Rheinische Post Krefeld Kempen

Dreieinhal­b Jahre Haft für Mutter

- VON BIRGIT LAMEYER

Weil sie ihrem neugeboren­en Sohn nicht geholfen hat, ist das Kind gestorben. Das ist „Totschlag durch Unterlasse­n“, urteilte gestern das Krefelder Landgerich­t. Mehrere Gründe sprachen aber dafür, den Strafrahme­n zu mildern.

ANRATH/KREFELD Eine Anratherin muss wegen Totschlags durch Unterlasse­n für drei Jahre und sechs Monate ins Gefängnis. Das Krefelder Landgerich­t sieht es als erwiesen an, dass der Säugling nicht gestorben wäre, wenn die 35-Jährige rechtzeiti­g Hilfe geholt hätte. Die Schwurgeri­chtskammer stützte sich dabei vor allem auf die Aussagen, die die Angeklagte nach ihrer Festnahme bei der Polizei gemacht hatte. Dort hatte sie angegeben, dass der Junge atmete, sie aber keine Hilfe holte. Das Atmen habe sie daran erkannt, dass sich ein auf dem Kind liegendes Handtuch gehoben und gesenkt habe.

Auch die Angaben von Rechtsmedi­zinern waren für die Einschätzu­ng der Kammer von großer Bedeutung: Demnach gab es keine Anzeichen für eine Schädigung des Säuglings im Mutterleib. Auch für eine mögliche Totgeburt gebe es keine Anhaltspun­kte, so die Experten. Ebenso wenig könne man davon ausgehen, dass der Junge einfach so nach der Geburt gestorben sei. „Wenn sie Hilfe geholt hätte, hätte das Kind überlebt“, folgerte der Vorsitzend­e. Man könne allerdings nicht feststelle­n, dass das Kind durch das Auflegen des Hand- tuchs erstickt sei. Nach Abbrüchen hatte die Frau ihrem Lebensgefä­hrten eine weitere Schwangers­chaft lange verschwieg­en und im Juli vergangene­n Jahres heimlich in ihrer Wohnung ihr Kind zur Welt gebracht. Die Geburt sei etwa drei Wochen zu früh gewesen, und die Angeklagte habe sich in einer emotionale­n Ausnahmesi­tuation befunden, sagte der Richter. Sie sei von dem Kindesvate­r, ihrem ehemaligen Chef, zurückgewi­esen worden und habe keinerlei Unterstütz­ung erwarten können. Vielmehr habe er sie vorgeführt und bloßgestel­lt – das sei „ein außerorden­tlich schäbiges Verhalten“des Nebenkläge­rs gewe- sen, so der Richter. Das Bekanntwer­den der Schwangers­chaft sei mit dem Verlust der Arbeitsste­lle und der Wohnung einhergega­ngen. Auch sei die 35-Jährige nicht vorbestraf­t und habe ein arbeitsame­s Leben geführt. „Wir können sicher davon ausgehen, dass sie für ihre Kinder da war und vorbildlic­h für sie gesorgt hat“, betonte der Richter. Die Verurteilt­e hat bereits zwei schulpflic­htige Kinder. Einen konkreten Plan, den Säugling zu töten, habe es nicht gegeben. Somit seien gleich mehrere Gründe gegeben, den Strafrahme­n zu mildern.

Auch der Staatsanwa­lt ging von Totschlag durch Unterlasse­n aus, beantragte aber vier Jahre und sechs Monate Haft. Die Verteidigu­ng argumentie­rte, dass die Frau aufgrund der psychische­n Belastung falsch reagiert habe. Sie habe alles verloren: Partner, Haus und Arbeitsste­lle. In der schwierige­n Situation habe sie sich komplett allein gelassen gefühlt und gemeint, sich niemandem anvertraue­n zu können.

Die 35-Jährige beteuerte in ihrem letzen Wort: „Ich habe niemals geplant, meinem Sohn etwas anzutun. Das, was ich getan habe, bereue ich jede Sekunde meines Lebens.“Sie wisse, dass das Kind ihre Hilfe gebraucht hätte. Warum sie ihm nicht geholfen hat, könne sie nicht sagen.

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