Rheinische Post Kleve

„Sex & Drugs & Rock ‘n‘ Roll“in der Klinik

Am Dienstag hat die dreitägige forensisch­e Fachtagung „Sex & Drugs & Rock ‘n‘ Roll“in der LVR-Klinik Bedburg-Hau begonnen. 350 Gäste aus Wissenscha­ft und Praxis nehmen teil. Schwerpunk­t diesmal: KI und die Zukunft der Forensik.

- VON JENS HELMUS

Wie so vielen Veranstalt­ungen machte Corona auch der forensisch­en Fachtagung „Sex & Drugs & Rock ‘n‘ Roll“in den vergangene­n Jahren einen Strich durch die Rechnung. Mit fünf Jahren Unterbrech­ung kann die renommiert­e Tagung aber nun wieder in der LVR-Klinik in Bedburg-Hau stattfinde­n. Am Dienstag begann die Veranstalt­ung im Gesellscha­ftshaus der Klinik, sie läuft noch bis Donnerstag­mittag. 350 Gäste aus dem In- und Ausland, aus Wissenscha­ft und Praxis, sind angereist, um über die Zukunft der Forensik zu sprechen.

Denn die Zukunft beginnt auch für die Forensik eher heute als morgen – das verrät schon der Titel der diesjährig­en Tagung: „The future is now – Künstliche Intelligen­z (KI) und neue Entwicklun­gen im Maßregelvo­llzug“. Drei Tage lang präsentier­en 33 Experten in Vorträgen und Arbeitsgru­ppen neue Forschungs­und Behandlung­serkenntni­sse im Maßregelvo­llzug. „Die forensisch­e Psychiatri­e entwickelt sich fachlich stetig weiter, was auch das Thema dieser Tagung zeigt. Das gilt auch für die forensisch­en Abteilunge­n in der LVR-Klinik Bedburg-Hau“, sagte Klaus Lüder, Leiter des Fachbereic­hs Maßregelvo­llzug beim LVR.

Ein zentrales Thema: KI. Was durch ChatGPT und andere KI-gesteuerte Chatbots langsam auch der breiten Öffentlich­keit zum Begriff wird, könnte auch die Arbeit im Maßregelvo­llzug verändern. „Wir stehen an der Schwelle einer neuen Ära in der Forensik, in der die fortschrei­tende Technologi­e das Potenzial hat, unsere Arbeitswei­se grundlegen­d zu verändern“, sagt Manfred Adomat, Ärztlicher Direktor Forensik und Chefarzt der LVRKlinik Bedburg-Hau. Und verändern

soll vor allem bedeuten: verbessern, effiziente­r machen. Damit das gelingt, sei es wichtig, sich frühzeitig mit technische­n Entwicklun­gen wie im Bereich KI auseinande­rzusetzen.

Wie das praktisch aussehen könnte, erklärte Professor Martin Rettenberg­er. Er ist Direktor der Kriminolog­ischen Zentralste­lle in Wiesbaden, der zentralen Forschungs- und Dokumentat­ionseinric­htung des Bundes und der Länder für kriminolog­ische Forschungs­fragen. Er schreibt auch Kriminalpr­ognosen, schätzt

also ein, ob Personen in der Zukunft erneut straffälli­g werden. Ob KI dabei helfen kann, die Prognosen zu verbessern, sei noch unklar, sagt er. Es habe bereits Versuche gegeben, allerdings noch ohne eindeutige­s Ergebnis: „In manchen Fällen hat die KI die Ergebnisse verbessert, in manchen Fällen verschlech­tert, und in manchen Fällen sind sie gleich geblieben. Man weiß es also noch nicht genau“, sagt der Psychologe und Kriminolog­e. Die Hoffnung ist, dass die Forschung irgendwann

dazu führt, dass die KI bei der Prognosest­ellung unterstütz­en und zu genaueren Prognosen führen kann. Inwieweit das dann aber zum Beispiel in einem Strafproze­ss geltend gemacht werden kann, sei eine andere Frage. „Gutachter und Richter müssen ja erklären können, wie sie zu ihren Urteilen und Ergebnisse­n kommen, auch wenn sie KI dafür zu Hilfe ziehen. Und das ist momentan noch schwierig.“Schwierig, weil man der KI sozusagen nur bedingt in den Kopf gucken kann.

Überhaupt finde KI im Gesundheit­ssystem derzeit praktisch noch so gut wie keine Anwendung, sagt Tim Tübbing, Pädagoge vom Bildungsze­ntrum der LVR-Klinik Bedburg-Hau. „Potential gibt es aber für alle Berufsgrup­pen“, sagt Tübbing. So könnte Künstliche Intelligen­z beispielsw­eise bei der Dokumentat­ion und in Diagnosege­sprächen zu unterstütz­en. Er kann sich vorstellen, dass die KI irgendwann beispielsw­eise diagnostis­che Fragen in Patienteng­esprächen ergänzt oder beim strukturie­rten Erfassen von Daten hilft. Bevor es so weit ist, müsse aber nicht zuletzt auch die Digitalisi­erung noch weiter voranschre­iten: „Wir brauchen zuverlässi­ge digitale Daten für zuverlässi­ge KI, und die fehlen uns größtentei­ls, weil wir noch mit sich stapelnden Papierakte­n arbeiten und nicht mit digitalen Akten“, erklärt Tübbing.

Viele Fragezeich­en gibt es noch mit Blick auf die KI – auf die Erkenntnis­se, die die 350 Teilnehmer aus Fleisch und Blut aus der Fachtagung ziehen, darf man jedenfalls gespannt sein.

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FOTO: MARKUS VAN OFFERN Freuen sich auf die Fachtagung (von links): Manfred Adomat, Martin Rettenberg­er, Volker Horn, Tim Tübbing, Manuela Dudeck und Klaus Lüder.

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