Rheinische Post Krefeld Kempen
JENS SPAHN „Populismus ist wie eine Droge“
Finanzstaatssekretär und CDU-Präsidiumsmitglied Spahn über den Umgang der CDU mit der AfD und über den Islam in Deutschland.
Die CDU sieht ihren Platz in der Mitte der Gesellschaft. Reicht diese Verortung aus, um der AfD Wähler wieder abspenstig zu machen? SPAHN Wir haben uns schon immer als Volkspartei der Mitte definiert. Wir haben dabei aber auch den gesellschaftspolitischen Auftrag, von rechts in die Mitte hinein zu integrieren. Die AfD spricht zudem Themen an, bei denen viele Menschen das Gefühl haben, dass wir die vernachlässigen. Zum Beispiel? SPAHN Themen wie Einbruchskriminalität oder Diebstahl. Wenn selbst bekannte Serientäter nach
Höflichkeit war einmal. Diese Tugend scheint aus der Mode gekommen, alle streben ja nach Authentizität, wollen sich geben, wie sie sind, verwechseln Ungehobeltheit mit Stärke. Man kann das immer dann erleben, wenn Menschen in größerer Zahl aufeinandertreffen, Rücksichtnahme also besonders gefragt wäre. Doch im Wartezimmer laut zu palavern, im engen Bistro möglichst viel Raum einzunehmen, im Einkaufszentrum einfach vorneweg durch die Tür zu marschieren – Kopfhörer auf, Hände in den Hosentaschen, mir doch egal – scheint vielen Menschen innere Genugtuung zu verschaffen. Das ist Selbstverliebtheit, die sich im Tun vollzieht.
Dabei war Höflichkeit mal oberstes Erziehungsziel. Doch inzwischen haftet schon dem Wort etwas Verklemmtes, Heuchlerisches an. Als sei Zuvorkommenheit, jene gewissen Regeln folgende Freundlich- Feststellung der Personalien wieder gehen dürfen und dem Opfer die lange Nase zeigen, dann frustriert das viele – übrigens auch die Polizisten. Und da, wo Integration nicht gelungen ist und Parallelgesellschaften entstanden sind, da sollten wir den Finger konsequent in die Wunde legen, statt vornehm zu schweigen. Die AfD ist laut, schrill und in den sozialen Netzwerken sehr aktiv. Brauchen Sie möglicherweise auch eine andere Kommunikationsstrategie? SPAHN Die AfD schießt immer häufiger über das Ziel hinaus. Populismus ist da wie eine Droge. Die Dosis muss immer höher werden, die Forderungen immer abgedrehter, damit es noch wirkt. Das kann nicht unser Weg sein. Gleichzeitig lassen sich aus dem populistischen Furor aber auch Fragen rausschälen, die berechtigt sind, etwa zur Rolle des politischen Islam. Es macht keinen Sinn, die AfD immer nur frontal und pauschal als Gefahr für die Demokratie zu beschimpfen. Das nutzt sich ab und erreicht das Gegenteil – denn genau so ist der Front National in Frankreich groß geworden. Wir müssen uns mit den Themen differenziert auseinandersetzen. Also klar herausarbeiten, wo die AfD populistisch oder gar religions- und keit im Umgang und Achtsamkeit in der Sprache, nur Dressur. Als seien höfliche Menschen unecht.
Die volkstümlichen Sinnsprüche von früher haben es immer schon nahegelegt. Auch darin wird die Höflichkeit als Zier abgetan, als leicht verlogenes Beiwerk, das die wahre Natur des Menschen nur verbrämt. Voran aber, so ist den Sprüchen zu entnehmen, kommt man angeblich ohne Höflichkeit. Weil formbewussteRücksichtnahmeden Menschen daran hindert, seine Interessen ohne Rücksicht durchzusetzen. Die Macher, Realisierer, Alphatiere sprechen nun mal, wie ihnen der Schnabel gewachsen ist, futtern, wie und worauf sie „Bock haben“und überlassen diese ganze gespielte Vornehmheit zwischen den Geschlechtern vom In-den-Mantelhelfen bis zum Tür-Aufhalten den Vorfahren, die sich noch nicht befreien konnten. Wenn Individualismus, dann auch richtig. ausländerfeindlich ist, und andersherum die von ihr angesprochenen Probleme, die auch die Menschen in ihrem Alltag beschäftigen, offensiv bearbeiten. Was meinen Sie konkret? SPAHN Nur weil die AfD maßlos überzieht, heißt das ja nicht, dass es nicht berechtigte Fragen an den Islam in Deutschland gibt. Wir sollten auf Dauer keine ausschließlich aus dem Ausland finanzierten Imame und Moscheen dulden. Imame sollten in Deutschland ausgebildet werden, auch deutsch sprechen und ihre Religion im Kontext der deutschen Gesellschaft lehren können.
Nun kann Höflichkeit zur Marotte werden, wenn die Geziertheit überhand nimmt. Das ist immer dann schwer zu ertragen, wenn die Differenz zwischen der gespielten Vornehmheit und dem wahren Charakter zu groß ist. Es lugt dann überall die wahre Rüpelhaftigkeit hervor. Höflichkeit ist aber kein Benimmkorsett, sondern eine Haltung. Sie setzt Empathie voraus und den Willen, den anderen wichtig zu nehmen, ihm mit Rücksicht zu begegnen, ihm wohl zu wollen. Diese Art von Höflichkeit ist nicht devot, introvertiert, vorgeblich, sondern erfrischend unkonventionell. Ein bisschen Höflichkeit kann andere Menschen öffnen, denn sie fühlen sich wahrgenommen, ja sogar geachtet. Höflichkeit als Drill will niemand zurück, ein bisschen Achtsamkeit im Alltag dagegen wäre ein Segen. Ihre Meinung? Schreiben Sie unserer Autorin: kolumne@rheinische-post.de Denn anders als die AfD wollen wir den Islam sozusagen einbürgern: Wir sollten jene Muslime bestärken und unterstützen, die den Koran im Geiste des aufgeklärten 21. Jahrhunderts auslegen und leben wollen. Sollte es in Zukunft eine Kirchensteuer für Muslime in Deutschland geben? SPAHN Das können wir nicht verordnen. Wenn die Muslime sich als Gemeinschaft aber dahin entwickeln, sollten wir dafür offen sein. Sollte die CDU perspektivisch dabei bleiben, dass die AfD kein Koalitionspartner sein kann? SPAHN Mit einer Partei, die mit ressentimentgeladenem Populismus arbeitet, kann die CDU nicht koalieren.
EVA QUADBECK FÜHRTE DAS INTERVIEW
Höflichkeit ist eine Haltung Höflichkeit steht nicht mehr hoch im Kurs. Höfliche Menschen gelten als verzagt oder manieriert. Dabei ist Höflichkeit kein Benimm-Drill, sondern eine Haltung, die Empathie voraussetzt.