Mutter mit Kind: Meditationen beim Warten

Neulich an einer Bushaltestelle: Während dieses unfreiwilligen Wartens fiel mir eine Mutter mit Kind auf. Beide verharrten in einer äußeren Ruhe unter dem Dach des Wartehäuschens, als seien sie so etwas wie ein lebendiges Standbild. Im Anblick der beiden ging mir für eine gewisse Zeit die Passung zur Wirklichkeit verloren. In meinem Hirn kreuzen sich die Gedanken. Mir kommt Musik in den Sinn: Olivier Messiaens Meditationen „La Natavité du Signeur“– Weihnachten ist doch längst vorbei. Und es war noch nicht einmal das erste Stück aus dieser Sammlung, „Die Mutter und das Kind“, das in meinen Kopf herum geisterte. Vielmehr ist es die Musik „Die Hirten“, welche die Szene wie ein Filmstill untermalt. Ein scheinbar statisches Stück: Über besinn- lich und dennoch leicht rhythmisierten Begleitharmonien erklingen in langsamer Folge ganz kurz gespielte Akkorde. Wie bunte Licht- blitze in Farben von fortwährender Wandlung beleuchteten die Klänge die Eindrücke, die sich in die Dunkelkammer meines Nachdenkens zurückgezogen haben. Eine Musik von Bewegung im Stillstand.

Ein anderer Gedanke schob sich in diese Episode: Messiaen hatte seinerzeit in dieser Musik zu Weihnachten durchaus schon das Passionsgeschehen im Blick. Der Satz „Jesus nimmt das Leiden an“scheint mir den Bogen in die Fastenzeit zu schlagen.

Aber da kam dann der Bus und fuhr mitten durch das Bild und die in mir klingende Musik. Danach waren Mutter und Kind verschwunden. Der alltägliche Straßenlärm ermahnte mich aufdringlich zur Aufmerksamkeit. [Ach, übrigens: In gut neun Monaten ist es wieder so weit, dann ist schon wieder Weihnachten. Welche Musik wohl dann meine Gedanken kreuzen wird?]

Marcell Feldberg

RP-FOTO: HERIBERT BRINKMANN Eine Bushaltestelle, hier am Amtsgericht in Kempen. Zur Musik: „https://www.youtube.com/watch?v=c3WZ80KWWOs“

FOTO: MICHAEL FELSCH Das Johannes Enders-Quartett spielt im Campus.