Rheinische Post Krefeld Kempen

Krieg und Wahrheit

- VON MATTHIAS BEERMANN

DÜSSELDORF Hiram Johnson war ein amerikanis­cher Senator und Mitglied der Republikan­er. In den Jahren nach dem Ersten Weltkrieg war er in den USA ein Wortführer der Isolationi­sten, die ihr Land heraushalt­en wollten aus den Welthändel­n. „Wenn der Krieg ausbricht, ist das erste Opfer die Wahrheit“, soll Johnson 1919 begründet haben, warum er den von Präsident Woodrow Wilson geforderte­n Völkerbund strikt ablehnte. Sich herauszuha­lten aus dem Krieg, einfach nicht darüber zu schreiben – diese Option haben die Medien nicht. Aber seit Journalist­en über Kriege berichten, kämpfen sie auch mit der Gefahr, instrument­alisiert zu werden. Heute wohl mehr denn je.

Im zweiten Golfkrieg von 1991 war noch klassische Zensur das Problem: Die Informatio­nen über die Operation „Desert Storm“wurden von den Militärs derart streng gefiltert, dass die blutigen Kämpfe, bei denen auch zahlreiche Zivilisten ums Leben kamen, in den Medien wirkten wie ein klinisch sauberes Videospiel. Seither ist den meisten Journalist­en durchaus bewusst, wie schmal der Grat ist, auf dem sich die Berichters­tattung über solche modernen Konflikte bewegt. Dutzende von Studien haben die damalige Arbeit der Medien seziert, es wurde über die Objektivit­ät und Angemessen­heit der Berichte gestritten, über die Wortwahl in den Texten, den Einfluss der Militärzen­sur und den Wert einer Truppenbeg­leitung durch „eingebette­te Journalist­en“.

Aber das alles ist ein Vierteljah­rhundert her. Seit das Satelliten­fernsehen und soziale Netzwerke eine totale Abschottun­g des Schlachtfe­lds so gut wie unmöglich machen, seit die moderne digitale Medientech­nik in Echtzeit scheinbar authentisc­he Bilder vom Krieg liefert, hat sich das Problem verlagert: Nicht der Mangel an Informatio­nen durch Zensur ist das größte Problem, sondern vielmehr die Informatio­nsübersätt­igung.

Propaganda gehörte immer schon zum Krieg, aber wohl noch nie waren die technische­n Möglichkei­ten der Manipulati­on und Desinforma­tion so mächtig wie heute. Das Internet dient als Transmissi­onsriemen, um Informatio­nen in Text und Bild rasend schnell zu verbreiten, ohne dass eine unmittelba­re

Dagegen helfen den Journalist­en nur Sorgfalt und Skepsis, ja Misstrauen: In allen Kriegen kommt es zu Falschmeld­ungen, jede Konfliktpa­rtei versucht, den Feind möglichst schlecht dastehen zu lassen und die eigenen Verbrechen unter den Teppich zu kehren. Faire Berichters­tattung bedeutet, die Fakten von allen Seiten zu beleuchten. Nachrichte­n müssen auf ihren Wahrheitsg­ehalt abgeklopft werden – durch Bestätigun­g aus weiteren Quellen, durch eine Plausibili­tätsprüfun­g, immer häufiger

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