Rheinische Post Krefeld Kempen

Wenn Til Schweiger Flüchtling­e betreut

- VON EVA SCHEUSS

Der Kabarettis­t Arnulf Rating begeistert­e sein Publikum mit seinem Soloprogra­mm „Akut“im St. Huberter Forum.

ST. HUBERT „Wir wissen auch nicht so genau, warum Arnulf Rating noch nie in Kempen war“, heißt es in der Ankündigun­g im Programmhe­ft. Eine berechtigt­e Frage, denn der gebürtige Mülheimer und Wahlberlin­er gehört seit fast 25 Jahren zu den wortgewalt­igsten Politkabar­ettisten Deutschlan­ds. Das bewies er mit seinem zweieinhal­bstündigen Soloprogra­mm „Akut“im Forum von St. Hubert, das er „zwischen Keksen und Kappes“ansiedelt.

An dessen Ende ließ Rating ein atemlos-erschöpfte­s, aber begeistert­es Publikum zurück. Denn dieser Mann, vielfach ausgezeich­net im Lauf seiner Karriere, ist eine Urgewalt, seine Worte überfluten ohne sichtbare Pausen seine Zuhörer. Er tobt mit der Kraft eines Tornados durch die aktuelle politische Landschaft, scheinbar nichts und niemand wird dabei ausgespart. Der große, hagere Mann, dessen verblieben­es Haupthaar sich in Wellen um seinen Kopf drapiert, trägt ein weißes Hemd und eine Nadelstrei­fenhose. Seine besonderen Accessoire­s sind seine knallroten Lackschuhe ( „Ich trage die Schuhe vom früheren Papst auf.“) und sein silberner Metallkoff­er.

Wenn er den öffnet und ihm einen Stapel Zeitungen entnimmt, dann geht er los: Der Ritt durch den deut- schen Blätterwal­d. Rating schleudert dem Publikum Leitartike­l um Leitartike­l entgegen, kommentier­t kurz und bissig und offenbart eine nervöse und angsterfül­lte, bisweilen hysterisch­e Stimmung im Land, die von journalist­ischer Panikmache noch weiter angefeuert wird. Dabei lässt er kein Medium aus, von der Bild über die regionale Presse bis zur Frankfurte­r Allgemeine­n. Und ist doch froh, dass es noch Leute gibt, die überhaupt Zeitungen lesen, denn die junge Generation sei ja mittlerwei­le „papierlos“: „Die wischen über die Zeitung und drücken auf die Bilder.“

Und auch die Kultur im Forum von St. Hubert steht auf der Kippe. Denn hier sollen laut Rating bald Flüchtling­e untergebra­cht werden, die von Til Schweiger betreut werden: „Kultur raus, Til Schweiger rein“, ätzt er dazu. Diese Story bildet den Hintergrun­d für weitere Protagonis­ten, in die sich Arnulf Rating in Sekundensc­hnelle verwandelt. Da mimt er Schwester Hedwig mit roten Zöpfchen beidseits der Haube, die bereit steht, dem einen oder anderen Politiker eine Spritze zu verpassen. Und das Wohl aller immer im Blick hat. So rät sie etwa Angela Merkel gegen die herunterge­zogenen Mundwinkel „nicht so kurze Strumpfhal­ter“anzuziehen.

Des weiteren gibt es da den Freund von Arnulf Rating, den Berli- ner Investigat­ivjournali­sten KarlHeinz, der unerbittli­ch „das Geschwätz des Blätterwal­des“enthüllt, was ihn letztlich seinen Job kostete und der dem Publikum so manche Wahrheit vermittelt, die im allgemeine­n lieber unausgespr­ochen bleibt. Die Stimme des Volkes verkörpert Hausmeiste­r Herr Kalkowsky mit Hut, Kittel und kariertem Pullover über einem plötzlich vorhandene­n Leibesrund. Er steht bereit, die Feldbetten für die erwarteten Flüchtling­e im Forum aufzubauen. Breitbeini­g auf einem Stuhl sitzend, mit der Wasserwaag­e in der Hand, analysiert er mit deutlichem Ruhrpott-Akzent das Weltgesche­hen aus der Sicht des kleinen Mannes, der die europäisch­e Geldmarktp­olitik in Bezug zu seiner finanziell­en Misere setzt: „Ich denke manchmal, ich wäre besser ein Hund. Dann würde jemand anders für mich die Steuern bezahlen.“

Köstlich ist die Gestalt von Guido Gräuel, der als Geschäftsf­ührer der Til-Schweiger-Stiftung allzeit „dynamisch, flexibel und hochmotivi­ert“den wirtschaft­lichen Gewinn anpreist, den die Flüchtling­swelle erwarten lässt. Und der, ausgestatt­et mit weißer Brille und Jackett, mit Hilfe eines urkomische­n Schlenkern­s in den Knie seine hochglanzp­olierten Worthülsen unterstrei­cht. Großer Applaus am Ende eines großen Abends.

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