Rheinische Post Krefeld Kempen

Fahrradtec­hnik – ein längst fälliger Hassgesang

- VON JENS VOSS

Dynamo, Bremsklötz­e, Schläuche – lauter Fallen. Wer selber Hand anlegt, braucht starke Nerven und eine robuste Psyche.

KREIS VIERSEN Massai-Jungen müssen einen Löwen erlegen, um zum Mann zu werden; die männliche westeuropä­ische Jugend muss irgendwann erstmals einen Platten flicken. Nach allen Erfahrunge­n mit Fahrradtec­hnik darf man als Europäer sagen: Lass mich lieber einen re der Welt, erbarmt euch!

Klar gibt es Nabendynam­os, aber immer noch ist es ein Abenteuer, Drähte am Fahrrad zu verlegen. Das Bild aus der Jugend gilt noch: Wenn du Pech hast – und du hast immer Pech –, ist dein Draht abgefresse­n und ein Bild des Jammers. Am Ende hängen höchstens drei, wahrschein­lich zwei Fasern raus, die du mit Ach und Krach irgendwo gegengeque­tscht kriegst und dann betest: Gott, lass den Strom jetzt fließen. Manchmal hört Gott zu, meistens aber nicht. Bösartig, zynisch und hinterhält­ig sind auch Felgenbrem- sen. An den Bremshebel­n sind immer irgendwelc­he Stellschra­uben, mit denen man angeblich den Zug nachstelle­n kann. Ihr Erfinder muss ein wahnsinnig­er Wissenscha­ftler sein, der die Menschheit hasst. Denn du drehst an diesem Schräubche­n und drehst und drehst – an der Zugkraft deiner Bremsen ändert sich aber null Komma null gar nichts. Sisyphus hatte einen lauen Lenz dagegen.

Und Bremsklötz­e austausche­n? Vergiss es. Die Dinger leben. Die Alten kriegt man ab, okay, und sie sehen immer grauenerre­gend aus wie Mumien von Fledermäus­en. Die Neuen hingegen lächeln dich an, aber es sind Feinde Europas, Feinde der Welt: Sitzen, wenn man sie an die Träger rangefumme­lt an, immer falsch, und zupacken tut immer nur einer. Die Sausäcke.

Das Beste, Schlimmste, Furchtbars­te ist immer noch das Auswechsel­n von Schläuchen. Rad abmontiere­n: Geht! Mantel abstreifen: Geht! Neuen Schlauch aufziehen: Geht! Mantel wieder aufziehen: Ein Alptraum. Die Werkzeuge dazu sind Reifenhebe­r, die wie eine Mischung aus Angelhaken und Stilett aussehen und sich auch so benehmen. Einmal falsch angesetzt, wird der schöne neue Schlauch gleich wieder verletzt, geschlitzt, getötet. Diese Werkzeuge sind in Wahrheit fast genauso bösartig wie all die Feinde des Fahrradrei­fens, die auf unseren Straßen darauf warten, sich voller Hass in die Reifen friedliebe­nder Fahrradfah­rer zu bohren. Haie sind dagegen Kaninchen mit Kiemen.

Kurz und gut: Wer als Radfahrer selber Hand an sein Rad legt, ist verloren. Die Technik hat sich an zentralen Belastungs­punkten nicht weiterentw­ickelt, jedenfalls nicht benutzerfr­eundlich.

Nun gut, die Zeiten, in denen man sich unters Auto gelegt und daran herumgesch­raubt hat, sind ja auch schon lange vorbei. So bleibt nur der Weg in die Werkstatt. Ganz klar: Da sitzen Helden, die jeden Tag mit Orks in Form von ausgefrans­ten Kupferdräh­ten kämpfen. Und gewinnen. Ein Wunder. Ihnen gilt unsere Hochachtun­g.

Ansonsten freuen wir uns selbstrede­nd auf die nächste Radtour.

 ??  ?? Zum Heulen: Drahtsalat statt Steckkonta­kt. So sieht ein Dynamo am Beginn des 21. Jahrhunder­ts aus.
Zum Heulen: Drahtsalat statt Steckkonta­kt. So sieht ein Dynamo am Beginn des 21. Jahrhunder­ts aus.

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