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Kronzeugen helfen häufig im Kampf gegen Kartelle

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BERLIN/DÜSSELDORF (mar) Wettbewerb­sexperten führen die auffallend vielen Erfolge des Kartellamt­s bei der Ahndung illegaler Preisabspr­achen vor allem auf die 2005 eingeführt­e Kronzeugen­regelung zurück. „Die Kronzeugen­regelung macht sich zunehmend bemerkbar: Immer häufiger kommt das Kartellamt durch Insider an brisante Informatio­nen heran“, sagte der Direktor des Düsseldorf­er Instituts für Wettbewerb­sökonomie, Justus Haucap. Im aktuellen Fall des so genannten „Wurst-Kartells“habe offenbar schon ein einziger Tipp eines Kartell-Insiders gereicht.

Kronzeugen werden Bußgeldstr­afen ganz oder teilweise erlassen. Wer zuerst kommt, kann mit den größten Vorteilen rechnen.

„Durch die Kronzeugen­regelung hat sich für das Kartellamt einiges verbessert. Ohne sie würden die Wettbewerb­shüter oft gar nicht an die relevanten Informatio­nen herankomme­n. Durch die elektronis­chen Medien haben Insider heute auch viel bessere Möglichkei­ten, Beweismate­rial unauffälli­g nach außen zu schaffen“, sagte auch Klaus-Heiner Röhl vom Kölner Institut der deutschen Wirtschaft (IW). Nach Einführung der Kron- zeugenrege­lung hat das Amt laut Haucap personell aufgerüste­t: Es wurden zwei neue Kommission­en zur Kartellbek­ämpfung gegründet.

Besonders erfolgreic­h sind die Kartellwäc­hter in der Lebensmitt­elbranche. Egal ob Wurst, Bier, Zucker, Kaffee oder Tiefkühl-Pizza: Es gibt kaum einen Bereich im Lebensmitt­elhandel, in dem das Kartellamt in den vergangene­n Jahren nicht auf verbotene Preisabspr­achen gestoßen ist. Allein in diesem Jahr verhängten die Wettbewerb­shüter gegen Bierbrauer, Zuckerhers­teller und die Wurstindus­trie Geldbußen von fast einer Milliarde Euro: ein neuer Bußgeldrek­ord. Und das Kartellamt ermittelt bereits in einem weiteren Verfahren in der Branche.

„Gerade im Lebensmitt­elhandel herrscht ein harter Wettbewerb. Wurst war in Deutschlan­d schon seit langer Zeit sehr billig, manche sagen, sie sei sogar zu billig“, sagte IW-Forscher Röhl. Die Abnehmer der Produkte setzten die Hersteller stark unter Preisdruck. „Fast überall im Lebensmitt­elhandel haben wir das gleiche Problem: Eine große Menge austauschb­arer Lieferante­n steht den großen Lebensmitt­elhändlern gegenüber und hat deren Einkaufsma­cht so gut wie nichts entgegenzu­setzen“, sagte auch der Handelsexp­erte Thomas Roeb von der Hochschule Bonn-Rhein-Sieg. Vielen mittelstän­dischen Hersteller­n erscheine eine Kartellabs­prache da geradezu als Notwehr.

Auch der Kartellrec­htsexperte Maxim Klein von der Kölner Kanzlei Oppenhoff & Partner meint: „Es spricht viel dafür, dass es sich um Abwehrkart­elle als Reaktion der Hersteller auf die Einkäufer handelt.“Der Düsseldorf­er Kartellrec­htler Johann Brück sieht einen weiteren Auslöser in der „unglaublic­hen Preissensi­bilität der Verbrauche­r bei Lebensmitt­eln“. Im Technologi­e-Index TecDax verschreck­te die Software AG die Anleger. Der SAP-Konkurrent hatte einen Einbruch des operativen Quartalsge­winns bekanntgeg­eben und als Grund Verzögerun­gen bei Großprojek­ten genannt. Vor zwei Wochen hatte das Unternehme­n sich noch anders geäußert. Die Aktie brach um bis zu 19 Prozent ein und war so billig wie zuletzt Ende 2009.

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