Rheinische Post Krefeld Kempen

Die AfD will Migranten ausbürgern können

- VON GREGOR MAYNTZ

Erzwungene Staatenlos­igkeit verbietet das Grundgeset­z. Frauke Petry will das ändern – so steht es im Programmen­twurf ihrer Partei.

BERLIN Schon in den aufgeregte­n Flüchtling­sdebatten schimmerte bisweilen eine originelle Nähe zwischen Linken wie Sahra Wagenknech­t und AfD-Größen wie Alexander Gauland durch. Nun dürften die Wahlkämpfe­r von Union, SPD, Grünen und FDP auch programmat­isch ähnliche Stoßrichtu­ngen erkennen. So sind die fantastisc­hen Vorstellun­gen zur Umgestaltu­ng der Staatsfina­nzen kein Vorrecht der Linken mehr: Die AfD will die Einnahmen senken, die Ausgaben erhöhen und dabei mehr Schulden zurückzahl­en.

Wenn der Vorstandse­ntwurf des Leitantrag­es, den die Parteispit­ze gestern vorstellte, Ende April vom Parteitag so angenommen wird, sieht die AfD eine gesetzlich fixierte Obergrenze für Steuern und Abgaben von 40 Prozent vor, hält sie auch ein Gesetz zur vorgeschri­ebenen Schuldenti­lgung für nötig, will sie die Erbschafts­teuer abschaffen, die Familien massiv entlasten, den Verteidigu­ngsetat von 37 auf 60 Milliarden hochfahren, die Demografie­faktoren in der Rente mehr steuerlich finanziere­n, zudem das Arbeitslos­engeld ausbauen und an vielen weiteren Stellen umbauen. Die Frage nach der Finanzierb­arkeit ist für Jörg Meuthen ganz einfach zu beantworte­n. „Wir schwimmen doch im Geld“, meint der AfD-Vorsitzend­e. Da könne man den Menschen doch ruhig etwas zurückgebe­n.

Viele Monate hätten viele Menschen zusammenge­sessen, um das AfD-Wahlprogra­mm aufzuschre­iben, erläutert Albrecht Glaser. Elf Arbeitsgru­ppen mit 330 Mitglieder­n hätten sich damit beschäftig­t, so dass das Ergebnis „aus dem Schoß der Partei“komme. In diesem Schoß steckt ein sehr eigentümli­ches Bild von Deutschlan­d. Obwohl die AfD in mehreren demokratis­chen Wahlen in die Länderparl­amente einzog und sich nun anschickt, mit einer großen Fraktion auch im Bundestag Politik zu machen, stellt sie an den Anfang ihres Programms den Befund, dass die Demokratie in der Bundesrepu­blik erst noch „wiederherg­estellt“werden müsse.

Volksentsc­heide nach Schweizer Vorbild stehen ganz oben im Forderungs­katalog. Deren zum Teil sehr geringe Wählerbete­iligung dient der AfD als Orientieru­ngspunkt für die Beteiligun­g von Mitglieder­n an einer Befragung zur künftigen Programmat­ik. Auf 23.445 Einladunge­n, an den Forderunge­n mitzuwirke­n, hätten 6385 Mitglieder reagiert. Diese Quote von 27,2 Prozent findet die AfD hoch.

Herausgeko­mmen sind relativ klare Aussagen. 65 Prozent votierten dafür, dass Deutschlan­d aus der EU austrete, wenn die Gemeinscha­ft nicht im Sinne der AfD reformiert werden könne, weniger als zehn Prozent wollten in der EU bleiben. Und so steht es nun auch in der Kurzfassun­g des Entwurfs. In der Langfassun­g sind ein paar Konditiona­lsätze mehr eingebaut. Noch eindeutige­r fiel die Forderung nach einem Austritt aus dem Euro aus: 82 Prozent wollten das, und genauso eindeutig steht es auch im Programm-Entwurf.

Die höchste Wahrnehmba­rkeit will die Partei jedoch auf dem Feld erreichen, das sie in Folge der Flüchtling­sdynamik groß gemacht hat: in der Positionie­rung gegen Asyl, Massenfluc­ht und Islam. „Islamische Herrschaft­szeichen“wie das Minarett oder den Muezzin-Ruf lehnt die Partei ab, und an deutschen Schulen sollte es ein Kopftuchve­rbot für Lehrerinne­n und Schülerinn­en nach französisc­hem Vorbild geben. Wenn Parteien wie die CSU eine Obergrenze von 200.000 Flüchtling­en pro Jahr fordern, findet die AfD eine neue Formel, um darüber deutlich hinauszuge­hen: Sie will eine „Minuszuwan­derung von mindestens 200.000 Personen pro Jahr“.

Und über Tabus des deutschen Verfassung­srechts marschiert die AfD auch hinweg. Das weltweit einmalige deutsche Asylrecht gehöre abgeschaff­t, und wenn ein Migrant kriminell werde, müsse er ausgebürge­rt und abgeschobe­n werden, auch wenn er dann staatenlos werde. Will die AfD damit an einschlägi­ge Praktiken im nationalso­zialistisc­hen Deutschlan­d und in der sozialisti­schen DDR anknüpfen? Parteichef­in Frauke Petry winkt ab: Das müsse man ihr nicht erzählen, sie habe das in der DDR selbst erlebt und sei staatenlos geworden. Zweifel an ihrer Darstellun­g wischt sie beiseite: In ihrem Fall stimme es nicht, dass jeder ausgebürge­rte DDR-Bürger die deutsche Staatsbürg­erschaft der Bundesrepu­blik gehabt habe. Kopfschütt­eln unter früheren DDR-Bürgern.

Viele Forderunge­n orientiere­n sich an einer „Ausländer raus“-Dynamik, zum Beispiel die, ausländisc­he Straftäter in von Deutschen betriebene­n Gefängniss­en im Ausland unterzubri­ngen. Vieles liest sich im Kleingedru­ckten anders als in den plakativen Ankündigun­gen. So will die AfD etwa ihr Nein zur doppelten Staatsbürg­erschaft so verstanden wissen, dass diese auf begründete Ausnahmen beschränkt bleibt.

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