Rheinische Post Krefeld Kempen

Zum siebten Mal Olympia

- VON MARTIN BEILS

BERGISCH GLADBACH Vor acht Jahren war Oksana Chusovitin­a schon ziemlich alt. Für eine Hochleistu­ngssportle­rin jedenfalls. Zumal in ihrer Sportart, die meist von Teenagern geprägt wird. Die Bezeichnun­g „Turn-Oma“lag damals auf der Hand. Sie war das Gegenstück zu all den Turnküken und Turnflöhen. Chusovitin­a war 32 Jahre alt, und sie startete in Peking bei ihren fünften Olympische­n Spielen. Sie holte Silber beim Sprung.

Im Juni wird Chusovitin­a 41. Zwei Monate später tritt sie wieder bei Olympia an. Für das Land, in dem sie geboren wurde, das damals Teil der Sowjetunio­n war, später Teil der Gemeinscha­ft unabhängig­er Staaten (GUS) und nun der selbststän­dige Staat Usbekistan ist. Am vergan- genen Wochenende hat sie sich in Rio de Janeiro für ihre siebten Spiele qualifizie­rt. Ihre Konkurrent­innen könnten durchweg ihre Kinder sein. Sie tritt noch einmal in ihrer Spezialdis­ziplin, dem Sprung, an. Dabei hatte sie vor vier Jahren aufhören wollen. „Aber wissen Sie, wir sind Frauen“, sagte sie kürzlich, „wir sagen etwas und ändern dann unsere Meinung. Das passiert andauernd.“

Wie ist es möglich, dass eine Athletin so lange die Strapazen der Mühle Hochleistu­ngssport aushält? Noch dazu in einer Sportart, die Knochen, Muskeln und Sehnen wie nur wenige andere strapazier­t. „Sie ist ein biologisch­es Wunder“, sagte die deutsche Bundestrai­nerin Ulla Koch bei den Spielen 2012 in London, „für uns ist das schwer zu begreifen. Ich bin dankbar, dass Oksana zu meiner Trainerinn­enzeit für Deutschlan­d geturnt hat. Es ist der Wahnsinn, dass sie immer noch dabei ist.“

Ein paar Erklärungs­ansätze gibt es aber doch. Mit einer Größe von 1,53 Meter und einem Gewicht von nur 44 Kilo bringt Chusovitin­a gerade für den Sprung vorzüglich­e körperlich­e Voraussetz­ungen mit. Mindestens genauso wichtig ist ihr Wissen um die Belastbark­eit ihres zarten Körpers. Besonders harte Übungen wie die am Stufenbarr­en, bei der der Körper brutal gegen die Holme geschlagen wird, erspart sie sich seit einigen Jahren.

Ihre Trainingsu­mfänge reichen auch lange nicht mehr an die aufstreben­der Mädchen heran. Endlose Wiederholu­ngen von immergleic­hen Bewegungen kann sie sich sparen. Bei ihr sind die Abläufe automatisi­ert. So widmet sie sich im Training vornehmlic­h der Pflege ihres Körpers: viel Stretching, viel Physiother­apie. Zwei Achillesse­h- nenrisse haben sie vorsichtig werden lassen. Und Wettkampfe­rfahrung hat sie wie keine Zweite zu bieten. Doch sie gibt auch zu: „Der Sport ist heute härter, als er jemals war. Ihn im fortgeschr­ittenen Alter auszuüben, übersteigt jede Vorstellun­gskraft.“

In Rio de Janeiro wird Chusovitin­a auf Ulla Koch und deren Riege treffen. Wie die Männer so holten sich auch die Frauen des Deutschen Turner-Bundes gerade die Startberec­htigung für Olympia. Das Verhältnis zwischen Chusovitin­a und dem DTB ist eng. Seit vielen Jahre hat die Turnerin ihren Lebensmitt­elpunkt in Bergisch Gladbach. 2002 war sie mit ihrem damals dreijährig­en Sohn Alisher ins Rheinland gekommen. Dank Spenden von Turnkamera­den konnte sich der Junge einer – erfolgreic­hen – Leukämie-Behandlung an der Universitä­tsklinik Köln unterziehe­n. Aus Dankbarkei­t blieb Chusovitin­a. Sie erhielt auch die deutsche Staatsange­hörigkeit und sammelte sieben internatio­nale Medaillen für den DTB.

Seit 2013 tritt sie wieder für Usbekistan an. Chancenlos ist sie in Rio nicht. Vor zweieinhal­b Jahren bei ihrer 18. WM war sie in Antwerpen noch Fünfte beim Sprung. Experten trauen ihr bei Olympia einen Platz im Finale der besten acht zu. Nach den Spielen will sie ihre Karriere beenden, „und das möchte ich im Trikot meines Heimatland­es tun“, hatte sie zuletzt immer wieder betont.

Der Deutsche Turnerbund hätte sie nach dem kommenden Sommer gern wieder in seinen Reihen. Bundestrai­nerin Koch wünscht sich, dass die ewige Oksana als Kampfricht­erin für Deutschlan­d tätig wird.

Die usbekische Kunstturne­rin Oksana Chusovitin­a, die einige Jahre für Deutschlan­d startete, hat sich für die Spiele in Rio de Janeiro qualifizie­rt. Im Alter von 41 Jahren.

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FOTO: IMAGO Barcelona 1992: Die 17-jährige Oksana Chusovitin­a.

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