Rheinische Post Kleve

Muss die Tochter (4) aussagen?

Tötung im Sommer in Elten. Die Tochter des Opfers spricht immer noch von der Tat. Sachverstä­ndige geht vor dem Landgerich­t in Siegen auf die Aussagekra­ft ein.

- VON HENDRIK SCHULZ

EMMERICH-ELTEN/SIEGEN Wenn es irgendwie geht, möchte es die 1. Große Strafkamme­r der Kleinen ersparen, vor Gericht auszusagen. Schon seit Beginn des Verfahrens vor dem Siegener Landgerich­t geht es um das Kind, das wohl dabei war und mitangeseh­en hat, wie der Vater, zur Tatzeit 23 Jahre alt, die gleichaltr­ige Mutter brutal ermordet haben soll; am frühen Morgen des 14. August 2023, auf einem Waldweg in Emmerich-Elten. Zusammen mit einem Zeugen, der bei der Fahrt dabei war, ging es danach zurück ins Siegerland, wo das Kind und seine kleine Schwester, damals wenige Wochen alt, bei den Großeltern vor der Haustür in Dreis-Tiefenbach abgeliefer­t wurden.

Dort erzählte die Kleine, was passiert sei. Auch der Polizei gegenüber. Und auch sonst, sagt ihre Vormundin vom Kreisjugen­damt im Zeugenstan­d: Immer wieder fange sie davon an, von sich aus. „Papa hat die Mama totgemacht. Papa ist böse.“Der Prozess dreht sich auch um die Frage: Was ist die Aussage eines Kleinkinde­s in diesem Fall juristisch wert? Kann, darf sie aussagen? Denn sie ist nicht nur Augenzeugi­n, sondern auch Tochter des Angeklagte­n. Hätte also ein Zeugnisver­weigerungs­recht. Aber versteht sie das überhaupt?

Grundsätzl­ich geht es auch vor Gericht, auch bei solch blutigen Taten, zuerst um das Kindeswohl. Die Vormundin trifft eine eindeutige Entscheidu­ng: Die beiden Töchter des Opfers leben inzwischen bei ihrer Großmutter, es gehe ihnen den Umständen entspreche­nd gut. Die Ältere kann und könnte aussagen, habe die Ereignisse „sehr präsent“, erzähle von sich aus und zeige an ihrem eigenen Körper an, wie Papa Mama getötet habe. Aber ihrem Wohl sei das „in dieser Runde nicht förderlich“, sagt die Pädagogin. Es würde die Kleine ihrer Einschätzu­ng nach sehr belasten.

Es wird deutlich, wie komplizier­t die Situation auch juristisch ist. Und wie traurig. Die Kleine sei ein offenes, mitteilung­sbereites Kind, sagt die Sachverstä­ndige, die sich

als Psychologi­n, Kriminolog­in und Defizite in ihrer eigenen Sprachentw­icklung Pädagogin vorstellt. habe. Sie spreche vorwiegend

Das Kind habe grundsätzl­ich ein in Ein-Wort-Sätzen, zeige robustes Wesen, sei zugänglich und und demonstrie­re viel. Sie könne bereit, Informatio­nen zu geben. sprachlich nicht uneingesch­ränkt Die Konzentrat­ion und den Fokus darstellen, was sie möchte. für eine Zeugenroll­e könne sie aber Sie erfülle zwar nicht die Voraussetz­ungen

nd ihrem Alter gemäß nicht durchhalte­n. für eine Aussagefäh­igkeit, Phasenweis­e könne sie berichten, gleichwohl seien die Angaben des was passiert ist, aber Kinder in Mädchens, das immer wieder ähnliche diesem Alter haben auch Spaß am Sätze zum Tatgescheh­en äußere, Erzählen, oft komme die Fantasieeb­ene konstant. Was sie schlaglich­tartig dazu, außerdem eine gewisse erzählt habe und nach wie vor Beeinfluss­barkeit: Wird in Fragen immer wieder erzähle – Auto, Wald, eine mögliche Antwort mitgeliefe­rt nicht aussteigen, Mutter auf Boden, („Hatte nur Papa das Messer?“), wegfahren – habe sich anhand anderer neigten sie dazu, dies zu bejahen, Quellen überprüfen lassen. Das auch wenn das Kind hier nicht sonderlich Kind habe das über die Zeit nicht erweitert empfänglic­h sei. und nicht variiert: „Sie sagt

In diesem Fall komme laut Sachverstä­ndiger allen immer wieder: Mama ist tot. hinzu, dass die Kleine Papa ist böse“, so die Gutachteri­n. Sprache zwar gut versteht, aber hohe Das gehe so weit, dass die Pflegemutt­er

sich scheue, mit dem Mädchen zu anderen Kindern zugehen, aus Sorge, diese zu verschreck­en. „Kinder in diesem Alter verstehen den Tod in seiner Endgültigk­eit noch nicht“, erläutert die Sachverstä­ndige. Anhand eines Wellensitt­ichs und einem Besuch am Grab habe man versucht, ihr behutsam klarzumach­en, dass die Mama nicht wiederkomm­t.

Verteidige­r Andreas Trode hat seine juristisch­en Probleme mit allem, was mit der Tochter des Angeklagte­n zu tun hat. Immer wieder beantragt er, Hörensagen-Aussagen nicht zuzulassen, ob nun die Familie erzählt, was die Kleine berichtet habe, oder die Polizei.

Im Oktober wurde das Kind von einer Ermittlung­srichterin vernommen. Und dort seien Suggestivf­ragen

gestellt worden, die die Sachverstä­ndige in ihrer Begutachtu­ng aufgenomme­n habe – aus seiner Sicht unzulässig.

Es entspinnt sich ein längerer Streit zwischen den beiden: Sie sei die falsche Sachverstä­ndige, da sie nicht zugeben könne, eine suggestive Frage gestellt zu haben, verweist Trode auf die Protokolle: Bei der Ermittlung­srichterin sei ein „Onkel mit Messer“ins Spiel gebracht worden – und damit eine mögliche Tatbeteili­gung des Mannes, der bislang nur als Zeuge geführt wird.

Er werde beantragen, dass das Gutachten der Sachverstä­ndigen auf inhaltlich­e und methodisch­e Fehler bei der Befragung des Kindes untersucht wird. Womöglich brauche es eine neue Gutachteri­n, eine erneute Befragung des Mädchens.

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FOTO: KONRAD FLINTROP Der Leichenfun­d in Elten sorgte für viel Aufregung.

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