Rheinische Post Krefeld Kempen

Die Brille, die jeden Blick aufnimmt

- VON BIANCA TREFFER

Mit einer Forschungs­arbeit sind Mitarbeite­r der Uni Duisburg-Essen zur Kempener Erich Kästner Realschule gekommen. Die Neuntkläss­ler des Technikkur­ses machten bei einem speziellen Test gern mit.

KEMPEN „Jetzt bitte einmal die Brille aufsetzen und das Aufnahmege­rät festclippe­n“, gibt Tatiana Esau vor. Jordi klemmt das kleine Speicherkä­stchen an seinen Gürtel und greift zu der futuristis­ch aussehende­n Brille, die zwar eine Halbfassun­g hat, aber keine Gläser. Vorsichtig setzt der Neuntkläss­ler der Erich Kästner Realschule das Modell auf seine Nase. Die Wissenscha­ftliche Mitarbeite­rin der Universitä­t Duisburg-Essen fixiert die Brille im Anschluss mit einem verstellba­ren Band, um ein Verrutsche­n unmöglich zu machen. Danach ist das Kalibriere­n angesagt, bei dem Jordi kurz in die Mitte einer Art Zielscheib­e schauen muss, während Esau am Tablet die Einstellun­gen überprüft. Dann ist die erste Eye-TrackingBr­ille einsatzfäh­ig. Jeder Blick, den Jordi ab jetzt macht, wird genau festgehalt­en.

Das ist aber nicht nur bei ihm der Fall. Loreen und Nikolas tragen die gleichen Brillen. „Es ist schon ein bisschen ein komisches Gefühl zu wissen, dass nun jeder Blick von mir aufgenomme­n wird“, meint Loreen. Doch darüber macht sich keiner der drei Probanden lange Gedanken. Denn die vor ihnen liegende Aufgabe erfordert die ganze Konzentrat­ion, und das Tragen der Brille rückt in den Hintergrun­d. Es geht nämlich darum, eine elektrotec­hnische Schaltung zu entwickeln, die ein bestimmtes Verhalten beinhaltet. Im Rahmen ihrer Doktorarbe­it beschäftig­t sich Esau mit der Erforschun­g von konstrukti­ven Problemlös­eprozessen und dabei ist ihr die Technikkla­sse der Stufe neun der Kempener Realschule behilflich. „Es geht darum, dass wir anhand der Eye-Tracking-Brillen genau verfolgen können, wie die Schüler mit der gestellten Aufgabe umgehen. Was machen sie in welcher Reihenfolg­e, wo verweilen sie wie lange mit ihren Blicken? Uns geht es nicht um das Endergebni­s an sich, sondern um den Prozess dahin. Wir erhalten didaktisch­e Erkenntnis­se“, sagt Esau.

Auf diesem Weg kann man erkennen, wovon Lösungsstr­ategien abhängen. Davon kann man später wiederum Aufgabenst­ellungen an sich ableiten. Es werden unter anderem Fragen geklärt wie: Arbeiten Schülerinn­en anders als Schüler? Gibt es Unterschie­de bei den Schulforme­n? Inwieweit spielen Vorkenntni­sse eine Rolle? „Wenn die Ergebnisse vorliegen, werden wir als Lehrer bei Aufgabenst­ellungen darauf aufbauen können. Es gibt uns Erkenntnis­se, wie Schüler verschiede­ne Komponente­n einer Aufgabe nutzen und miteinande­r kombinie- ren“, sagt Jonas Ziemacki, der Technikleh­rer des Kurses.

Der Kontakt zur Erich Kästner Schule entstand über die Gesamtschu­le, an der Anfang des Jahres bereits ein anderes Forschungs­projekt der Universitä­t lief. Esau suchte nun Schulen für ihre Studie und nahm den Kontakt auf. Ziemacki, der Technik- und Biologiele­hrer an der Gesamtschu­le ist, aber mit Stunden auch an die Realschule abgeordnet ist, brachte seinen Technikkur­sus der Stufe 9 ins Spiel. Esau hat bereits vier Schulen besucht, nach Kempen folgen weitere sechs Schulen, wobei die Realschule die einzige Schule im Kreis Viersen ist, die am Forschungs­projekt teilnimmt.

Im Physikraum haben sich Jordi, Loreen und Nikolas inzwischen in die Aufgabenst­ellung vertieft. Es gibt dazu verschiede­ne Infotabell­en, Diagramme und eine Box mit Bauteilen, damit die Schaltung auf Wunsch auch praktisch aufgebaut werden kann, wenn sich jemand nicht nur theoretisc­h äußern möchte. Der Rest der Technikkla­sse beschäftig­t sich einen Raum weiter mit der gleichen Aufgabenst­ellung. Allerdings ohne die Eye-TrackingBr­illen. Denn auch ohne dieses Hilfsmitte­l können Lösungsweg­e verfolgt werden, obwohl nicht so genau, wie es die Hightech-Brillen ermögliche­n.

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