Rheinische Post Kleve

Sternekoch wider Willen

Jahrelang führte Vincent Moissonnie­r Kölns bestes Restaurant. Dann gab er aus freien Stücken zwei Michelin-Sterne ab und betreibt nun ein Bistro. Das wurde jetzt aber auch ausgezeich­net. Der Gastronom hätte gern darauf verzichtet.

- VON CLAUDIA HAUSER

Als vor wenigen Tagen die Michelin-Sterne in der Hamburger Handelskam­mer vergeben wurden und komplette Restaurant-Teams dies gebannt via Livestream verfolgten, saß der Kölner Gastronom Vincent Moissonnie­r mit seiner Ehefrau Liliane und einer guten Freundin im japanische­n Restaurant Kintaro. Es ist ihm wichtig, den Namen des Restaurant­s zu nennen, „unprätenti­ös, sensatione­lle japanische Qualität“, sagt Moissonnie­r. Während in Hamburg verkündet wurde, dass sein Bistro Le Moissonnie­r zu den frisch gekürten Ein-Sterne-Restaurant­s gehört, genoss der 63-Jährige seinen freien Abend. „Wir haben ein Glas Wein getrunken und unter anderem über meine große Liebe zu meiner Frau gesprochen“, sagt er: „Vielleicht haben wir ein Glas Wein zu viel getrunken, aber auch das ist erlaubt.“

Nun hat der Mann, der im vergangene­n Jahr freiwillig zwei der begehrten Michelin-Sterne abgegeben hat, weil er den Restaurant­betrieb im Sommer in der alten Form einstellte, also wieder einen Stern. „Natürlich habe ich meiner Mannschaft gratuliert, aber auch mein Koch Eric Menchon meinte: Gib das Ding zurück“, erzählt Moissonnie­r und lacht. Moissonnie­r, seine Frau Liliane und Küchenchef Menchon wollen nicht undankbar erscheinen, sie sind nur vollkommen zufrieden mit ihrem französisc­hen Bistro im Agnesviert­el, das sie im Herbst 2023 eröffnet haben. Es ist von dienstags bis freitags geöffnet, spätestens um 17 Uhr ist Feierabend.

Moissonnie­r hat sich für einen Bistrobetr­ieb entschiede­n, weil er nach 36 Jahren nicht mehr so weiterarbe­iten wollte wie vorher. Nie ein freier Abend, kaum Privatlebe­n, Moissonnie­r fühlte sich ausgebrann­t. 15 Mal in Folge war das Le Moissonnie­r zuvor konstant mit zwei Michelin-Sternen bedacht worden und war das am höchsten dekorierte Restaurant Kölns. Und so wurde auch das Bistro schnell ein

Erfolg – und der Michelin-Führer nahm es in seine Liste auf.

Dabei hatte Vincent Moissonnie­r sich sogar mit einer langen E-Mail an den Guide Michelin gewandt. „Ich habe die Chefredakt­ion angeschrie­ben und darum gebeten, zu respektier­en, dass wir keinen Stern möchten, auch aus gesundheit­lichen Gründen“, sagt er: „Ich habe mir gewünscht, dass sie sich um die jüngere Generation kümmern, die brauchen das dringend – für uns ist es kein Ziel mehr.“Er betonte, dass er die Arbeit des Guides schätze, weil er gut und neutral arbeite. „Aber wir haben uns verabschie­det, die Sterne-Gastro ist nicht mehr unsere Welt“, sagt er.

Doch was ist so schlimm daran, mit einem Michelin-Stern ausgezeich­net zu werden? Moissonnie­r muss nicht lange überlegen. „Was mich beunruhigt: Die Nörgler werden jetzt wiederkomm­en. Menschen, die rausgehen und im Internet auf Bewertungs­portalen haarklein beschreibe­n, was ihnen alles nicht gepasst hat.“Mit seiner Mannschaft – sechs Angestellt­e und ein Auszubilde­nder – will Moissonnie­r das Bistro so weiterführ­en, wie es läuft. Und es gibt einen deutschlan­dweiten Lieferserv­ice. „Wir haben jeden Mittag 80 Gäste in drei Schichten“, sagt er. Einige Gäste kämen am späten Nachmittag, „sie verbinden dadurch Mittag- und Abendessen und können abends entspannt Fernsehen schauen“.

Moissonnie­r ist davon überzeugt, dass sich der Gastronom dem Wunsch des Kunden anpassen muss, um Erfolg zu haben. „Nur abends zu öffnen und ausschließ­lich Menüs anzubieten – damit fährt man gegen die Wand“, sagt er. Er hatte immer schon auch tagsüber geöffnet. „Stellen wir uns ein älteres Pärchen vor, 70 Jahre alt, und sie sollen abends acht Gänge essen, das ist alles zu viel“, sagt er: „Man sollte seinen Gästen immer die Wahl lassen. Mein Schlüssel zum Erfolg: Geh auf deine Gäste zu und versuche, entspannt zu bleiben.“

Die Michelin-Sterne sollten seiner Meinung nach andere bekommen: „Junge Kolleginne­n und Kollegen, die viel bewegen, intelligen­t arbeiten und Jahr für Jahr auf diese Anerkennun­g warten.“Die Sterne-Gastro, das sei nicht mehr seine Welt, sagt er. „Ich bin abends um 17 Uhr zu Hause, das ist auch wichtig. Sehr sogar.“

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FOTO: HENRIK FORSAT Vincent und Liliane Moissonnie­r in ihrem Bistro in Köln.

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