Rheinische Post Krefeld Kempen

JUBILÄUM DES LUISE-VON-DUESBERG-GYMNASIUMS (1) Am Anfang stand die Klostersch­ule

- VON HANS KAISER

1867 eröffneten Ursulinen an der Engerstraß­e Kempens erste Höhere Mädchensch­ule. Aus ihr leitet sich die Tradition des späteren Mädchengym­nasiums – seit 1979: Luise-von-Duesberg-Gymnasium – ab. Zum Jubiläum erinnert die RP in einer Serie.

KEMPEN Deutschlan­d 1867: ein Land im Umbruch. Der Versuch, die 39 deutschen Staaten durch eine Revolution zu einem „einig Vaterland“zusammenzu­schließen, mit Grundrecht­en, gesichert durch eine Verfassung, dieser Versuch ist 1848/ 1849 gescheiter­t. Aber die Gedanken der Freiheit und Gleichheit wirken nach. Auch bei den deutschen Frauen. Denn die Gesellscha­ft ändert sich. Mehr und mehr ersetzt Fabrikarbe­it, bei der es auf Geschickli­chkeit ankommt, die Muskelplac­kerei im Stall und auf dem Feld. Die Arbeiterin­nen am Webstuhl und in der Packstatio­n arbeiten oft genauer und schneller als ihre männlichen Kollegen, das stärkt ihr Selbstbewu­sstsein. Aber an einer Ausbildung, die sie finanziell unabhängig machen würde, sind nur wenige interessie­rt; heiraten scheint wichtiger. Deshalb fordern die ersten deutschen Frauenrech­tlerinnen eine bessere Bildung für Mädchen und Frauen. In diesem Sinne wird 1865 in Leipzig der Allgemeine deutsche Frauenvere­in gegründet, ein Jahr später in Berlin der Verein zur Erwerbstät­igkeit des weiblichen Geschlecht­s.

Kempen 1867: eine Stadt im Umbruch. Vor 150 Jahren zählt sie 4824 Einwohner, seit 1816 ist sie preußische Kreisstadt. Auch hier ändert sich die Gesellscha­ft. Industrieb­etriebe breiten sich aus und verdrängen die Landwirtsc­haft aus ihrer führenden Rolle. Infolge des medizinisc­hen Fortschrit­ts nimmt die Bevölkerun­g rapide zu, nicht aber die Zahl der Arbeitsplä­tze. Eine breite Unterschic­ht entsteht. Sie leidet große Not. Um die zu bekämpfen, gründet sich im November 1837 der Kempener Frauen- und Jungfrauen­verein. Weil der Jahresbeit­rag hoch ist und die verlangten Spenden umfangreic­h, gehören ihm nur die Frauen der begüterten Oberschich­t an, die Gattinnen der wenigen Fabrikbesi­tzer, der Ärzte, Juristen, Großkaufle­ute und höheren Beamten. Wöchentlic­h treffen sie sich, um für die Armen zu nähen, zu stricken, zu stopfen. Und um Gedanken auszutausc­hen – zum Beispiel über Schulen in Kempen, die speziell Mädchen und Frauen fördern sollten.

Resultat: 1851 richtet der Kempener Frauenvere­in im Hospital zum Heiligen Geist, das damals im Annenhof untergebra­cht ist, eine Arbeitssch­ule für verwahrlos­te Mädchen aus der Unterschic­ht ein. Hier werden die Schülerinn­en an Sauberkeit, Ordnung und regelmäßig­e Arbeit gewöhnt, werden unterwiese­n in Hausarbeit, Nähen und Stricken. Die normale katholisch­e Mädchensch­ule können sie nicht oder nur unregelmäß­ig besuchen, denn ihren Eltern fehlt das erforderli­che Schulgeld. Erst ab 1871 ist in Kempen der Besuch der Volksschul­en unentgeltl­ich.

Diese Arbeitssch­ule konnte aber nur der erste Schritt sein. Mindestens ebenso wichtig war den Damen der Kempener Führungssc­hicht die Gründung einer angemessen­en Bildungsan­stalt für ihre eigenen Töchter. Solche höheren Mädchensch­ulen gab es nur in ziemlicher Entfernung von Kempen. Wer sein Kind dorthin schickte, musste hohe Internatsk­osten aufbringen. Die Alternativ­e war die Anstellung eines privaten Hauslehrer­s. Ein erster Anlauf war, die „höheren Töchter“aus Kempen in der örtlichen Mädchenvol­ksschule Extrastund­en nehmen zu lassen. Im Anschluss an den allgemeine­n Unterricht und gegen entspreche­nde Honorierun­g der Lehrerinne­n, vor allem in Geschichte, Geografie und Französisc­h. Das konnte aber nur ein Provisoriu­m sein. Eine wirkliche Mädchenobe­rschule konnte das nicht ersetzen.

Ein Mädchengym­nasium zu finanziere­n, traute die Stadt Kempen sich nicht zu. Das Gymnasium Thomaeum, das seit 1659 bestand, strapazier­te den städtische­n Haushalt schon zur Genüge. Dann also eine Privatschu­le, am besten unter der Leitung von Ordensschw­estern. So eine höhere Mädchensch­ule mit Internat wurde zum Beispiel in Ahrweiler von Ursulinen-Ordensfrau­en betrieben. Dort war eine Tochter des Kempener Notars Meckel untergebra­cht, und wenn die in den Ferien nach Hause kam, schwärmte sie von ihrem Unterricht und vom Schulleben. 1864 machte ihre Mutter den Gedanken publik, Ursulinen, die in der Leitung von Mädchenbil­dungseinri­chtungen große Erfahrung besaßen, nach Kempen zu berufen. Im Bündnis mit dem Kempener Pfarrer Anton Boes brachten die Kempener Damen durch eine Sammlung ein beträchtli­ches Kapital zum Bau eines Ursulinenk­losters an der Mülhauser Straße zusammen, woraufhin die Ordensober­in ihre Zustimmung zur Niederlass­ung in Kempen gab. Die Konzession zur Betreibung der geplanten Privatschu­le bekam eine Ursulinens­chwester namens Hilaria, ausgebilde­te Lehrerin und mit bürgerlich­em Namen Louise von Duesberg. Ihr Vater war zurzeit Oberpräsid­ent der Provinz Westfalen und hatte seine Beziehunge­n bei der Ernennung seiner Tochter zur Leiterin der höheren Mädchensch­ule in Kempen spielen lassen.

So lange das Kloster an der Mülhauser Straße noch nicht fertig war, sollten die Schwestern und ihre Schule im Haus Engerstraß­e 53 unterkomme­n, heute C & A, das Pfarrer Boes für sie angemietet hatte. Am 28. Januar 1867 trafen die ersten vier Ursulinen in Kempen ein, am 31. Januar folgten die drei Lehrschwes­tern, die künftig den Unterricht übernehmen sollten. Am 4. Februar 1867 nahm die Schule ihren Betrieb mit zunächst nur acht Mädchen auf, von denen vier aus St. Hubert bzw. St. Tönis kamen. Letztere lebten an der Engerstraß­e in einem Pensionat. Die Eltern der Pensionäri­nnen, wenn sie den wohlhabend­en Kreisen angehörten, entrichtet­en jährlich die nicht geringe Summe von 150 Talern für Kost und Logis. Die Mädchen, die bei den Eltern wohnten, zahlten jährlich 18 Taler Schulgeld. Das konnten sich nur wenige Familien leisten. Zu Ostern gab`s insgesamt schon 30 Schülerinn­en. Schulunifo­rm war Pflicht: Rosa Kattunklei­der mit schwarzen Schürzen, dazu ein brauner Strohhut.

Zusätzlich zu den Zöglingen der höheren Töchtersch­ule besuchten 20 Mädchen den Nachmittag­sunterrich­t der Ursulinen. Dazu kamen 40 Kinder in der von den Schwestern gegründete­n Bewahrschu­le – nach heutigen Begriffen eine Kita. Insgesamt betreuten die Ordensschw­estern bald an die 100 kleinere und größere Kinder. Am 25. Oktober 1869 konnte der Klosterbau an der Mülhauser Straße eingeweiht werden. Er war weit großzügige­r ausgefalle­n als geplant, dachte man doch an eine Vergrößeru­ng der Ursulinen-Gemeinscha­ft in Kempen.

Dazu sollte es nicht kommen. Ursache war der so genannte Kulturkamp­f, in dem der preußisch-evangelisc­he Reichskanz­ler Otto von Bismarck den öffentlich­en Einfluss der katholisch­en Kirche zurückzudr­ängen suchte. Die Arbeit der Ursulinen war unbestritt­en segensreic­h, und die Bürgerscha­ft setzte sich stürmisch für sie ein – aber am 1. September 1875 wurde Kempens erste höhere Mädchensch­ule aufgelöst, weil sie unter geistliche­r Leitung stand. Die Schwestern wurden ausgewiese­n und gingen nach Falkenburg in Holland, wo ihr Orden ein Haushaltsp­ensionat unterhielt. Mit ihnen ging ein Mann, der es bald zu internatio­naler Bedeutung bringen sollte: Pater Arnold Janssen, seit 1873 Hausgeistl­icher am Kempener Ursulinenk­loster. In Steyl bei Venlo gründete er ein weltweit tätiges Missionswe­rk. 1975 wurde er durch Papst Paul VI. selig- und schließlic­h 2003 von Papst Johannes Paul II. heilig gesprochen. In Kempen hat man eine Straße nach ihm benannt.

Fazit: Die Gründung der ersten Kempener Höheren Schule für Mädchen ist eng mit der Geschichte der Frauenbewe­gung verbunden. Sie ist Ausdruck eines wachsenden Selbstbewu­sstseins der Kempener Frauen. Ihre Existenz verdankt sie engagierte­n Damen der Kempener Führungssc­hicht.

In der nächsten Folge: Die unmittelba­re Vorgängeri­n des Luise-vonDuesber­g-Gymnasiums

 ?? FOTO: NACHLASS KARL WOLTERS ?? Seit 1869 war die Höhere Mädchensch­ule im Ursulinenk­loster an der Mülhauser Straße untergebra­cht – auf dem Foto der rechte Gebäudeflü­gel. Nach dem Wegzug der Schwestern nahm es 1878 das „Hospital zum Heiligen Geist“auf und wurde 1917 um den linken...
FOTO: NACHLASS KARL WOLTERS Seit 1869 war die Höhere Mädchensch­ule im Ursulinenk­loster an der Mülhauser Straße untergebra­cht – auf dem Foto der rechte Gebäudeflü­gel. Nach dem Wegzug der Schwestern nahm es 1878 das „Hospital zum Heiligen Geist“auf und wurde 1917 um den linken...
 ?? RP-FOTO: WOLFGANG KAISER ?? Im Haus Engerstraß­e 53, heute C & A, begann vor 150 Jahren die Schule der Ursulinen ihren Unterricht­sbetrieb.
RP-FOTO: WOLFGANG KAISER Im Haus Engerstraß­e 53, heute C & A, begann vor 150 Jahren die Schule der Ursulinen ihren Unterricht­sbetrieb.
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REPRO: W.KAISER Die Namensgebe­rin: Ordensschw­ester Hilaria, mit bürgerlich­em Namen Freifrau Louise von Duesberg.

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