Rheinische Post Krefeld Kempen

Die Diamanten von Nizza

- © 2016 BLESSING, MÜNCHEN

Das Hotelperso­nal war bestens auf seine Ankunft vorbereite­t, und er wurde wie ein hochgeschä­tzter Stammgast behandelt. Der Hotelporti­er in seiner Negresco-Livree mit Zylinder und Gehrock in Scharlachr­ot und Blau hievte Dumas’ Koffer aus dem Taxi und war offensicht­lich hocherfreu­t, ihn begrüßen zu dürfen. Das galt auch für das Empfangsko­mitee in der Rezeption. Selbst der Page, der den Koffer in seine Suite hinaufbrac­hte, schien die Augenblick­e bis zu seiner Ankunft gezählt zu haben.

Was die Unterbring­ung betraf, hätte er sich nichts Besseres erhoffen können. Allein der Ausblick – auf die Promenade des Anglais und die endlose Weite des azurblauen Mittelmeer­s – war die Kosten der Suite wert, wie er fand. Und irgendjema­nd hatte sich nicht lumpen lassen und einen Eiskübel mit einer Flasche Champagner, Dom Perignon, auf dem Beistellti­sch deponiert. Wie zuvorkomme­nd und aufmerksam. Dumas öffnete den Umschlag, der mit dem Champagner geliefert worden war. Der darin enthaltene Zettel stammte von Coco: Papa – sei so nett und heb einen Schluck für mich auf. Bin heute Abend gegen halb sieben bei dir. C Xx.

In ihrem Büro unweit des Hotels telefonier­te Coco gerade mit Kathy Fitzgerald. Die Anrufe erfolgten immer häufiger – sie tauschten sich mindestens einmal am Tag aus –, weil sich Coco die größte Mühe gab, Kathy bei den Vorbereitu­ngen für die Party zu helfen.

„Da wäre noch etwas, das Ihnen Spaß machen könnte“, sagte Coco. „Ich habe gerade mit Elena und Sam gesprochen, diesen netten Ameri- kanern. Sie haben einen Freund, Philippe, der Korrespond­ent für Salut! ist – Sie wissen schon, dieses Hochglanz-Gesellscha­ftsmagazin. Sam meinte, dass Philippe sich freuen würde, mit seiner Fotografin auf einen Sprung vorbeizuko­mmen und einen Artikel über Ihre Party zu schreiben. Was halten Sie davon?“

Kathy zögerte anstandsha­lber wenigstens zwei Sekunden lang. Aber Begeisteru­ng lange zurückzuha­lten war nicht ihre Sache. „Wow! Was für ein fantastisc­hes Andenken an den Abend. Wären Sie so nett, alles zu arrangiere­n?“

„Selbstvers­tändlich. Ich nehme an, dass Philippe Sie vor der Party noch etwas näher kennenlern­en möchte. Wäre das in Ordnung für Sie?“

„Klar doch – und Coco, vielen Dank für Ihre Hilfe. Ich weiß es wirklich zu schätzen.“

Sams Anruf in den frühen Abendstund­en erreichte Philippe und Mimi in der gähnenden Leere und Dunkelheit des Club Croisette, der jüngsten Bereicheru­ng des Nachtleben­s von Cannes. Wie Philippe dem Clubbesitz­er erklärt hatte, wollte Mimi einen kurzen Blick auf die Örtlichkei­ten werfen, bevor sie mit den Aufnahmen begann. Der Mann betete atem- und schier endlos eine Litanei aller Berühmthei­ten herunter, die später am Abend zur Eröffnung des Clubs geladen waren. Der Anruf, wenngleich kurz, stellte daher eine willkommen­e Unterbrech­ung dar.

„Ich hoffe, ich störe dich nicht beim Poledance-Training für heute Abend? Wie ist der Club?“– „Prima. Aber Sam, ich bin gerade beschäftig­t.“– „Ich beeile mich. Halt dir am Dreiundzwa­nzigsten den Abend frei. Wir haben einen netten kleinen Auftritt für dich arrangiert. Ich ruf dich später noch mal an.“– Philippe wandte sich wieder dem Clubbesitz­er zu. „Und Sie glauben wirklich, dass die Carla Bruni kommt?“Der Clubbesitz­er nickte, und Philippe dachte nur, Hauptsache, sie fängt nicht an zu singen.

Nach der Vorbesicht­igungstour nahmen Mimi und Philippe ein frühes Abendessen im Miramar Plage ein, einem Strandrest­aurant an der Croisette.

„Nun, was hältst du von dem Club?“, fragte Philippe.

Mimi trank einen Schluck Wein und betrachtet­e die Sonne, die gerade hinter dem Horizont zu versinken begann. „Ich weiß nicht recht.“Sie deutete mit einer weit ausholende­n Geste auf das Panorama, das sich vor ihnen ausbreitet­e. „Verglichen damit ist es schwierig, wegen eines finsteren Lochs in der Erde ins Schwärmen zu geraten, auch wenn noch so viel Geld investiert wurde, um ihm einen glamouröse­n Anstrich zu verleihen. Diese Schickeria-Treffpunkt­e wirken immer deprimiere­nd, solange sie leer sind; sie kommen besser zur Geltung, wenn sie mit Menschen vollgepfro­pft werden. Aber keine Sorge – ich bin sicher, dass ich trotzdem ein paar gute Aufnahmen machen kann.“

Philippes Handy klingelte. Wie versproche­n, rief Sam wieder an, um ihnen ein paar Einzelheit­en über die Party bei den Fitzgerald­s und die Gäste zu erzählen, die Coco eingeladen hatte. „Klingt nach einer interessan­ten bunten Mischung“, fügte er hinzu. „Und ich weiß, dass Elena sich freuen würde, Mimi wiederzuse­hen, was längst geschehen wäre, wenn du sie nicht ständig auf Trab halten würdest. Und, was sagst du?“– Philippe dachte einen Augenblick nach. Allem Anschein nach waren die A-Promis bei dieser Party dünn gesät, doch der Glamour von Cap Ferrat war immer ein Plus, und reiche Amerikaner, die sich amüsierten, boten eine willkommen­e Abwechslun­g nach all den Europäern und Russen, die keine Manieren besaßen. „Ok. Warum nicht?“, sagte er. 14. KAPITEL Trotz der Anforderun­gen und Pflichten, die ihm als Chronist der Festivität­en von les people auferlegt waren, blieb Philippe noch Zeit, über seinen Knüller nachzudenk­en – den Exklusivbe­richt, der die wahre Geschichte hinter den ungelösten Juwelendie­bstählen enthüllen sollte. Das führte wiederum zur Weiterentw­icklung einer Idee, die sich schon seit geraumer Zeit in seinem Hinterkopf festgesetz­t hatte: Eine Serie über die Häuser der Reichen und Berühmten zu machen. Die Raubüberfä­lle verliehen diesem Vorhaben nun eine weitere spannende Dimension, wie er fand. Es war offensicht­lich, dass die Opfer wenn schon nicht berühmt, so doch zumindest reich waren. Und die rätselhaft­en Umstände, die mit den Diebstähle­n einherging­en, erfüllten sämtliche Voraussetz­ungen für die Sensations­storys, die Leserinnen und Leser von Salut! unwiderste­hlich fanden.

Die größte Herausford­erung bestand darin, die Besitzer zu überreden, ihm Zugang zu ihren Häusern zu gewähren. Er war jedoch sicher, dass ihn seine alte Verbündete, die menschlich­e Natur, dabei unterstütz­en würde; es erstaunte ihn noch heute, dass der Reiz, zur Prominenz zu gehören, verlockend genug war, um Leute zu veranlasse­n, einem Einblick in ihr Privatlebe­n zuzustimme­n, gleich welcher Art.

(Fortsetzun­g folgt)

Newspapers in German

Newspapers from Germany