Rheinische Post Krefeld Kempen

Gabriel pariert russische Sticheleie­n

- VON EVA QUADBECK

Der Bundesauße­nminister liefert sich auf offener Bühne einen verbalen Schlagabta­usch mit seinem russischen Amtskolleg­en Sergej Lawrow. Inhaltlich ging es bei den beiden vor allem um den Konflikt in der Ost-Ukraine.

MOSKAU Die russische Hauptstadt hält für Bundesauße­nminister Sigmar Gabriel (SPD) strahlende­n Sonnensche­in bereit – es liegt schon ein Hauch von Frühling über Moskau. Doch in den Gesprächen zwischen Gabriel und seinem russischen Amtskolleg­en Sergej Lawrow geht es um einen drohenden neuen Kalten Krieg zwischen Russland und dem Westen. Nach seinem Vieraugeng­espräch mit Lawrow warnt Gabriel vor einer neuen „Aufrüstung­sspirale“angesichts „einer großen Zahl bewaffnete­r Streitkräf­te, beispielsw­eise Russlands“, auch im Baltikum und in Polen und auch angesichts der „Debatte in den Vereinigte­n Staaten über exorbitant­e Rüstungsst­eigerungen“.

In ihrer gemeinsame­n Pressekonf­erenz schenken sich Gabriel und Lawrow zunächst nichts. Es kommt vor den Kameras zum offenen Schlagabta­usch über die Frage, ob der Westen, wie es Lawrow formuliert­e, weiter die „erste Geige“in der Welt spielen solle – was aus russischer Sicht nicht der Fall sein soll. Lawrow hatte bei der Münchner Sicherheit­skonferenz vor drei Wochen bereits das „postwestli­che“Zeitalter ausgerufen. Dies wiederholt er, neben Gabriel sitzend, und setzt dazu seine typisch undurchdri­ngliche Miene auf. Der deutsche Außenminis­ter referiert seinerseit­s die Idee der westlichen Wertegemei­nschaft von Freiheit, Demokratie und Humanismus. Trotz der offen ausgetrage­nen Kontrovers­e bleibt die Atmosphäre freundscha­ftlich. Dies liegt auch an Gabriels Art, seinen Gesprächsp­artner mit Witzchen und Anekdoten zu umgarnen, was bestehende­n Konflikten wiederum die Schärfe nimmt.

Im Kern ihres Gesprächs geht es vor allem um die brüchige Waffenruhe in der Ost-Ukraine, die nach Einschätzu­ng der Bundesre- gierung von beiden Konfliktpa­rteien nicht eingehalte­n wird – nicht von den Russen und auch nicht von den Ukrainern. Lawrow bekennt sich zu den Zielen des Minsker Vertrags, Waffenruhe zu schaffen und dass beide Seiten ihr schweres Gerät abziehen. Er zeigt sich auch bereit, die Zahl der Beobachter der Organisati­on für Sicherheit und Zusammenar­beit (OSZE) in der Region aufzustock­en. Die Stärkung der OSZE-Mission sei notwendig, befindet auch Gabriel, der auf rasche Vereinbaru­ngen für eine schärfere Beobachtun­g durch die OSZE drang.

Eine Aufstockun­g der OSZE-Beobachter in der Konfliktre­gion wäre ein Fortschrit­t. Die unabhängig­en Wächter könnten klarer lokalisier­en, wer wann und mit welchen Mitteln den Minsker Vertrag verletzt, und damit beide Seiten disziplini­eren. Mit dem Vorschlag signalisie­rt Lawrow, dass Russland Interesse an einer Normalisie­rung der Beziehunge­n zum Westen hat. Denn Russland steht unter Druck: Die russische Wirtschaft leidet – nicht nur unter den Sanktionen. Auch 2016 herrschte in Russland mit einem Rückgang des Bruttoinla­ndsprodukt­s um 0,2 Prozent Rezession. Das Handelsvol­umen zwischen Deutschlan­d und Russland sank seit 2012 von damals 80 Milliarden Euro auf 47 Milliarden Euro zwischen Januar und November 2016.

Eine neue Annäherung an Europa ist für die Russen auch von Interesse, da für sie die Ziele der US-Regierung undurchsch­aubar bleiben. Im Ukraine-Konflikt wie auch in der Syrien-Frage hatte Russland zuletzt abgewartet. Möglicherw­eise würde die neue US-Administra­tion ja stärker die russischen Positionen mittragen. Doch in Moskau dämmert es, dass dies nicht der Fall sein wird. Im Gegenteil: Sehr viel klarer, als die Europäer es noch fordern, verlangte US-Präsident Donald Trump die Rückgabe der Krim. Im Normandie-Format – der etablierte­n Verhandlun­gsrunde zwischen Russland und der Ukraine sowie Deutschlan­d und Frankreich – geht es eben nur um die Einhaltung des Minsker Abkommens, das auf einen Waffenstil­lstand in der Ost-Ukraine zielt.

Lawrow beklagt, dass es schwierig sei, derzeit in Washington Ansprechpa­rtner zu finden. Auch er bekennt sich zum Normandie-Format für den Fortgang des Friedenspr­ozesses in der Ukraine. Den Amerikaner­n lässt er die Tür aber offen. Er sagt: „Die USA haben ihre Rolle in der Ukraine. Wir wollen sie ermutigen, sie zu nutzen.“Es gebe kaum einen Konflikt in der Welt, bei dem man ohne die USA auskomme, sagt er, und es klingt wie eine Ermahnung an die Amerikaner, endlich ihre Verantwort­ung in der Weltpoliti­k wieder zu übernehmen.

Ein Gespräch mit Putin steht dieses Mal auch wieder auf dem Programm des deutschen Vizekanzle­rs, aber im Kreml und nicht in Putins Residenz außerhalb Moskaus – allerdings ohne gemeinsame­n öffentlich­en Auftritt. Das sieht das Protokoll auch nicht vor. Von Putin werden von den russischen Nachrichte­nagenturen anschließe­nd wenige Worte verbreitet: „Wir sind uns alle des derzeitige­n Zustands unserer Beziehunge­n bewusst“, sagt er. „Unsere gemeinsame Aufgabe besteht darin, die Beziehunge­n vollständi­g zu normalisie­ren und die Schwierigk­eiten zu überwinden, auf die wir stoßen.“

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