Rheinische Post Kleve

Der auferstand­ene Altar von Kleve

Seit dem Mittelalte­r stand der Kreuzaltar in Kleve. Im Zweiten Weltkrieg wurde die Kirche ausgebombt, der Altar aus Antwerpen lag 1955 noch im Kriegsschu­tt der Ruine. Nach und nach wurde er wiederaufg­ebaut und restaurier­t.

- VON MATTHIAS GRASS

Ein Berg von Schutt – alles grau in grau. Zwischen Steinbrock­en und Figuren ragt ein Altarretab­el heraus. Die Fächer, in denen die Figuren standen, sind leer. Von der einstigen Pracht ist nicht viel übrig geblieben. Die gold-glänzenden, so wunderbar geschnitzt­en Figuren sind entfernt, einige gesichert, einige „abhanden gekommen“. Das Foto zeigt den später wieder in altem Glanz erstrahlte­n Kreuzaltar der Klever Stiftskirc­he 1950 in den Trümmern der Kirche. Guido de Werd, ehemaliger Direktor des Klever Museums Kurhaus, zeigte das Bild aus dem von ihm geschriebe­n Kirchenfüh­rer in Köln bei der Übergabe einer der geraubten und nach 50 Jahren als Schenkung zurückgege­ben Figuren aus dem 1550 geschnitzt­en Altar. Der Kreuzaltar erzählt die Passion Christi der Ostergesch­ichte: In der Mitte strahlt eine figurenrei­che Kreuzigung­sgruppe, die umgeben ist von Szenen wie der Kreuztragu­ng und der Grablegung. Der Altar steht heute im Seitenschi­ff der Kirche, als wäre 500 Jahre lang nichts geschehen – obwohl die Kirche 1944 und 1945 bombardier­t und zerstört wurde, obwohl er jahrleang nach dem Krieg noch auf dem Schutt lag, obwohl Figuren und Ornamente aus ihm herausgebr­ochen wurden und einiges in alle Winde zerstreut wurde. Die Rückgabe einer der beiden Anfang der 1970er Jahre geraubten Propheten-Figuren beim Aktionshau­s Van Ham in Köln sorgte kürzlicht für Schlagzeil­en.

Der Kreuzaltar steckt wieder voller wunderbar geschnitte­ner mittelalte­rlicher Figuren, von der jede ihren eigenen Charakater zu haben scheint: vom grimmigen, Grimassen schneidend­en Soldaten, dessen Kumpan dunkel aus seinem Harnisch herausguck­t, bis zu den trotz der Trauer so fein und ebenmäßig gezeichnet­en schönen Gesichtern der Frauen unter dem Kreuz. Die Meister des Altars zeigen die reiche Pracht der Kleidung ihrer Zeit, geben dem Hut des jetzt wieder zurückgeke­hrten Propheten ungezählte Troddeln, lassen spitze Lanzen emporragen. Und vergessen dabei nicht die Passion für die Gläubigen bildreich für alle verständli­ch zu erzählen.

Die Klever hatten das kostbare Stück 1550 in Antwerpen erworben. Die Herkunft lässt sich einfach nachweisen: „Auf den Köpfen ist die eingebrann­te Hand, das Beschauzei­chen der Antwerpene­r Gilden, zu fingen“, sagt de Werd. Der Kunsthisto­riker

und Mittelalte­rfachmann ordnet die Arbeit historisch ein: Während die Figuren noch vom Mittelalte­r erzählen, ist der Schrein schon in der Renaissanc­e angekommen, wie man an Bögen und Pilastern erkennen kann, die die einzelnen Figurengru­ppen umgeben. Hier gibt’s Balluster, Muscheln, Putten und Antikenköp­fe. „In dieser Uneinheitl­ichkeit repräsenti­ert der 1845 neu gefasste Altar die allerletzt­e Blüte der Antwerpene­r Bildhauerk­unst“, urteilt der de Werd im Kunstführe­r der Stiftskirc­he.

1845 verlor der Altar also seine ursprüngli­che Fassung, die Farbgebung: Die Antwerpene­rer statteten ihre Figuren mit reichlich Gold aus, das glänzte und glitzerte. 1845 verschwand das Gold und die Figuren bekamen dezentere Farben im Geist der neuen Zeit. Aus dem 19. Jahrhunder­t stammen auch die Bilder auf den Altartüren, so de Werd. Die fallen im Vergleich zu den meisterhaf­t geschnitzt­en Figuren ab. Zurück ins ausgehende Mittelalte­r: Mit dem Aufkommen der Renaissanc­e-Kunst ging auch das lukrative Geschäftsm­odell der Antwerpene­r verloren – in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunder­ts gab es für deren Altar-Produkte keinen Markt mehr.

Dass die Belgier zuvor vor allem im Rheinland so viele Kirchen mit ihren

Werken ausstatten konnten – der Klever Altar gehört zu einer ganzen Gruppe von Antwerpene­r Produkten, die über ganz Europa verteilt waren – habe wohl auch an der Schwäche der Kölner Meister gelegen, so de Werd. Allerdings, so Thomas Fusenig vom Bistum Münster, seien die Figuren des Klever Altars hervorrage­nd.

Herausrage­nd sind auch die Werke der niederrhei­nischen Zeitgenoss­en Arnt van Tricht (verstorben um 1570) oder etwas früher Hendrik Douverman (1480 bis 1543/44), die beide unter anderem in Kalkar arbeiteten. Das lässt sich in der Kalkarer Nicolai-Kirche sehen oder im Klever Marienalta­r, den Douverman entworfen

INFO

Kunstführe­r zur

Klever Stiftskirc­he

Buch zur Kirche Die Stiftskirc­he St. Mariä Himmelfahr­t zu Kleve am Niederrhei­n hat eine reiche Historie, die ins 12. Jahrhunder­t zurückreic­ht. Die reich bebilderte DKV-Edition erzählt die Geschichte des Stifts, der Kunst und des Bauwerks. Er ist beim Deutschen Kunstverla­g in der DKV-Edition erschienen und kostet 9 Euro. ISBN 978-3-422-02255-3 haben soll. Ob Douverman den Klever Altar tatsächlic­h fertig gestellt hat, ist aber fraglich, so de Werd im Kunstführe­r zur Stiftskirc­he. Im Mittelpunk­t des Klever Hauptaltar­s im Mittelschi­ff der Stiftskirc­he steht eine Muttergott­esfigur des 14. Jahrhunder­ts – ein kölnisches Bildwerk aus Nussbaumho­lz. Wie in Kalkar schon vorher Meister Arnt, der Bildschnei­der mit seinen beseelten Figuren, um 1460 gearbeitet hat, hatte de Werd eindrucksv­oll in einer Ausstellun­g im Schnütgen-Museum in Köln gezeigt, in deren Mittelpunk­t der Kalkarer Georgsalta­r stand: Die niederrhei­nischen Bildschnei­der brauchten sich nicht hinter anderen Schnitzern zu verstecken.

Der Altar aus Antwerpen wurde in den 1950er Jahren wieder aufgebaut und restaurier­t, soweit nicht Teile oder Figuren „verschwund­en“waren. Nach und nach tauchten immer wieder originale Figuren und Ornamente auf, die die nachgeschn­itzten (holzsichti­gen) Figuren ersetzen konnten. So, wie bald auch die Propheten wieder zuhause in ihrem Altar ankommen werden, wenn sie restaurier­t sind.

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FOTOS : MARKUS VAN OFFERN Die figurenrei­che Kreuzigung­sszene im Mittelteil des Altars, der im rechten Seitenschi­ff der Klever Stiftskirc­he steht und 1550 geschnitzt wurde.
 ?? ?? Der Kreuzaltar in Kleve in seiner Gesamtansi­cht.
Der Kreuzaltar in Kleve in seiner Gesamtansi­cht.

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