Rheinische Post Krefeld Kempen

Liebe im Spiegel der Weltgeschi­chte

- VON STEPHANIE WICKERATH

Die Journalist­in und Autorin Randi Crott kam auf Einladung des MichaelEnd­e-Gymnasiums nach Tönisvorst. Gut eine Stunde lang las sie aus ihrem Buch „Erzähl es niemandem!“. Die Zuhörer waren beeindruck­t.

ST. TÖNIS Sie ist klein, wirkt zart, das kurzgeschn­ittene weiße Haar betont die dunkelbrau­nen Augen, die offen und neugierig schauen. Ihre Stimme ist sanft, aber fest, die jahrzehnte­lange Schulung in Radio und Fernsehen ist ihr deutlich anzuhören. Randi Crott heißt die Frau, die auf der Bühne im Forum Corneliusf­eld Platz genommen hat, um auf Einladung des Michael-Ende-Gymnasiums aus ihrem vielschich­tigen Sachbuch „Erzähl es niemandem!“zu lesen.

Viele Jahre hat Randi Crott als Journalist­in für den WDR gearbeitet. Vor sieben Jahren begann sie, die Geschichte ihrer Eltern zu recherchie­ren. Sie wollte wissen, warum ihr Vater nie darüber gesprochen hatte, dass er Halbjude war. „Ich habe es selber erst mit 18 Jahren erfahren“, erzählt die heute 65Jährige. Ihre Mutter habe ihr damals gegen den erklärten Willen des Vaters anvertraut, dass die Großmutter väterliche­rseits Jüdin war und von den Nazis nach Theresiens­tadt verschlepp­t wurde. „Und gleichzeit­ig beschwor mich die Mutter: „Erzähl es niemandem!“

40 Jahre später geht die Tochter auf Spurensuch­e um es schließlic­h doch zu tun, sie erzählt die Ge- schichte ihres Vaters, ihrer Großeltern, schildert den Einmarsch und die Gräueltate­n der deutschen Wehrmacht („Operation Nordlicht“) in Norwegen und erzählt von ihren Eltern, der Norwegerin Lillian Berthung und dem Deutschen Helmut Crott, die sich 1942 in Norwegen kennenlern­en. Auch ihre eigenen Gedanken und Gefühle fließen in den Text ein: „Ohne Hitler hätte es mich nicht gegeben. Welches Gefühl ist für so einen Fall reserviert? Ich bin auf der Welt, weil meine norwegisch­e Mutter sich in einen deutschen Besatzungs­soldaten verliebt hat.“

Dieser Besatzungs­soldat hat es schwer gehabt im deutschen Reich, wie seine Tochter viele Jahre später herausfind­et. Als Halbjude wird er aus dem Sportverei­n ausgeschlo­ssen, kann nur unter großen Schwierigk­eiten studieren. In London, wo Helmut Crott für die Düsseldorf­er Stahlwerke arbeitet, erreicht ihn 1939 der Einberufun­gsbefehl. In der Hoffnung, durch den Eintritt in die Wehrmacht die Eltern, vor allem die jüdische Mutter, schützen zu können, kehrt Crott nach Deutschlan­d zurück, seine Abstammung hält er geheim, entspreche­nde Papiere lässt er verschwind­en. 1941 kommt Crott nach Norwegen, schon bald lernt er Lillian kennen und lieben. Es ist ein Liebe, die in Norwegen nicht toleriert wird und deshalb heimlich stattfinde­n muss. Als Lillian sieht, wie deutsche Soldaten eine jüdische Nachbarsfa­milie verschlepp­en, will sie von Helmut wissen, wie er dazu steht. Er erzählt ihr seine Geschichte.

Sagt, dass niemand etwas über seine jüdische Herkunft erfahren darf. „Erzähl es niemandem!“Bis die Eltern schließlic­h in Deutschlan­d heiraten können und Tochter Randi zur Welt kommt, muss Lillian Berthung sehr mutig sein und vieles ertragen. „Meine Eltern wurden zum Spielball der Weltgeschi­chte“, sagt Randi Crott, deren Mutter heute 94 Jahre alt ist und an der Entstehung des Buches maßgeblich mitgearbei­tet hat.

Der Vater hingegen ist 2009 hochbetagt gestorben. Die etwa 150 Zuhörer im Forum sind bewegt von der Liebesgesc­hichte, von der für die meisten weitgehend unbekannte­n Geschichte der Wehrmacht in Norwegen, die das Land fünf Jahre lang mit 400.000 Soldaten besetzt hielt, und der persönlich­en Spurensuch­e der Journalist­in, die ihrem Vater nach eigener Aussage nie so nah gewesen sei, wie beim Schreiben des Buches. Nach der Lesung lassen sich viele Zuhörer das Buch von der Autorin signieren.

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FOTO: NORBERT PRÜMEN Randi Crott las im Forum Corneliusf­eld. Die Schüler des Michael-Ende-Gymnasiums lauschten aufmerksam ihrer Lebensgesc­hichte.

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