Muss die Tochter (4) aussagen?
Tötung im Sommer in Elten. Die Tochter des Opfers spricht immer noch von der Tat. Sachverständige geht vor dem Landgericht in Siegen auf die Aussagekraft ein.
EMMERICH-ELTEN/SIEGEN Wenn es irgendwie geht, möchte es die 1. Große Strafkammer der Kleinen ersparen, vor Gericht auszusagen. Schon seit Beginn des Verfahrens vor dem Siegener Landgericht geht es um das Kind, das wohl dabei war und mitangesehen hat, wie der Vater, zur Tatzeit 23 Jahre alt, die gleichaltrige Mutter brutal ermordet haben soll; am frühen Morgen des 14. August 2023, auf einem Waldweg in Emmerich-Elten. Zusammen mit einem Zeugen, der bei der Fahrt dabei war, ging es danach zurück ins Siegerland, wo das Kind und seine kleine Schwester, damals wenige Wochen alt, bei den Großeltern vor der Haustür in Dreis-Tiefenbach abgeliefert wurden.
Dort erzählte die Kleine, was passiert sei. Auch der Polizei gegenüber. Und auch sonst, sagt ihre Vormundin vom Kreisjugendamt im Zeugenstand: Immer wieder fange sie davon an, von sich aus. „Papa hat die Mama totgemacht. Papa ist böse.“Der Prozess dreht sich auch um die Frage: Was ist die Aussage eines Kleinkindes in diesem Fall juristisch wert? Kann, darf sie aussagen? Denn sie ist nicht nur Augenzeugin, sondern auch Tochter des Angeklagten. Hätte also ein Zeugnisverweigerungsrecht. Aber versteht sie das überhaupt?
Grundsätzlich geht es auch vor Gericht, auch bei solch blutigen Taten, zuerst um das Kindeswohl. Die Vormundin trifft eine eindeutige Entscheidung: Die beiden Töchter des Opfers leben inzwischen bei ihrer Großmutter, es gehe ihnen den Umständen entsprechend gut. Die Ältere kann und könnte aussagen, habe die Ereignisse „sehr präsent“, erzähle von sich aus und zeige an ihrem eigenen Körper an, wie Papa Mama getötet habe. Aber ihrem Wohl sei das „in dieser Runde nicht förderlich“, sagt die Pädagogin. Es würde die Kleine ihrer Einschätzung nach sehr belasten.
Es wird deutlich, wie kompliziert die Situation auch juristisch ist. Und wie traurig. Die Kleine sei ein offenes, mitteilungsbereites Kind, sagt die Sachverständige, die sich
als Psychologin, Kriminologin und Defizite in ihrer eigenen Sprachentwicklung Pädagogin vorstellt. habe. Sie spreche vorwiegend
Das Kind habe grundsätzlich ein in Ein-Wort-Sätzen, zeige robustes Wesen, sei zugänglich und und demonstriere viel. Sie könne bereit, Informationen zu geben. sprachlich nicht uneingeschränkt Die Konzentration und den Fokus darstellen, was sie möchte. für eine Zeugenrolle könne sie aber Sie erfülle zwar nicht die Voraussetzungen
nd ihrem Alter gemäß nicht durchhalten. für eine Aussagefähigkeit, Phasenweise könne sie berichten, gleichwohl seien die Angaben des was passiert ist, aber Kinder in Mädchens, das immer wieder ähnliche diesem Alter haben auch Spaß am Sätze zum Tatgeschehen äußere, Erzählen, oft komme die Fantasieebene konstant. Was sie schlaglichtartig dazu, außerdem eine gewisse erzählt habe und nach wie vor Beeinflussbarkeit: Wird in Fragen immer wieder erzähle – Auto, Wald, eine mögliche Antwort mitgeliefert nicht aussteigen, Mutter auf Boden, („Hatte nur Papa das Messer?“), wegfahren – habe sich anhand anderer neigten sie dazu, dies zu bejahen, Quellen überprüfen lassen. Das auch wenn das Kind hier nicht sonderlich Kind habe das über die Zeit nicht erweitert empfänglich sei. und nicht variiert: „Sie sagt
In diesem Fall komme laut Sachverständiger allen immer wieder: Mama ist tot. hinzu, dass die Kleine Papa ist böse“, so die Gutachterin. Sprache zwar gut versteht, aber hohe Das gehe so weit, dass die Pflegemutter
sich scheue, mit dem Mädchen zu anderen Kindern zugehen, aus Sorge, diese zu verschrecken. „Kinder in diesem Alter verstehen den Tod in seiner Endgültigkeit noch nicht“, erläutert die Sachverständige. Anhand eines Wellensittichs und einem Besuch am Grab habe man versucht, ihr behutsam klarzumachen, dass die Mama nicht wiederkommt.
Verteidiger Andreas Trode hat seine juristischen Probleme mit allem, was mit der Tochter des Angeklagten zu tun hat. Immer wieder beantragt er, Hörensagen-Aussagen nicht zuzulassen, ob nun die Familie erzählt, was die Kleine berichtet habe, oder die Polizei.
Im Oktober wurde das Kind von einer Ermittlungsrichterin vernommen. Und dort seien Suggestivfragen
gestellt worden, die die Sachverständige in ihrer Begutachtung aufgenommen habe – aus seiner Sicht unzulässig.
Es entspinnt sich ein längerer Streit zwischen den beiden: Sie sei die falsche Sachverständige, da sie nicht zugeben könne, eine suggestive Frage gestellt zu haben, verweist Trode auf die Protokolle: Bei der Ermittlungsrichterin sei ein „Onkel mit Messer“ins Spiel gebracht worden – und damit eine mögliche Tatbeteiligung des Mannes, der bislang nur als Zeuge geführt wird.
Er werde beantragen, dass das Gutachten der Sachverständigen auf inhaltliche und methodische Fehler bei der Befragung des Kindes untersucht wird. Womöglich brauche es eine neue Gutachterin, eine erneute Befragung des Mädchens.