„Viele pöbeln offen mit Klarnamen“
Die Bundesfamilienministerin über Hass im Netz, Schutz vor Cybermobbing und das Demokratiefördergesetz.
Frau Ministerin, eines Ihrer wichtigsten Themen ist Hass im Netz. Wie und aus welcher Richtung sind Sie zuletzt beleidigt worden?
Ehrlich gesagt, verdränge ich das. Aber es passiert im Netz in der ganzen Bandbreite. Da kommen sexuelle Gewaltfantasien bis hin zu „Dich sollte man aufhängen“. Ich bin auch schon als Faschistin beschimpft worden. Erst letzte Woche habe ich wieder Strafanzeige gestellt.
Schockiert Sie das, oder haben Sie gelernt, damit umzugehen?
Das reine Kübeln berührt mich nicht mehr. Ich bin in die Politik gegangen, um etwas zu bewegen. Aber es ärgert mich, wenn es nicht um inhaltliche Argumente geht, wenn es persönlich wird und ich auf blöde Kuh oder blonde Tussi reduziert werde.
Glauben Sie, es bewirkt etwas, wenn Sie Pöbler anzeigen?
Viele pöbeln offen mit Klarnamen und gehen damit das Risiko einer Anzeige ein. Vielleicht beeindruckt das viele tatsächlich nicht. Aber wenn man nichts dagegen tut, ändert sich im Bewusstsein dieser Menschen nichts.
Trotzdem fühlen sich viele Betroffene hilflos…
Deshalb ist es gut, dass das Bundesjustizministerium an einem Gesetzentwurf gegen digitale Gewalt arbeitet, wo sie unter anderem Auskunft über die Täter bekommen und im Zweifel auch deren Accounts sperren lassen können. Wichtig ist, dass sich Menschen nicht aus dem Netz zurückziehen.
Doch nirgendwo entlädt sich Hass derart ungefiltert wie im Netz. Sind wir da sozusagen noch im Wilden Westen?
Wir stehen bei der Regulierung erst am Anfang. Seit dem 17. Februar nimmt das Gesetz über digitale Dienste die Internetplattformen in die Pflicht. Sie müssen Hass, Hetze und Fake News so schnell wie möglich löschen. Es gilt für X, Instagram, Tiktok und Co.: Wo besonders getriggert wird, wo aggressives Verhalten und Falschinformationen häufig sind, müssen sie handeln. Ansonsten wird es teuer.
Das funktioniert aber nicht. Erst kürzlich waren Videos des Terrorangriffs nahe Moskau überall im Netz. Wie lange müssen wir noch warten, bis Kinder solche Clips nicht mehr so einfach sehen können?
Wir stärken die Prävention. Allerdings erreichen wir damit noch nicht genügend Menschen. Auch ich kannte, bevor ich Ministerin wurde, nicht alle Initiativen wie beispielsweise „Schau hin, was dein Kind mit Medien macht“. Solche Angebote wollen wir breit zugänglich machen.
Da spielen die Schulen eine wichtige Rolle.
Bei den rechtlichen Möglichkeiten nannten Sie vorhin das Justizministerium und die EU. Was kann Ihr Ministerium da machen?
Wir arbeiten daran, dass Plattformanbieter Schutzmaßnahmen im Netz treffen, mit effektiven Meldesystemen und unabhängigen Hilfeangeboten. Außerdem haben wir bei der Alterseinstufung für Onlinespiele nachgeschärft. Anders als früher wird heute nicht mehr nur auf den Spieleinhalt geschaut, sondern auch auf Interaktionsrisiken, wie Cybergrooming, also wenn Erwachsene versuchen, über Chats sexuelle
INFO
Seit 1995 Mitglied bei den Grünen
Persönlich Lisa Paus (55) ist in Niedersachsen aufgewachsen. Als Jugendliche war sie dort Landesmeisterin im Schwimmen, später studierte sie in Berlin Volkswirtschaftslehre und Politikwissenschaft an der Freien Universität.
Politik 1995 wurde sie Mitglied der Grünen und zog 2009 für die Partei in den Bundestag ein, wo sie sich als Finanzexpertin einen Namen machte. Im April 2022 trat sie die Nachfolge von Kurzzeit-Familienministerin und Parteifreundin Anne Spiegel an.