Rheinische Post Krefeld Kempen
Theresa Mays Befreiungsschlag
Über Neuwahlen will die britische Premierministerin klare Verhältnisse schaffen. Nicht alle Parteien dürften dafür sein.
LONDON Am Morgen hatte sie ihr Kabinett geleitet und die Ministerkollegen über ihren nächsten Schritt informiert. Dann ließ die Premierministerin Theresa May die Medien wissen, dass sie am späten Vormittag eine außerordentliche Erklärung abgeben würde. Mays Mitarbeiter bauten ein Redepult vor der berühmten schwarzen Tür zur Nummer 10 Downing Street auf, während jeder rätselte, worum es gehen werde. Plötzlicher Rücktritt? Außenpolitische Kehrtwende?
Völlig überraschend informierte die Premierministerin dann die Nation, dass sie vorgezogene Neuwah- len anstrebe. Am 8. Juni sollen die Briten zu den Wahlurnen gehen. Das Land brauche klare Verhältnisse, nachdem man im Referendum die schicksalhafte Entscheidung getroffen habe, die Europäische Union zu verlassen. Obwohl sich die Bevölkerung jetzt darauf einige, den Brexit zum Erfolg zu machen, gäbe es Uneinigkeit in Westminster, wo die Oppositionsparteien gegen das nationale Interesse arbeiteten. Der einzige Weg, sprach May die britischen Bürger an, „um Sicherheit und Stabilität für die nächsten Jahre zu garantieren, ist, diese Wahl abzuhalten und eure Unterstützung zu suchen für die Entscheidungen, die ich machen muss.“
May hatte sich in der Vergangenheit wiederholt und energisch gegen vorgezogene Neuwahlen ausgesprochen. Jetzt versuchte sie zu begründen, warum sie unabdingbar seien: „In diesem Moment von enormer nationaler Bedeutung sollte es Einheit in Westminster geben, stattdessen gibt es Spaltung.“Das schwäche die Verhandlungspo- sition der Regierung in Europa. Es liegt nicht völlig in Mays Hand, vorgezogene Neuwahlen nach Belieben anzuordnen. Nach dem „Fixed-Term Parliaments Act“dürfen Wahlen zum Unterhaus nur alle fünf Jahre stattfinden, und die nächste war erst für Mai 2020 geplant. Doch das Gesetz sieht auch vor, dass das Unterhaus mit einer Zwei-Drittel-Mehrheit dem Antrag der Premierministerin stattgeben kann. May forderte die Oppositionsparteien heraus, sich einer Wahl zu stellen; sie wolle heute im Unterhaus einen Antrag einbringen, der nach vorgezogenen Neuwahlen ruft, und sie erwarte, dass die Opposition dafür stimmen werde. Die Liberaldemokraten waren die Ersten, die freudig auf das Angebot eingingen. Nur Minuten, nachdem May ihre Ansprache beendet hatte, ließ der Liberalen-Chef Tim Farron die Briten wissen: „Diese Wahl ist eure Chance, die Richtung des Landes zu ändern. Wenn ihr einen verheerenden harten Brexit verhindern wollt, wenn ihr ein offenes, tolerantes und vereintes Großbritannien wollt, habt ihr jetzt dazu die Gelegenheit.“Auch die schottischen Nationalisten von der SNP begrüßten Mays Offerte und zeigten sich sicher, die Konservativen in Schottland deutlich abhängen zu können.