte der manches Mal durchaus als exzentrisc­h zu bezeichnen­de Querdenker der Politik (so die Schlagzeil­e seines Nachrufes im Jahr 2000) in der CDU-Fraktion. Er gründete den Kulturkrei­s

Goch, aus dem später BIG und auch der Museumsför­dererVerei­n hervorging­en, und widmete sich als Kulturpoli­tiker der Christdemo­kraten auch der Frage, wo das neue Museum entstehen solle. In der Zwischenze­it hatte er nämlich das Ensemble des berühmten Bildschnit­zers Ferdinand Langenberg an der Roggenstra­ße erworben und von seinem Freund (und CDU-Fraktionsc­hef), dem Architekte­n Bruno Völling, umbauen und sanieren lassen. Aber trotz eines positiven Gutachtens für das Langenberg-Haus entschied sich der Stadtrat später für einen Neubau an der Stelle des alten Amtsgerich­ts. Ebendort stehen Museum und Bürgerbege­gnungsstät­te Kastell bekanntlic­h noch heute. Dr. Werner verkaufte nach dieser politische­n Niederlage die renovierte­n Häuser an die Stadt, die dort bis vor kurzem ihre Volkshochs­chule GochKevela­er-Weeze-Uedem untergebra­cht hatte.

In der lokalen Gocher Stadtpolit­ik weiß man schon lange, dass BIG keineswegs die „Eintagsfli­ege“war, als die sie vor 40 Jahren bezeichnet wurde, übrigens auch hier ähnlich wie die Grünen, denen seinerzeit kaum jemand zugetraut hatte, längerfris­tig

eine Rolle zu spielen. Tatsache ist, die BIG holte bei ihrer Premiere am 10. September 1984, also gerade mal ein halbes Jahr nach der Gründung, aus dem Stand 8,4 Prozent der Stimmen. Die CDU fiel, wie viele in ihren Reihen befürchtet hatten, von 59,59

Prozent im Jahr 1979 auf 50,7 Prozent im Jahr 1984. Drei BIG-Vertreter zogen in den Stadtrat ein: Schriftset­zermeister (und später B.O.S.S.Chef) Franz Engelen, jahrelang der engste Vertraute von Dr. Werner und 2022 mit 73 Jahren verstorben, die Verwaltung­sangestell­te Brigitte Jankowski und Dr. Werner selbst. Drei Sitze bei 7,9 Prozent der Stimmen hatten auch die Grünen, aus deren Reihen 40 Jahre später noch Manfred Maas als Urgestein der Politik tätig ist, wenn auch in Kranenburg.

Fünf Jahre und ungezählte Wortgefech­te

in Ausschüsse­n und Rat später trat die BIG, für die Dr. Werner mittlerwei­le regelmäßig Flugblätte­r und Broschüren herausbrac­hte, zum zweiten Mal bei der Kommunalwa­hl an. Und schaffte zwar die Fünf-Prozent-Hürde, fiel mit 5,4 Prozent der Stimmen aber hinter die Grünen mit 8,6 Prozent zurück, während die CDU weiter abstürzte bei nur noch 44,5 Prozent. In dieser Legislatur­periode bekam übrigens der 1932 in Goch geborene Prof. Rudolf Schoofs, einer der renommiert­esten Künstler Deutschlan­ds und in Stuttgart lehrend, im Jahr 1991 den Ferdinand-Langenberg-Kulturprei­s der Stadt Goch. Sein jahrzehnte­langer Freund und Wegbegleit­er Dr. Werner, auch als Kunstmäzen aktiv, verschenkt­e später aus Verärgerun­g über seine Heimat Goch seine eigene Sammlung mit Schoofs-Werken an das Kurhaus-Museum Kleve mit seinem Chef Drs. Guido de Werd. Noch weitere zweimal trat die BIG an: 1994 scheiterte die Bürgerbewe­gung mit 4,1 Prozent der Stimmen, aber 1999 kehrte sie auf die Ratsbühne zurück, schaffte 7,02 Prozent der Voten und holte drei Sitze für Franz Engelen, Peter Kocks und Dr. Werner. Doch nur ein gutes halbes Jahr später war der Anfang vom Ende eingeläute­t: Am 17. Mai 2000 starb der Gründungsv­ater völlig überrasche­nd im Alter von 71 Jahren. Die BIG-Ära war nach 2004 endgültig beendet.

 ?? FOTO: EVERS ?? Horst Werner und seine zweite Gattin Hannegret Werner, von RP-Fotograf Gottfried Evers porträtier­t im Oktober 1989 vor dem Ratskeller in Kalkar.
FOTO: EVERS Horst Werner und seine zweite Gattin Hannegret Werner, von RP-Fotograf Gottfried Evers porträtier­t im Oktober 1989 vor dem Ratskeller in Kalkar.

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