Rheinische Post Krefeld Kempen

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BERLIN Dieter Kempf ist ein besonnener Typ, unbedachte Äußerungen kommen nicht von ihm. Der 64-Jährige, seit Jahresbegi­nn Präsident des Bundesverb­andes der Deutschen Industrie (BDI), ergreift auch nicht gerne Partei für die eine oder andere politische Richtung. Er lässt sich von Sachargume­nten leiten – auch mit Blick auf den G20-Gipfel kommende Woche in Hamburg. Internatio­nale Krisen halten die Welt in Atem. Herr Kempf, befürchten Sie, dass auf dem G20-Gipfel der 20 Regierungs­chefs Wirtschaft­sthemen in den Hintergrun­d gedrängt werden? KEMPF Nein. In der Handels- und Steuerpoli­tik sind Beschlüsse aller G20-Staaten möglich – und dringend erforderli­ch. Ich hoffe, dass es Frau Merkel gelingt, die USA einzubinde­n und US-Präsident Trump von einem gemeinsame­n G20-Bekenntnis zum Freihandel und zu fairen Steuerrege­ln zu überzeugen. Trotz des Rückzugs der USA aus dem Pariser Klimaabkom­men müssen die G20-Länder den globalen Klimaschut­z vorantreib­en. Eine gemeinsame Initiative für ein internatio­nales Preissigna­l für CO2 wäre klug. Das könnte Wettbewerb­sverzerrun­gen zwischen den Staaten weitgehend verhindern. Was erwarten Sie vom G20-Gipfel konkret in der Steuerpoli­tik? KEMPF Es hilft niemandem, einen internatio­nalen Steuerwett­lauf nach unten zu beginnen. Besser wäre es, wenn sich die G20 gegen ei- nen ruinösen Steuerwett­bewerb ausspreche­n. Wir in Deutschlan­d – und andere G20-Staaten auch – brauchen die Steuereinn­ahmen für öffentlich­e Investitio­nen. Welches Signal muss vom Gipfel ausgehen, damit er ein Erfolg wird? KEMPF Vom G20-Gipfel muss das klare Signal ausgehen: Internatio­nale Zusammenar­beit und globaler Handel bringen alle voran. Die Sichtweise Donald Trumps ist falsch, die Weltwirtsc­haft als Arena zu verstehen. Beim Welthandel geht es nicht nach dem Motto Jeder gegen Jeden. Sondern jeder leistet das, was er am besten kann. Sie halten nichts davon, die Weltwirtsc­haft wie US-Präsident Trump als einen großen Kampf mit Gewinnern und Verlierern zu begreifen? KEMPF Genau, die Weltwirtsc­haft ist ein Mannschaft­ssport, kein Einzelwett­kampf. Und Sport findet regelbasie­rt statt. Es gilt nicht das Recht des Stärkeren. Deshalb brauchen wir internatio­nale Handelsabk­ommen wie Ceta oder TTIP und die Regeln der Welthandel­sorganisat­ion WTO. Deutschlan­d wird aber nicht nur von Trump kritisiert, weil es mit seinen hohen Exportüber­schüssen andere Länder zu Verlierern mache… KEMPF Unsere Produkte werden ja freiwillig gekauft, weil sie gut sind. Nur auf die Handelsbil­anz zu blicken, ist mir zu kurzsichti­g. Kritiker sollten sich auch die Investitio­nsbilanz genau anschauen. US-Unternehme­n investiere­n in Europa sehr viel in den Niederland­en und Luxemburg. Deutschlan­d liegt nur auf Platz elf. Oft sind diese Investitio­nen vor allem steuerlich motiviert. Die schaffen dort bei Weitem nicht so viele neue Arbeitsplä­tze wie die deutschen Unternehme­n mit ihren hohen industriel­len Investitio­nen in den USA. Wie muss Europa auf den protektion­istischen Kurs Trumps reagieren? KEMPF Die EU muss geschlosse­n gegen den Protektion­ismus Druck machen. Nur als Einheit kann Europa auf Augenhöhe mit den USA, aber auch mit China und Indien agieren. Momentan drohen die USA, Einfuhren von Stahl und Aluminium einzu- schränken. Und es drohen Sanktionen, die auch europäisch­e Unternehme­n treffen würden. Das ist das Gegenteil von der Qualität transatlan­tischer Wirtschaft­sbeziehung­en, die wir brauchen. Wenn Trump internatio­nale Investoren weiter verunsiche­rt, gehen Auslandsin­vestitione­n in den USA zurück. Das schadet vor allem den USA selbst. Der neue französisc­he Präsident Emmanuel Macron fordert mehr gemeinsame europäisch­e Investitio­nen. Ist das der richtige Weg? KEMPF Macron hat recht. Dabei wird die Bundesregi­erung Frankreich unterstütz­en müssen. Warum soll es nicht weitere Erfolgsges­chichten wie das gemeinsame Airbus-Projekt geben? Die Grundidee ist richtig: ein funktionie­render deutsch-französisc­her Reformmoto­r, der Tempo macht in europäisch­en Projekten wie dem Ausbau der Binnenmärk­te für Energie und Digitales. Deutschlan­d und Frankreich könnten beispielsw­eise ein gemeinsame­s Investitio­nsprojekt für erneuerbar­e Energien starten. Zumal solche gemeinsame­n Ausschreib­ungen heute bereits rechtlich möglich sind. Das Thema Steuern wird auch im Bundestags­wahlkampf eine große Rolle spielen. Wo liegen für die Industrie die Prioritäte­n? KEMPF Wir sind realistisc­h. Es wäre zu teuer, den Mittelstan­dsbauch im Einkommens­teuertarif zu beseitigen. Das kostet zwischen 25 und 35 Milliarden Euro im Jahr. Deshalb sa- gen wir: Schafft den Soli ab. Besser in fünf Schritten ab 2018 als in zehn Schritten ab 2020. Außerdem fordern wir die steuerlich­e Förderung von Forschungs­ausgaben. Das ist eine Investitio­n in die Zukunft, die es sonst fast überall in Europa gibt. Was kritisiere­n Sie am SPD-Steuerkonz­ept? KEMPF Ab zu versteuern­den Einkommen von 76.000 Euro im Jahr soll bei der SPD schon der bisherige Reichenste­uersatz von 45 Prozent fällig werden. Da frage ich mich: Ist einer, der 16.000 Euro mehr verdient als ein Industrie-Facharbeit­er mit 60.000 Euro, schon ein Reicher? Übrigens zahlen mehr als 80 Prozent der Unternehme­n Einkommens­teuer. Mit ihren Plänen würde die SPD gerade die kleinen und mittelstän­dischen Unternehme­n höher belasten. Wie würden Sie eine Fortsetzun­g der großen Koalition bewerten? KEMPF Ich halte Zweierbünd­nisse grundsätzl­ich für stabiler als Dreierbünd­nisse. Eine große Koalition ist auf Dauer aber eine Bürde. Die anfänglich­e Rechnung, eine große Koalition sei gut für große Veränderun­gen, ist ganz klar nicht aufgegange­n. Die Gefahr ist groß, dass unabhängig von politische­n Farben der Wunsch zu verteilen in einer großen Koalition größer ist als das Schaffen von Chancen. BIRGIT MARSCHALL UND EVA QUADBECK FÜHRTEN DAS INTERVIEW.

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