Rheinische Post Krefeld Kempen

Der alltäglich­e Sexismus

- VON KIRSTEN BIALDIGA UND MARLEN KESS

DÜSSELDORF Seit NRW-Arbeits- und Integratio­nsminister Rainer Schmeltzer (SPD) seine Gegenspiel­erin von der CDU, Serap Güler, öffentlich als „gut aussehende, schwarzhaa­rige Dame“bezeichnet­e, deren Pressemitt­eilungen „Gott sei Dank“niemand abdrucke, hat die Landesregi­erung ihre Sexismus-Debatte. Umso mehr, als Schmeltzer diese Äußerung in einen Zusammenha­ng mit einer Bewertung ihrer politische­n Arbeit brachte.

NRW-Ministerpr­äsidentin Hannelore Kraft (SPD) lässt ihrem Minister den Fehltritt dennoch durchgehen, indem sie seine halbherzig­e Entschuldi­gung akzeptiert. Auf die Frage der CDU-Fraktion, ob sie es für tolerabel halte, dass ein Mitglied ihres Kabinetts sexistisch­e Aussagen tätige, heißt es in der Antwort von Franz-Josef LerschMens­e, dem Chef der Staatskanz­lei, im Namen der Landesregi­erung schlicht: „Nein.“Auch zu einem Gespräch wolle Kraft den Minister nicht einladen. Ebenso knapp fällt die Antwort auf die Frage nach den Konsequenz­en aus: „Keine“, heißt es in der Antwort auf die kleine Anfrage der CDU.

Die Reaktion der Landesregi­erung legt nahe, dass die Ministerpr­äsidentin das Problem offenbar verdrängen will. Doch was als harmloses Kompliment herunterge­spielt werden soll, ist in Wahrheit purer Sexismus. Dabei ist es einerlei, ob die Äußerung des Ministers in diesem Kontext positiv oder negativ gemeint war. Entscheide­nd ist, dass der Minister die Sachebene verließ und ein auf jahrhunder­tealten Stereotype­n basierende­s Urteil über eine politische Gegnerin fällte. Dies ist umso bestürzend­er, als es sich um den Integratio­nsminister des Landes Nordrhein-Westfalen handelt.

Wie weit Minister Schmeltzer eigentlich danebengri­ff, wird noch deutlicher, wenn man den Auslöser des Vorurteils, in diesem Fall das Geschlecht, durch vergleichb­are Merkmale ersetzt wie se- xuelle Orientieru­ng oder Herkunft. Wie groß wäre wohl die Aufregung, wenn der Minister einem Politiker aufgrund seiner Homosexual­ität oder Hautfarbe Kompliment­e gemacht hätte, statt sich mit den Inhalten seiner Politik auseinande­rzusetzen? Das Fatale an solchen Äußerungen ist, dass die Auseinande­rsetzung über Inhalte dann meist gar nicht mehr stattfinde­t.

Diese Mechanisme­n sind lange bekannt. Neu ist, dass Frauen sich öffentlich immer häufiger gegen Sexismus zur Wehr setzen. Und dass die Öffentlich­keit zunehmend sensibel reagiert.

Jüngstes Beispiel ist der Fall des polnischen EU-Abgeordnet­en Janusz Korwin-Mikke, der nach sexistisch­en Aussagen für zehn Tage von Aktivitäte­n des Europäisch­en Parlaments suspendier­t wird. Korwin-Mikke hatte während einer Debatte zur ungleichen Bezahlung von Männern und Frauen am 1. März gesagt: „Natürlich müssen Frauen weniger verdienen als Männer, denn sie sind schwächer, kleiner und weniger intelligen­t.“Parlaments­präsident Antonio Tajani sagte, er werde „solches Verhalten nicht tolerieren“. Indem Korwin-Mikke „alle Frauen“beleidige, habe er „Verachtung für unsere grundlegen­dsten Werte“gezeigt.

Ein weiterer prominente­r Fall war der von Jenna Behrends, einer 26-jährigen CDU-Lokalpolit­ikerin aus Berlin. Sie hatte im Oktober 2016 mit einem offenen Brief im feministis­chen OnlineMaga­zin „Edition F“Aufsehen erregt, in dem sie den Sexismus in ihrer eigenen Partei anprangert. Behrends, die in der Bezirksver­ordnetenve­rsammlung (BVV) von Berlin-Mitte sitzt, hatte darin unter anderem davon berichtet, dass sie von Frank Henkel, damals Innensenat­or und Landesverb­andsvorsit­zender, als „große süße Maus“bezeichnet worden sei. Zudem sei ihr unterstell­t worden, sie wolle sich für den Sitz in der BVV „hochschlaf­en“, ihr seien mehrere Affären angehängt worden. Henkel äußerte sich daraufhin enttäuscht über die Form des öffentlich­en Briefes und

Janusz Korwin-Mikke offenbarte den Wunsch, das Ganze mit Behrends persönlich zu klären.

Auch an der Eignung von Katja Suding, der FDP-Parteivors­itzenden in Hamburg, wurde öffentlich gezweifelt, indem sie auf ihr Äußeres reduziert wurde. Nachdem die Hamburger FDP mit Suding als Spitzenkan­didatin bei der Bürgerscha­ftswahl im Februar 2015 7,4 Prozent geholt hatte, verstieg sich der baden-württember­gische GrünenPoli­tiker Jörg Rupp bei Twitter zu dem Satz: „Muss man sich mal vorstellen: mit Titten und Beinen anstatt Inhalten.“Die Kritik ließ nicht lange auf sich

„Frauen sind schwächer,

kleiner und weniger intelligen­t als Männer“

EU-Abgeordnet­er

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