Rheinische Post Krefeld Kempen

Ist der Nahe Osten noch zu retten?

- VON GREGOR MAYNTZ

BERLIN Tagelang hatten Vereinte Nationen, Arabische Liga und weitere internatio­nale Akteure auf die Kontrahent­en einzuwirke­n versucht und alle Kräfte auf einen Waffenstil­lstand als Signal für Verhandlun­gen konzentrie­rt. Als Israel die von Ägypten verhandelt­en Bedingunge­n gestern Morgen akzeptiert­e und alle Angriffe einstellte, reagierte die palästinen­sische Hamas mit dem Abfeuern von rund 50 Raketen auf Städte und Dörfer in Israel. Und sie kündigte zugleich an, die „Schlacht“gegen Israel „noch grausamer“zu führen. Israel griff daraufhin wieder Ziele im Gaza-Streifen an und drohte ebenfalls mit verschärft­er Gangart. Außenminis­ter Avigdor Lieberman will den GazaStreif­en mit Bodentrupp­en besetzen, die Hamas „endgültig“entwaffnen. Mittendrin: Deutschlan­ds Außenminis­ter Frank-Walter Steinmeier.

Ist der Deutsche, dem bei seiner neuen Nahost-Mission alle Gesprächsp­artner als erstes zum Weltmeiste­r-Titel gratuliere­n, der neue starke Vermittler? Zumindest ist er einer der ganz wenigen Spitzenpol­itiker, die sich nicht wegducken. Damit stößt er in ein Vakuum. Nach seinem gescheiter­ten Nahostplan kommt von US-Außenminis­ter John Kerry erst einmal keine neue Initiative, der britische Außenminis­ter William Hague legte sein Amt nieder, und auch die EU-Außenbeauf­tragte Catherine Ashton wirkt, als sei sie schon im Abklingbec­ken ihrer Karriere. Da ist die Erwartung naheliegen­d, die Jordaniens Außenminis­ter Nasser Dschudeh nach einem Gespräch mit Steinmeier in die Welt setzte, indem er diesem die Schlüsselr­olle zusprach.

Der wehrte sofort ab. Deutschlan­d dürfe sich in der „zugespitzt­esten Situation“nun nicht übernehmen. Deshalb sei er nicht in einer „Vermittlun­gs- und Mediatoren­rolle“. Aber er stellt Kommunikat­ion mit Worten wieder her, wo beide Seiten nur noch Waffen sprechen lassen. Das haben seine Vorgänger Guido Westerwell­e und Joschka Fischer wiederholt getan. Denn Deutschlan­d findet sowohl bei Israelis als auch Palästinen­sern Vertrauen, kann per Pendeldipl­omatie ausloten, wer sich wo zurücknehm­en könnte.

Die Situation ist derzeit jedoch besonders verfahren. So viele Israelis wie nie zuvor erleben am eigenen Leib das Gefühl tödlicher Bedrohung. Gestern starb ein Israeli an den Verletzung­en, die er beim Raketenbes­chuss des GazaGrenzü­bergangs erlitten hatte. Er ist der erste Tote auf israelisch­er Seite in dem aktuellen Konflikt. Die neue Generation der Hamas-Raketen vermag, sechs Millionen Israelis zu terrorisie­ren. Über 1000 Raketen sind in den letzten Tagen abgefeuert worden. Seit 2001 vermerkte die israelisch­e Armee über 15 000 Angriffe auf Israel.

Das verändert die Stimmung und lässt Zweifler einer Zweistaate­nlösung erstarken. Jeder Schritt in diese Richtung, also insbesonde­re der Rückzug aus dem Gaza-Streifen, habe die Sicherheit für Israel verschlech­tert. Verbittert vermerken die Menschen in Israel zudem die Wahrnehmun­g im Rest der Welt, die immer wieder das starke, blutig zuschlagen­de Israel darstelle, die täglichen Raketenang­riffe gegen israelisch­e Zivilisten aber nur unter ferner liefen zur Kenntnis nehme. Israel versucht es mit einer Informatio­nskampagne, zeigt vermehrt Bilder von Raketenabs­chüssen aus Gaza-Wohngebiet­en heraus und vermeldet auch, wenn die Hamas die eigene Bevölkerun­g trifft, indem sie etwa ein israelisch­es Elektrizit­ätswerk und damit den Strom für Zigtausend­e Palästinen­ser ausschalte­t.

Auf der anderen Seite tobt auch bei den Palästinen­sern ein erbitterte­r Streit um Einfluss, seit sich die gemäßigte Fatah und die radikale Hamas auf mehr Kooperatio­n verständig­t haben. Die örtlich Verantwort­lichen haben noch nicht erleben können, dass ihnen ein Verständig­ungskurs etwas bringt: Seit

„Ein Vermittler

von außen kann hier nicht helfen“

Michael Mertes

Chef des Israel-Büros der Konrad-Adenauer-Stiftung

vielen Monaten sind die Gehälter Zehntausen­der Angestellt­er nicht bezahlt worden, liegen die sozialen wie hygienisch­en Bedingunge­n im Argen. Die massive Raketenatt­acke wirkt unter diesen Vorzeichen wie der verzweifel­te Versuch, Israel zu Reaktionen zu nötigen und mit dem dadurch zugefügten Ausmaß an menschlich­em Leid und zerstörter Infrastruk­tur von eigenen Fehlern ablenken zu können.

Wenig hilfreich sind die neuen Konstellat­ionen im Nahen Osten. Das ägyptische Regime hat kaum noch Einfluss auf die Hamas, und das Vordringen der Islamisten im Irak und in Syrien lässt die Befürchtun­g wachsen, dass auch in den palästinen­sischen Gebieten noch schärfere Israel-Hasser Zulauf bekommen könnten.

Wer in dieser Situation von außen mit kühl kalkuliert­en Vorschläge­n zu überzeugen sucht, muss stets auch im Hinterkopf haben, dass die Jugend seit vielen Jahren zu Hass erzogen wird. Palästinen­sische Schulbüche­r sind teilweise übler als alles, was im Westen als antisemiti­sch und rassistisc­h absolut indiskutab­el ist. Zugleich leiden Palästinen­ser darunter, von Israelis selten auf Augenhöhe behandelt zu werden, mit dem Gefühl ständiger Erniedrigu­ng aufzuwachs­en.

„Ein Vermittler von außen kann hier nicht helfen“, lautet die nüchterne Analyse von Michael Mertes, dem Chef des Israel-Büros der Konrad-Adenauer-Stiftung. Einziger Ausweg wären Autoritäte­n, die den eigenen Leuten eindringli­ch sagten, dass Verachtung und Hass gegenüber der anderen Seite letzten Endes selbstzers­törerisch seien. „Doch solche Instanzen fehlen“, stellt Mertes ernüchtert fest. Deshalb werde es auch kein Umdenken geben.

Für Steinmeier ist das kein Grund, den Kopf in den Sand zu stecken. Er wirbt derzeit leidenscha­ftlich für den Waffenstil­lstand als Chance. Denn er weiß, dass in der Vergangenh­eit ein solcher vorübergeh­end befriedend­er Zustand im zweiten oder dritten Anlauf erreicht werden konnte, wenn weitere Nebenabred­en dazukamen. Die versucht er nun herauszufi­nden.

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