„Ich war ein Arschloch“
Vor Schülern der Realschule an der Fleuth berichtet Ex-Neonazi Manuel Bauer über sein Leben im braunen Sumpf, über seinen Ausstieg und warnt vor den Gefahren des Rechtsextremismus.
„Ich darf euch heute ein ehemaliges Arschloch vorstellen“, sagte Geschichtslehrer Dierk Ferlemann zu seinen rund 90 Realschülern der neunten Klasse. „Ich darf das so sagen, er sagt es auch über sich selbst.“Vorgestellt wurde Neonazi-Ausseiger Manuel Bauer, geboren 1979 in Torgau/Sachsen und aufgewachsen auf dem Land in dem 40-Seelen-Dorf Polbitz bei Torgau.
„Bitte nicht erschrecken. Ich werde authentisch reden, so, wie ich damals gedacht und gefühlt habe“, begann er seinen dreistündigen Vortrag, in dem er schonungslos über seine Zeit als führender Kopf der Neonazi-Szene berichtete:
Bauer wuchs in gutbürgerlichen Verhältnissen auf, mit der Wende ging sein Leben den Bach hinunter. Sein Vater verlor die Arbeit, begann zu trinken und seine Mutter zu schlagen. Zur gleichen Zeit fanden über die Musik erste Berührungen mit der rechten Szene statt. „Fast alle Jungen und Mädchen an meiner Schule waren auf einmal rechts. Meine erste Musik-Kassette war von der Rechtsrock-Band „Störkraft“mit dem Titel: Dreckig, kahl und hundsgemein“, schildert er. „Ich war da noch ein Mitläufer und Nachredner.“
„Saufen, schlagen, pervers sein. Das nannten wir in der Szene die neue deutsche Fröhlichkeit“, sagt Bauer. Mit 13 Jahren ließ er sich eine Glatze als Ausdruck seiner politisch-ideologischen Gesinnung schneiden, ein Jahr später verprügelte er als „Mister Wichtig“grundlos einen 12-jährigen Jungen und
drückte anschließend die brennende Zigarette auf sein Auge aus. „Was geht mich fremdes Elend an?“, so seine Denkweise, als die Eltern des Jungen bei seinen Eltern von dem Vorfall berichteten.
Mit 17 Jahren verließ er das Elternhaus, nicht, ohne seinem Vater nach einem Streit noch ein Butterfly-Messer in die Schulter zu rammen, das er wieder herauszog und mitnahm.
Als der einstige Rechtsradikale davon berichtete, wie er versucht hat, einer Frau, die von einem Türken schwanger war, das Kind aus dem Bauch zu treten, wirkte er gehetzt und unruhig. Manchmal stockte sein Vortrag und er hielt kurz inne. Die Vergangenheit
scheint ihn immer wieder einzuholen. Die Bilder der auf dem Boden liegenden hilflosen Frau haben sich in seinem Gehirn eingebrannt.
Bauer, von seinen Freunden „Pistole“genannt, machte schnell Karriere in der Szene, leitete die Wehrsportgruppe „Racheakt“und gründete 1998 den „Bund Arischer Kämpfer“. 30 Neonazis hatten sich ihm angeschlossen Er bildete militante Rechtsextremsten aus, brachte ihnen in Ausbildungslagern in Polen und der Tschechei das Schießen bei. Den Umgang mit der Waffe hatte er bei der Bundeswehr gelernt.
Mit seinen Kameraden sprengte er mit Knüppeln und BaseballSchlägern eine türkische Hochzeit und erpresste einen schwulen Geschäftsmann. Er landete vor Gericht und wurde 2001 nach dem Jugendstrafrecht zu zwei Jahre und zehn Monate Freiheitsstrafe verurteilt. „Eigentlich hätte ich 30 Jahre kriegen müssen, für alles, was wir getan haben“, sagt er heute.
In der JVA wurde Bauer von Gesinnungsgenossen krankenhausreif geprügelt. Hilfe erhielt er von zwei Türken. Das bisherige Weltbild von Bauer geriet in Schieflage und so fand 2002 der erste Kontakt zu „Exit Deutschland“, eine Initiative, die beim Ausstieg aus dem Extremismus unterstützt, statt. 2006 erfolgte sein offizieller Ausstieg aus der Szene, neun Jahre wurde er psychologisch behandelt.
Bauer war ein Mitwisser der Szene und keine kleine Wurst, wie er selber sagt. Selbst heute noch, 18 Jahre nach seinem offiziellen Ausstieg, fühlt er sich nicht wohl in seiner Haut. Er weiß, dass er bei seinen ehemaligen Nazi-Kampfgenossen als „Vaterlandsverräter“und „Kameradenschwein“gilt und nicht ausschließen kann, dann man ihn oder seine minderjährige Tochter aufspüren will, um sich an ihm zu rächen.
Die Schüler erlebten Bauers unbeschönigte Schilderungen spürbar betroffen. Sie lächelten ungläubig und reagierten mit Entsetzen und Staunen, aber auch mit einer gewissen Faszination. Das Ziel der Veranstaltung, junge Leute vor den Gefahren des Rechtsextremismus zu warnen, wurde deutlich übertroffen. Eine abschließende Fragerunde wurde vom Redner angeboten, musste aus zeitlichen Gründen jedoch ausfallen.
„Es war einfach nur krank und alles nur, um die Ideologie stabil zu halten“, sagte Bauer beim Verlassen der Schule.