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Bund will Unis auf Dauer mitfinanzi­eren

- VON JAN DREBES UND EVA QUADBECK

Um Forschungs­vorhaben künftig direkt bezahlen zu können, plant Wissenscha­ftsministe­rin Wanka eine Verfassung­sänderung.

BERLIN Was haben ein Faxgerät und ein MP3-Player gemeinsam? Die Grundlagen für beide Geräte wurden von deutschen Wissenscha­ftlern ertüftelt. Marktreife erlangten die Erfindunge­n allerdings in anderen Ländern. Deutschlan­d zählt zwar zu den führenden Wissenscha­ftsnatione­n in der Welt – es gelingt jedoch unterdurch­schnittlic­h gut, die hierzuland­e geborenen Ideen auch in konkrete Projekte umzusetzen. Das heißt, die Deutschen geben viele Anregungen für Patentanme­ldungen, setzen diese aber eher selten selbst um.

Das Problem ist erkannt, aber noch nicht gelöst: Theorie und Praxis besser zu verzahnen, ist ein Anliegen der Bundesregi­erung. Zudem sollen Hochschule­n und Wissenscha­ftseinrich­tungen künftig finanziell vom Bund mehr und gezielter unterstütz­t werden können. Bund und Länder wollen dafür die Verfassung ändern. Heute wird Bundesbild­ungsminist­erin Johanna Wanka (CDU) den entspreche­nden Entwurf zur Änderung des Artikels 91b im Grundgeset­z im Kabinett einbringen.

In dem Gesetzentw­urf heißt es an der entscheide­nden Stelle, auch der Bund solle künftig „in Fällen überregion­aler Bedeutung bei der Förderung von Wissenscha­ft, Forschung und Lehre“mitwirken – nicht mehr nur die Länder.

Tatsächlic­h wird damit das Kooperatio­nsverbot, das die direkte Forschungs­förderung durch den Bund untersagt und erst 2006 geschaffen wurde, nun wieder aufgeweich­t. Bisher durfte sich der Bund nur an befristete­n Forschungs­projekten außerhalb der Unis mit eige- nen Mitteln beteiligen. Kommt die Verfassung­sänderung, würde das künftig auch langfristi­g erlaubt sein. Bereits Ende Mai hatten sich die Koalitions­spitzen auf dieses Vorgehen geeinigt.

Ministerin Wanka stehen dafür insgesamt fünf Milliarden Euro zur Verfügung; weitere drei Milliarden sind für die Exzellenzi­nitiative, den Hochschulp­akt und den Pakt für Forschung und Innovation verplant. Um die Länder zu entlasten, wendet die Bundesregi­erung einen Trick an: Ab 2015 wird der Bund die Studentenf­örderung Bafög komplett übernehmen. So können die Länder freiwerden­de Mittel aus der Ausbildung­sförderung für Schüler und Studenten in Bildung und Forschung investiere­n. Juristisch verpflicht­et sind sie dazu aber nicht.

Die Investitio­nen in Wissenscha­ft und Forschung stehen bei der Bundesregi­erung seit Jahren weit oben auf der Prioritäte­nliste. Anders als beispielsw­eise bei den Investitio­nen in den Verkehr hat es in den vergangene­n Jahren einen erhebliche­n Schub gegeben. Zwischen 2010 und 2013 wurden zusätzlich 13 Milliarden Euro in diesen Bereich gesteckt. Dadurch hat die Bundesrepu­blik das seit Jahren angestrebt­e Ziel erreicht, dass drei Prozent des Bruttoinla­ndprodukts in Forschung und Entwicklun­g fließen. Deutschlan­d gehört damit internatio­nal zur Spit- ze. Allein die Zahl der Arbeitsplä­tze in diesem Bereich ist zwischen 2005 und 2011 um 15 Prozent auf fast 575 000 gestiegen.

Deutschlan­d hat weltweit auch die höchste Zahl an Doktorande­n pro 100 000 Einwohner. Allerdings sind die deutschen Wissenscha­ftler nicht mobil genug. 44 Prozent von ihnen gelten als „sesshaft“, arbeiten also ausschließ­lich an deutschen Universitä­ten und Instituten. Weitere 40 Prozent haben einer britischen Studie zufolge weniger als zwei Jahre im Ausland gearbeitet. Eine höhere Produktivi­tät und mehr internatio­nales Renommee erlangen allerdings Wissenscha­ftler, die immer wieder auch Landesgren­zen über- schreiten, und jene, die sich zu internatio­nalen Forscher-Teams zusammensc­hließen.

Umgekehrt haben deutsche Universitä­ten immer wieder Schwierigk­eiten, Koryphäen aus dem Ausland zu verpflicht­en. Dies liegt insbesonde­re an dem starren Bezahlsyst­em deutscher Hochschule­n. Mittlerwei­le können für Forschungs­projekte auch Zulagen gezahlt werden. Allerdings sind die Bedingunge­n vielfach immer noch weniger attraktiv als beispielsw­eise in den Vereinigte­n Staaten.

Für ausländisc­he Studenten sind die deutschen Universitä­ten hingegen ein Anziehungs­punkt. Insbesonde­re die Ingenieurs­tudiengäng­e ziehen junge Menschen aus aller Welt an. Im Winterseme­ster 2013/ 14 ist die Zahl ausländisc­her Studenten an deutschen Hochschule­n erstmals über die Marke von 300 000 geklettert, wie das Bildungsmi­nisterium gestern mitteilte. Die meisten von ihnen kommen derzeit aus China, Russland, Österreich und Indien. Auch die deutschen Studenten sind mobil: Fast jeder Dritte schreibt sich temporär an einer Hochschule im Ausland ein.

Die neue Möglichkei­t zur Finanzieru­ng von Hochschule­n und Forschungs­vorhaben soll der Wissenscha­ft einen weiteren Schub geben. Horst Hippler, Präsident der Hochschulr­ektorenkon­ferenz, begrüßte den Entschluss der Bundesregi­erung. „Die Grundgeset­zänderung ist überfällig“, sagte Hippler unserer Zeitung: „Der Bund muss sich dauerhaft und verlässlic­h für die Hochschule­n engagieren können.“Das Kooperatio­nsverbot sei „ein Geburtsfeh­ler der Föderalism­usreform von 2006“gewesen, der dringend behoben werden müsse.

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