Rheinische Post Krefeld Kempen
Die Diamanten von Nizza
Das ist mir wohl bewusst.“Reboul warf einen Blick auf seine Uhr. „Aber auch mal wieder spät dran. Wir müssen los. Sam, lassen Sie uns morgen gemeinsam frühstücken, dann können wir weiterreden.“
Sam fand Elena in der Küche, wo sie ihre ungeteilte Aufmerksamkeit auf Alphonse gerichtet hatte, der sie gerade in neue Kochtechniken einweihte.
„Sam, wir müssen uns unbedingt einen Dampfgarer anschaffen! Einfache Mahlzeiten, gesund, ohne Fett – einfach grandios.“
Klugerweise begnügte Sam sich mit einem Kopfnicken und machte es sich bequem, um das Ende der Lektion abzuwarten. Er hatte Mühe, sich an die Vorstellung zu gewöhnen, dass Elena sich in eine Küchenfee verwandeln könnte. Soweit ihm bekannt, hatte sie bisher nie ein ehrgeizigeres Projekt als die Zubereitung eines Salamibrots in Angriff genommen, wenn sie gezwungen war, zu Hause zu essen.
Sie verabschiedeten sich von Alphonse und kehrten auf die Terrasse zurück, wo Sam ihr von seinem Gespräch mit Reboul berichtete. „Am meisten hat mich verblüfft, dass er kein bisschen schockiert zu sein schien, ja nicht einmal besonders erstaunt. Und er kennt sie vermutlich besser als jeder andere.“
Elena hatte beinahe pausenlos den Kopf geschüttelt, seit Sam den Mund aufgemacht hatte. Doch nun meldete sie sich zu Wort. „Sam, tut mir wirklich leid, aber das glaube ich einfach nicht. Warum bist du eigentlich so besessen von dieser Idee?“
„Schau, das perfekte Verbrechen gibt es nicht, und die Übereinstimmungen können kein Zufall sein. Sagen wir also, der Grund ist professionelle Neugierde. Hab Nachsicht mit mir, ja? Komm – lass uns im Chez Marcel zu Abend essen.“
„Versprichst du mir, dass du das Thema heute Abend mit keiner Silbe mehr erwähnst?“
„Versprochen. Jetzt bist du an der Reihe. Ich sehne mich mit jeder Faser meines Herzens danach, mehr über Dampfgarer zu erfahren.“
Als sie das Restaurant betraten, stellten sie überrascht fest, dass Mimi und Philippe an einem Ecktisch saßen und ungewöhnlich glamourös aussahen: Mimi im klassischen kleinen Schwarzen und Philippe im Smoking.
„Wo ist meine Kamera?“, sagte Sam. „Diesen Anblick muss ich festhalten. Sagt nichts – ihr geht in die Oper.“
Philippe zog eine Grimasse. „Ich wünschte, es wäre so. In Wirklichkeit müssen wir über eine Galaveranstaltung im Sofitel berichten. Und ob ihr es glaubt oder nicht: Unser reizender Kunde hat uns die strikte Anweisung erteilt, die Gäste keinesfalls beim Essen zu fotografieren – vielleicht sabbern sie oder dergleichen – und deshalb den Vorschlag gemacht, dass wir in der Hotelküche essen und erst nach dem Festbankett auftauchen. Zum Teufel damit! Aber sagt mal, wie laufen die Ermittlungen? Irgendwelche Hinweise gefunden? Oh, das hatte ich vergessen, euch zu erzählen: Coco Dumas kommt ebenfalls nächste Woche zu der Party bei den Fitzgeralds.“
Sam meinte, ein unterdrücktes Stöhnen von Elena zu hören, doch bevor er näher auf das Thema eingehen konnte, schleppte Mimi Philippe zum Galaabend, wo die kulinarischen Genüsse der Hotelküche auf sie warteten.
Elena sah nicht gerade glücklich aus, als sie Platz nahmen. „Ich dachte, du hättest versprochen, das Thema nicht mehr anzuschneiden!“
„Habe ich ja auch nicht. Mit keiner Silbe. Ich habe nur Philippes Fragen beantwortet.“
Elenas Miene blieb ernst. „Jetzt sei nicht sauer“, sagte Sam. „Das schadet dem Teint. Außerdem habe ich zwei Geheimwaffen, um dich aufzuheitern: Erstens reden wir über nichts anderes mehr als über deine Traumküche. Wir lassen kein Küchenutensil unerwähnt. Wir könnten sogar über eine Kücheneinweihungsparty nachdenken. Und zweitens habe ich entdeckt, dass heute Abend panna cotta auf der Speisekarte steht, mit deiner Lieblingskaramellsauce. Sehe ich da den ersten Anflug eines Lächelns?“
So war es in der Tat, und der Rest des Abendessens verlief nach Plan: Das Thema Küche wurde erschöpfend abgehandelt. Die Entscheidungen wurden von Elena getroffen und von Sam abgesegnet, obwohl er ein oder zwei Mal nicht ganz sicher war, was er da absegnete. Das Lächeln kehrte zurück. Warmherzige Worte wurden ausgetauscht. Zu dem Zeitpunkt, als sie das Restaurant verließen, hatte Sam das Gefühl, wieder über einen beträchtlichen emotionalen Kredit bei Elena Morales zu verfügen.
Es war einer jener lauen Frühsommerabende, an denen die Luft eine beinahe greifbare Weichheit und die Sterne am Firmament einen extrastarken Glanz aufweisen. Wie Elena meinte, war der Abend zu schön, um ihn im Bett zu verbringen, und so schlenderten sie durch den Vieux Port, bis sie an eine korsische Bar gelangten, eines der zahlreichen Marseiller Bindeglieder zu der vorgelagerten Insel. (Ein weite- res, weniger vergnügliches Bindeglied stellte die Anzahl der Korsen in der Marseiller Polizeitruppe dar.)
„Ich weiß, was du jetzt brauchst, um diesen Abend abzurunden“, sagte Sam lächelnd. „Noch einen Kaffee und ein Glas myrte.“
Sie nahmen an einem Tisch im Freien Platz, von wo aus sie das ganze Hafenbecken überblicken konnten, in dem dicht an dicht Schiffe schaukelten, die dort vor Anker lagen. Die Unterhaltung wandte sich jetzt der bevorstehenden Hochzeit von Mimi und Philippe zu.
„Das wird bestimmt ein fröhliches Fest“, erklärte Elena. „Ich bin sicher, dass sie nette Freunde haben. Ich freue mich schon darauf. Aber es hat mich auch veranlasst, über unsere Zukunft nachzudenken. Ich meine, was hältst du eigentlich davon, dass wir ständig zwischen L. A. und unserem Ferienhaus in Frankreich hin- und her pendeln?“
„Ich muss sagen, das Leben hier kann einen schon gefangen nehmen. Ehrlich gestanden, ich habe seit Wochen nicht mehr an L. A. gedacht.“
„Ich habe viel darüber nachgedacht. Und mir ist bewusst geworden, dass L. A. für mich Arbeit und die Provence, nun – Vergnügen bedeutet.“Sie blickte Sam an, schweigend und mit fragender Miene.
„Das klingt für mich nach einem ziemlich triftigen Grund, ein für alle Mal hierzubleiben. Ich schätze, ich sollte mir einen Job suchen.“
Sein Entschluss wurde mit dem liebevollsten Lächeln des Abends belohnt. Am folgenden Morgen leistete Sam seinem Gastgeber beim Frühstück auf der Terrasse Gesellschaft. „Wie war die Oper?“
(Fortsetzung folgt)