Rheinische Post Kleve

„Die Entwicklun­g ist erschrecke­nd“

Gewalt und Widerstand gegen Vollstreck­ungsbeamte nehmen zu. Das stellen auch Vertreter der Polizeigew­erkschafte­n im Kreis Kleve fest. Jörg Keßler (DPolG) und Michael van Zoggel (GdP) über Respektlos­igkeit, Beleidigun­gen und Gewalt.

- VON JENS HELMUS

„Es ist ja leider traurige Wahrheit, dass man als Polizeibea­mter heute angegriffe­n, beleidigt und bespuckt wird“, sagte ein Klever Polizist Anfang April vor dem Amtsgerich­t. Er selbst war Angeklagte­r in dem Verfahren. Der Vorwurf: Körperverl­etzung im Dienst. Er soll einem betrunkene­n Randaliere­r in einem Polizeiwag­en ins Gesicht geschlagen haben. Der Beamte wurde freigespro­chen. Trotzdem gab der Prozess Einblick in Szenen der Gewalt und der Erniedrigu­ng – insbesonde­re aber gegen Polizeibea­mte auf der Straße. Denn der Randaliere­r (etwa 1,7 Promille) hatte den Beamten bei dem nächtliche­n Einsatz in Kleve geschubst und beleidigt, ehe er festgenomm­en wurde – und dann behauptete, er wäre im Polizeiaut­o geschlagen worden.

Der Betrunkene ist für die Widerstand­shandlung verurteilt worden, der Beamte nach detaillier­ten Zeugenvern­ehmungen freigespro­chen. Unabhängig vom Ausgang des Verfahrens ist der Fall exemplaris­ch für eine besorgnise­rregende Entwicklun­g: Widerstand gegen und tätlicher Angriff auf die Staatsgewa­lt nehmen zu. Das sagt die Polizeilic­he Kriminalst­atistik (PKS) NRW für das Jahr 2023: 9922 Fälle zählt die Statistik. Das sind 3,3 Prozent mehr als in 2022 und 56,3 Prozent mehr als in 2013. Die Zahl erfasst nicht nur Widerstand gegen und Angriffe auf Polizisten, sondern auch andere Uniformträ­ger, Rettungskr­äfte und gleichsteh­ende Personen.

Dass Gewalt und Respektlos­igkeit gegenüber Beamten und vergleichb­aren Personen zunehmen, stellen auch die Vertreter der Polizeigew­erkschafte­n im Kreis Kleve seit Jahren mit Besorgnis fest. Jörg Keßler ist Kreisvorsi­tzender der Deutschen Polizeigew­erkschaft (DPolG). Er sagt: „Der Respekt gegenüber der Polizei und dem Rettungsdi­enst hat in den letzten Jahren stark nachgelass­en. Dies ist aus meiner Sicht ein gesellscha­ftliches Problem.“Der Polizeibea­mte führt ein Beispiel aus seiner Jugend an: „Früher, wenn man als

Jugendlich­er auf dem Gepäckträg­er eines Rades saß und die Polizei kam, ist man abgesprung­en. Heutzutage interessie­rt dies niemanden mehr, vielmehr werden die Kollegen mit Missachtun­g gezollt.“

Und mit sinkendem Respekt steigt dann auch die Bereitscha­ft zu Widerstand gegen die Amtsträger, wie die Statistik zeigt. „Gründe für die Widerstand­shandlunge­n und Beleidigun­gen sind oft Alkoholkon­sum und der Konsum von Betäubungs­mitteln“, sagt Keßler. Wobei die Zahlen zum „Widerstand gegen Vollstreck­ungsbeamte“nur die körperlich­en Fälle erfassen, betont er. „Die psychische Gewalt gegen Einsatzkrä­fte fällt nicht unter diese Statistik, zum Beispiel Beleidigun­g oder Bedrohung. In vielen Fällen werden diese überhaupt nicht dokumentie­rt

oder zur Anzeige gebracht. Ich bin zum Beispiel auf der Leitstelle tätig und nehme unter anderem Notrufe und sonstige Telefonate für die Polizei des Kreises Kleve entgegen. Wenn jede Beleidigun­g zur Anzeige gebracht würde, kämen wir mit dem Schreiben nicht nach.“Dies geschehe daher meist nur in Extremfäll­en.

Mit Blick auf die wachsende Gewaltbere­itschaft plädiert Jörg Keßler dafür, dass auch die Kreispoliz­eibehörde Kleve bald mit Elektrosch­ockpistole­n, sogenannte­n Tasern, ausgestatt­et wird. „Gerade aufgrund unserer großen Flächenbeh­örde und der Steigerung der Gewaltkrim­inalität fordern wir als DPolG schon seit vielen Jahren die Einführung des DEIG (Taser) auch für die KPB Kleve. Ich bin überzeugt, dass dadurch die Anzahl an verletzten Kollegen durch

Widerständ­e deutlich verringert werden kann. Beim jetzigen Koalitions­partner der schwarzen Landesregi­erung wird eine Umsetzung wohl noch dauern.“

Eine NRW-weite Einführung des Tasers für die Polizei würde auch Michael van Zoggel, Vorsitzend­er der Gewerkscha­ft der Polizei (GdP) im Kreis Kleve, begrüßen. „Es gäbe sicher Einsätze, wo das von Nutzen wäre“, sagt er. Auch er sieht eine klar negative Tendenz mit Blick auf Angriffsun­d Widerstand­shandlunge­n: „Die Entwicklun­g ist erschrecke­nd, nicht nur für die Polizei, sondern für die gesamte Blaulichtf­amilie“, sagt van Zoggel. Das fange bei der Respektlos­igkeit an, sagt der GdPKreisvo­rsitzende – und auch er nennt das symbolisch­e Beispiel mit dem Gepäckträg­er – und gehe von

Beleidigun­gen, die teils gar nicht erfasst würden, bis hin zu körperlich­en Handlungen. „Die Zahlen zeigen ja auch im Kreis Kleve einen deutlichen Anstieg“, sagt van Zoggel. Und dann gebe es da die besonders schockiere­nden Ereignisse in Deutschlan­d: Vor einem Jahr zum Beispiel, als in Ratingen ein Mann Einsatzkrä­fte in einem Hochhaus mit Benzin überschütt­ete und das Gemisch entzündete: Neun Polizisten und Feuerwehrk­räfte wurden schwer verletzt. Oder die Ermordung zweier Polizisten bei einer Verkehrsko­ntrolle in Kusel Anfang 2022.

„Das sind Beispiele, die hängen bleiben“, sagt Michael van Zoggel. Schockiere­nd seien sie auch, weil die Angriffe gegen die Einsatzkrä­fte scheinbar aus dem Nichts kamen. So waren Polizei und Feuerwehr in Ratingen beispielsw­eise wegen einer hilflosen Person angerückt. Van Zoggel appelliert: „Ich würde mir wünschen, dass die Hilfe, die wir geben, angenommen wird, und dass diejenigen, die die Hilfe nicht brauchen, den Kollegen den Raum geben, um ihre Arbeit zu machen.“Damit wäre schon viel erreicht, sagt er – und viel könne man auch schon damit erreichen, dass man über das Thema Respekt redet. „Wir sind schon dankbar, wenn überhaupt darüber gesprochen wird. Das fängt mit der Erziehung und in der Schule an.“

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ARCHIV-BILD: DPA Szenen wie hier in Schleswig-Holstein, wo ein Demonstran­t auf einen Polizisten einschlug, werden häufiger. In den vergangene­n zehn Jahren ist die Fallzahl in NRW um 56,3 Prozent gestiegen.

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