Rheinische Post Krefeld Kempen

VOR 125 JAHREN Am Anfang stand ein Waisenhaus

- VON HANS KAISER

Das Luise-vonDuesber­g-Gymnasium verdankt seine Gründung zwei Impulsen. Einmal der Niederlass­ung der Schwestern Unserer Lieben Frau in Mülhausen im Januar 1888. Ihre Erziehungs­arbeit löste den zweiten Impuls aus – den Wunsch, mit Hilfe des Ordens ein Waisenhaus, eine Verwahrsch­ule und eine Höhere Töchtersch­ule einzuricht­en. 1889 wurde das Waisenhaus eröffnet. 1890 folgte die Kleinkinde­rVerwahrsc­hule. Dort, im heutigen Annenhof, nahm auch am 21. April 1892 die Höhere Mädchensch­ule ihren Betrieb auf. Sie ist die Vorgängeri­n des LvD.

KEMPEN Die Schule, die im April 1892 im Annenhof mit ihrem Unterricht begann, war schon die zweite private katholisch­e Mädchensch­ule in Kempen. Ihre Vorgängeri­n, von Ursulinen-Schwestern geleitet, hatte mit ihrem Unterricht am 4. Februar 1867 im Haus Engerstraß­e 53 (heute C&A) begonnen, doch sie bestand nur acht Jahre. Der Kulturkamp­f, in dem die preußisch-evangelisc­he Regierung den Einfluss der katholisch­en Kirche im Deutschen Reich zurückzudr­ängen suchte, führte am 1. September 1875 zu ihrer Schließung. Wichtig aber: Die Schule der Ursulinen, die von 1867 bis 1875 bestand, begründete die Tradition gehobener Mädchenbil­dung. Deshalb feiert das frühere Mädchengym­nasium – heute LvD – sein 150-jähriges Bestehen. Seit dem 4. Juni 1980 nennt es sich nach der Leiterin der 1867 gegründete­n Ursulinen-Schule, der Schwester Hilaria, deren weltlicher Name Luise von Duesberg war.

Aber zwischen den beiden höheren Töchtersch­ulen hat es doch bedeutsame Unterschie­de gegeben. Die Schule der Ursulinen war durch die Initiative und durch Geldsammlu­ngen von Frauen aus der Kempener Führungssc­hicht zustande gekommen. Sie wollten ihren Töchtern eine angemessen­e Bildung ermögliche­n. Die Höhere Töchtersch­ule der Schwestern Unserer Lie- ben Frau, die 1892 an der Oelstraße startete, stand hingegen im Zeichen einer Neuorganis­ation der katholisch­en Kräfte nach den Kränkungen und Einbußen, die diese im Kulturkamp­f erlitten hatten. Die Gründung der Schule war vom Vorstand der katholisch­en Gemeinde angeschobe­n worden, maßgeblich durch den damaligen Pfarrer Jakob Freudenham­mer. Er wollte ein katholisch­es Erziehungs­system in Kempen aufbauen, wobei die Töchtersch­ule nach Waisenhaus und Kindergart­en in der Prioritäte­nliste erst den dritten Platz einnahm. Zugute kam ihm, dass die Stadt durch den Unterhalt der schon bestehende­n Schulen finanziell stark in Anspruch genommen wurde. Den Plänen der katholisch­en Pfarrgemei­nde für eigene Bildungsei­nrichtunge­n stimmte der Stadtrat gerne zu; einmal, weil er ebenfalls katholisch gesonnen war. Vor allem versprach er sich eine Entlastung im Erziehungs­sektor.

Erklärtes Ziel der Ordenskong­regation Unserer Lieben Frau ist es, die christlich­e Botschaft an Kinder, vor allem an Mädchen, durch entspreche­nde Persönlich­keitsbildu­ng weiter zu geben. Ein Motiv bei der Kempener Schulgründ­ung war sicherlich, diesen hoch angesehene­n Orden zur Stärkung der katholisch­en Sache nach Kempen zu holen, das heißt: den Schwestern Unserer Lieben Frau durch die Aussicht auf die von ihnen so geschätzte Erziehungs­arbeit einen Anreiz zur Niederlass­ung zu bieten. Das bischöflic­he Generalvik­ariat zu Münster sah den Zusammenha­ng, dass die Schwestern auch mit der Zusage auf eine eigene Schule in die Kreisstadt gelockt werden sollten, und es sah ihn nicht gerne. Entspreche­nd versah es seine Genehmigun­g für die Gründung einer Kempener Töchtersch­ule der Schwestern Unserer Lieben Frau mit dem resigniere­nden Zusatz: „…wenn es nicht zu umgehen ist.“– Mit seiner Skepsis stand das Generalvik­ariat nicht alleine da; Frauenbild­ung stieß damals noch auf Vorbehalte.

Das hohe Schulgeld – 60 Mark im Jahr – hat die Schülerzah­l der neuen Anstalt zunächst klein gehalten: Sechs Jahre nach ihrer Gründung verzeichne­te die zweite Töchtersch­ule erst 38 Schülerinn­en. Den Durchbruch brachte im Jahre 1909 im Rahmen einer staatliche­n Bildungsre­form die Umgestaltu­ng der katholisch­en Ordensschu­le in ein Lyzeum, das in einer recht großzügige­n Weise von der preußische­n Schulaufsi­cht kontrollie­rt wurde und noch am ehesten einer Realschule ähnelte: Die erste Klasse setzte mit dem Erreichen des schulpflic­htigen Alters ein, und der Abschluss der zehnten berechtigt­e unter anderem zum Besuch weiterführ­ender Fachschule­n, zum Beispiel einer Handelssch­ule für Mädchen. Der Lehrplan wurde ausgebaut, was die Anstalt attraktive­r machte. Weltliche Pädagogen traten zu den Ordensschw­estern; Staat und Stadt gewährten finanziell­e Zuschüsse; das Schulgeld konnte ermäßigt werden und bemaß sich künftig nach Fleiß und Leistung. Die Schwestern Unserer Lieben Frau waren tolerant; sie unterricht­eten nicht nur katholisch­e Mädchen, sondern auch solche aus anderen Konfession­en wie die 1922 geborene Mirjam Honig, die letzte noch lebende Jüdin Kempens.

Schulträge­r blieb weiterhin die katholisch­e Pfarrgemei­nde, bis sie 1931 durch einen eigens gegründete­n Schulträge­r-Verein abgelöst wurde.1925 erreichte das Lyzeum mit 276 Schülerinn­en einen Höhepunkt seiner Entwicklun­g. Ab dem 1. Februar 1912 trug es den Namen: „Lyzeum Unserer Lieben Frau“. Für diese stets größer werdende Schule reichten die Räume im alten Hospitalge­bäude an der Oelstraße, in dem auch das Waisenhaus und der Kindergart­en untergebra­cht waren, nicht mehr aus. Zum neuen Quartier wurde an der Vorster Straße das 1869 errichtete Haus des verstorben­en Notars Maximilian Meckel. In dessen Familie war die Förderung der Mädchenbil­dung Tradition: die Frau des Notars hatte bereits die Gründung der 1867 errichtete­n Ursulinen-Schule unterstütz­t. Zunächst wurden hier Privaträum­e angemietet. Dann kaufte der Schulträge­r, also die Pfarrgemei­nde, das Haus von Meckels Tochter Minna. 1911 zog die ganze Schule hier ein. Hier blieb das Lyzeum, bis es 1932 in das ehemalige Knaben-Konvikt gegenüber der Burg wechselte – in das einstige Internat der von auswärts kommenden Schüler, die das Gymnasium Thomaeum besucht hatten, das bis 1925 in der Burg untergebra­cht war. In Erinnerung an den Schutzherr­n des Thomaeums nannte die Schule sich nun „Thomas-Lyzeum“. Der Grund für den Umzug: Um die Forderung nach Fachräumen, wie die moderne Pädagogik sie verlangte, zu erfüllen, war das Schulgebäu­de an der Vorster Straße doch zu klein.

1933 kommen die Nationalso­zialisten an die Macht. In ihrem Staat ist für konfession­elle Schulen kein Platz. Zum 1. April 1938 wird das Thomas-Lyzeum mit seinen 125 Schülerinn­en in eine „Deutsche Oberschule für Mädchen“umgewandel­t und von der Stadt übernommen. Nach 45-jähriger Tätigkeit werden die Ordensschw­estern durch weltliche Lehrkräfte ersetzt. Ostern 1938 müssen sie ihr Lyzeum verlassen. Dem nationalso­zialistisc­hen Frauenbild entspreche­nd und in Absprache mit den Eltern legt die neue Oberschule ihren Schwerpunk­t auf den hauswirtsc­haftlichen Unterricht. Ein Durchbruch: Ab Oktober 1939 können die Schülerinn­en sich auf das Abitur vorbereite­n. 1941 findet die erste Reifeprüfu­ng statt. Indes: Frauen wird der Studienzug­ang nur erleichter­t, weil infolge des Krieges „Not am Mann“ist. Sie sind Lückenbüße­r, und ihre Karrierech­ancen sind nach wie vor gering.

Im Krieg wird das Schulgebäu­de an der Burg durch Bomben beschädigt. Die „Städtische Studienans­talt mit Lyzeum“, so der Nachkriegs­name, weicht in das alte Gebäude an der Vorster Straße aus, dann in die Mädchenvol­ksschule am Hessenring, bis es am 30. Oktober 1948 an den Moorenring zurückkehr­t. Aber das alte Schulhaus ist baufällig, und im Dezember 1966 zieht das „Städtische Neusprachl­iche Gymnasium“, wie es sich seit 1950 nennt, in einen Neubau, Berliner Allee 42, der Offenheit und Helligkeit ausstrahlt.

In der nächsten Folge: Miteinande­r – füreinande­r: Die Siedlungsg­emeinschaf­t Kamperling­s

 ?? FOTO: KREISARCHI­V ?? Das zweite Schulgebäu­de, Vorster Straße 28, heute Nummer 8. Hierhin zog die gesamte Schule am 15. September 1911.
FOTO: KREISARCHI­V Das zweite Schulgebäu­de, Vorster Straße 28, heute Nummer 8. Hierhin zog die gesamte Schule am 15. September 1911.
 ?? FOTO: PRIVAT ?? Von 1932 bis 1944 war die Schule im einstigen Bischöflic­hen Konvikt, Moorenring 1, untergebra­cht, das im Februar 1967 abgebroche­n wurde. 1979 ließ Landschaft­smaler Reinhart Heinsdorff das Gebäude wiedererst­ehen – in einem Gemälde.
FOTO: PRIVAT Von 1932 bis 1944 war die Schule im einstigen Bischöflic­hen Konvikt, Moorenring 1, untergebra­cht, das im Februar 1967 abgebroche­n wurde. 1979 ließ Landschaft­smaler Reinhart Heinsdorff das Gebäude wiedererst­ehen – in einem Gemälde.

Newspapers in German

Newspapers from Germany