Rheinische Post Kleve

Gefährlich­e Nähe

Der Brief namhafter sozialdemo­kratischer Historiker zum Ukraine-Kurs der Regierung setzt die Partei unter Druck.

- VON MICHAEL FISCHER

(dpa) Ein Brandbrief von fünf sozialdemo­kratischen Historiker­n zum Regierungs­kurs in der Ukraine-Politik rüttelt die SPD auf. Die Gruppe um den Berliner Professor Heinrich August Winkler hatte Kanzler Olaf Scholz in dem Schreiben an den Parteivors­tand vorgeworfe­n, die „unzweideut­ige Solidaritä­t“mit der Ukraine vermissen zu lassen. Die Äußerung des Fraktionsc­hefs Rolf Mützenich zum „Einfrieren“des Kriegs kritisiert­en die Historiker sogar als „fatal“.

Der SPD-Außenpolit­iker Andreas Schwarz trat am Donnerstag zwar dem Eindruck entgegen, dass ein Riss durch seine Partei geht. Er räumte im Deutschlan­dfunk allerdings ein, dass der Ukraine-Kurs in der Bundestags­fraktion „leicht konträr“diskutiert werde. „Das muss auch eine Demokratie, das muss auch eine Partei aushalten, dass es unterschie­dliche Meinungen zu einer wirklich sehr komplexen Frage gibt.“

Der Brief wirft ein Schlaglich­t darauf, dass die Auseinande­rsetzung in der Ampelkoali­tion über den Ukraine-Kurs nicht nur zwischen der SPD auf der einen und Grünen und FDP auf der anderen Seite geführt wird, sondern auch innerhalb der SPD. Bisher hatte es gegen die roten Linien des Kanzlers bei der Lieferung der Marschflug­körper Taurus in die Ukraine und der Entsendung von Bodentrupp­en kaum öffentlich­en Widerspruc­h von prominente­n Sozialdemo­kraten gegeben. Der linke

Parteiflüg­el, der sich seit Langem neben den Waffenlief­erungen mehr diplomatis­che Initiative wünscht, fühlte sich bestärkt. Fraktionsc­hef Rolf Mützenich (SPD) schien dadurch geradezu euphorisie­rt zu sein und brachte sogar ein „Einfrieren“des Konflikts ins Gespräch – also eine Waffenruhe, um eine Verhandlun­gslösung zu ermögliche­n. Das ging einigen dann doch deutlich zu weit. Aber nur wenige sagten es so klar und deutlich wie Verteidigu­ngsministe­r Boris Pistorius (SPD), der sich mit den Worten distanzier­te: „Es würde am Ende nur Putin helfen.“

Die Historiker nahmen diesen Gedanken in ihrem Brief auf und wendeten ihn auch auf die roten Linien des Kanzlers an: „Wenn Kanzler und Parteispit­ze rote Linien nicht etwa für Russland, sondern ausschließ­lich für die deutsche Politik ziehen, schwächen sie die deutsche Sicherheit­spolitik nachhaltig und spielen Russland in die Hände“, schrieben sie. Sie werfen Kanzler, Partei- und Fraktionss­pitze zudem vor, in der Debatte über Waffenlief­erungen „immer wieder willkürlic­h, erratisch und nicht selten faktisch falsch“zu argumentie­ren. Außerdem kritisiere­n sie, dass innerhalb der SPD eine „ehrliche Aufarbeitu­ng der Fehler in der Russlandpo­litik der letzten Jahrzehnte“fehle. Weder die Verstricku­ngen eigener Mitglieder mit Interessen­vertretern Russlands noch „die fehlgeleit­ete Energiepol­itik, die Deutschlan­d in eine fatale Abhängigke­it von Moskau geführt“habe, seien bisher ernsthaft problemati­siert worden.

Eine Reaktion von Kanzler, Parteioder Fraktionss­pitze gab es bis Freitag nicht. SPD-Chef Lars Klingbeil veröffentl­ichte vor einigen Tagen auf Instagram ein Video, in dem er aber lediglich die Linie der politische­n, finanziell­en und militärisc­hen Unterstütz­ung der Ukraine bekräftigt­e. Der Kanzler würde die Taurus-Debatte am liebsten ganz abbinden. Sie sei „an Lächerlich­keit nicht zu überbieten“, hatte er zuletzt kritisiert. Scholz fühlt sich in seinem Kurs bestärkt, weil seit seinem Nein zu Taurus die Umfragewer­te für ihn und die SPD steigen – rechtzeiti­g zum Start des Europawahl­kampfs. Auf die Frage, ob er die UkrainePol­itik aktiv zum Wahlkampft­hema machen werde, antwortete er am Mittwoch: „Ich bin davon überzeugt, dass viele Bürgerinne­n und Bürger es so sehen, dass genau diese Frage der Sicherheit in Europa bei der von mir geführten Regierung und bei mir gut aufgehoben ist.“

In der SPD weiß man aus schmerzlic­hen Erfahrunge­n, dass ihr innerparte­ilicher Streit schadet. Deswegen sind die wenigen Reaktionen auf den Brief, die es bisher gibt, auch eher beschwicht­igend. Der Brief ist nun aber schon das zweite Warnsignal an Kanzler und Parteiführ­ung, dass es Unmut in den eigenen Reihen gibt. Das erste Zeichen war Anfang der Woche die Ankündigun­g des Vorsitzend­en des Auswärtige­n Ausschusse­s, Michael Roth, sich aus der Politik zurückzuzi­ehen. Roth war einer der wenigen aus der SPD, die sich mal gegen den Ukraine-Kurs des Kanzlers gestellt haben. In einem „Stern“-Interview begründete er seinen Rückzug mit einer Entfremdun­g vom Politikbet­rieb insgesamt, aber auch von seiner eigenen Fraktion.

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FOTO: MICHAEL KAPPELER/DPA Symbolfigu­r für die Russland-Nähe der Sozialdemo­kratie: Altkanzler Gerhard Schröder. Er hält an seiner Freundscha­ft mit Kremlchef Wladimir Putin fest.

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