Rheinische Post Krefeld Kempen
Thomas Ruff belichte
Der berühmte Fotokünstler würdigt das Düsseldorfer Schauspielhaus
des Theaters zu unterstützen. Die Fotos sind als Sondereditio
Die Werkhalle des Fotografen ist leer. Hell leuchten die kahlen Wände in dem Raum, der mit den hohen Decken und dem Betonboden wie ein Museum wirkt und zugleich wie eine Fabrikhalle. Sonst hängen dort großformatige Fotografien von Thomas Ruff. Seine geheimnisvollen Abbilder des Sternenhimmels etwa, Bearbeitungen von Aufnahmen aus einem Observatorium in den Anden. Oder verwischte Pornoszenen aus dem Internet der Serie „Nudes“. Doch die meisten Arbeiten sind gerade ausgeliehen. Ein Teil ist in London zu sehen, andere in Bologna. Und eigentlich passt die geräumige Leere des Ateliers, diese stille Nüchternheit, ganz gut zu Thomas Ruff.
Der ist einer der Großen der internationalen Fotokunstszene, dessen Bilder in New York, Wien, Gent, Tokio gezeigt und für teilweise fünfstellige Beträge gehandelt werden. Doch Ruff, 59, ist kein Künstlerfürst. Keiner, der mit großer Geste durch sein Atelier führen und die eigenen Werke wortreich ausdeuten würde. Lieber steht er in der hellen Halle, die er sich von den Schweizer Architekten Herzog & de Meuron entwerfen ließ, vor der großen Scheibe zum Garten, blickt auf den Herbst und erzählt, dass seine Kinder gleich jenseits der Mauer zur Schule gehen. Und dass es ein Glück sei, diesen zentral gelegenen und doch so ruhigen Ort im Düsseldorfer Stadtteil Oberkassel gefunden zu haben.
Die Tür in den Garten steht einen Spalt breit offen, ein schokobrauner Pudel rennt herein. Ruff nimmt das federleichte Tier auf den Arm, spricht weiter, beantwortet geduldig Fragen zu seiner Arbeit, seinem Atelier. Und zu den seltsamen Fundstücken, die auf den Arbeitstischen stehen. Flugzeuge und Raketenmodelle, aufgespießt auf dünnen Pinnen wie kostbare Exemplare in einer Schmetterlingssammlung. In der Mitte steht ein besonders ausladendes Teil. „Eine Mir Raumstation“, sagt Ruff. Er nimmt es genau mit den Dingen. Solche Sachen finde er im Internet. Warum er sich damit umgibt? Weil sie ihm gefallen.
Auch die Werke von Thomas Ruff tragen dieses Moment des zufälligen Gefallens, diesen Restbestand künstlerischer Subjektivität in sich. Etwas erregt das Interesse des Künstlers, dann beginnt er zu recherchieren, tastet sich vor in fremde Bildwelten und entwickelt ein eigenes Konzept, das immer auch eine technische Herausforderung in sich birgt. So erkundet Ruff mit jeder neuen BilderSerie die Frage, was Fotografie ist, transponiert alte Techniken ins digitale Zeitalter. Und zwingt Kuratoren und Kunstkritiker, neues Vokabular zu entwickeln für seine aus der Fotografie geschöpfte Kunst.
So war es bei den Mars-Aufnahmen, die er auf Internet-Seiten der Nasa fand und digital so bearbeitete, dass sie wirken, als seien sie aus einem Flugzeugfenster fotografiert. Das galaktisch Ferne rückt zum Greifen nahe, und das Medium Fotografie beweist, dass es nichts verpflichtet ist. Außer der Wahrheit.
Auch seine Nachtbilder – Gebäudeansichten, die er wie ein Aufklärungssoldat mit einem Nachtsichtgerät anfertigte, weiten mit ihren Verfremdungseffekten das Spektrum der Aufnahmetechnik wie der Wahrnehmung von Fotografie. Immer wieder arbeitet Ruff mit fremdem Material, lenkt durch solche Aneignungen den Blick auf eine bestimmte Phase der Zeitgeschichte – und eine Epoche der Fotografie.
Besonders deutlich etwa in der Serie „press++“. Dafür sammelte Ruff alte Pressebilder – Werke anderer Fotografen, die entstanden, als in Redaktionsstuben noch Bildausschnitte mit Fettstift auf dem Foto markiert und Bildinformationen auf der Rückseite handschriftlich vermerkt wurden.
Diese Angaben projiziert Ruff vorn auf die Fotos, was eine reizvolle Überlagerung von Bild und grafischen Elementen ergibt. So macht der Künstler aus Alltagsfotografien Werke, die das Medium und dessen Verwendung zu einer bestimmten Zeit reflektieren. Seine Werke. Ruff rettet die Aufnahmen anderer vor dem Vergessen, macht sie zugleich aber als Gebrauchsgegenstände kenntlich, mit denen oft rüde verfahren wurde.
Ruff öffnet einen Umschlag aus dem Archiv der Rheinischen Post. Auch vom Düsseldorfer Schauspielhaus existieren alte Presseaufnahmen mit deutlichen Gebrauchsspuren. Ruff nimmt den ersten Packen Schwarz-Weiß-Fotos heraus, betrachtet die Motive und die roten Fettstift-Linien, mit denen einst Bildschnitte festgelegt wurden. Interessiert ihn ein Motiv, wendet er das Foto, betrachtet die Angaben hinten: „2sp“steht da etwa für
„Das Schauspielhaus ist
so bedeutend für die Stadt, dass ich mithelfen möchte, es zu erhalten“
Thomas Ruff
Fotokünstler
„zweispaltig“, wenn das Foto auf zwei Textspalten gedruckt wurde. Dazu Stichworte, Erscheindaten, Stempel der Fotografen. Unruhige Fotos, auf denen viel Kleinteiliges zu sehen ist, sortiert der Fotokünstler sofort aus. Darauf würden die gespiegelten Angaben von der Rückseite verschwinden.
Bald hat er eine engere Auswahl getroffen. Fotos aus den 1960er Jahren von Modellen des geplanten Pfau-Baus, ein paar Baustellenbilder, ruhige Außenansichten. Ob sie tauglich sind, wird sich erst erweisen, wenn Ruff am Computer die Rückseite auf das Foto projiziert. „Da greif ich nicht ein“, sagt er, „die Schrift fällt, wohin sie fällt. Und wenn das mit dem eigentlichen Motiv kein stimmiges Bild ergibt, ist das Bild eben nicht geeignet.“
Am Ende wird sich Ruff für ein Foto von Ulrich Horn entscheiden, der 40 Jahre als fester Fotograf für die Rheinische Post gearbeitet hat. Es zeigt, seitlich angeschnitten, die Fassade des Schauspielhauses, im Fluchtpunkt des Bildes das Dreischeibenhaus. Als Ruff am Computer die Beschriftung von der Rückseite des Fotos nach vorn spiegelt, landet der rote Stempel des Fotografen sowie die handschriftlichen Angaben genau auf der weißen Fassade des Theaters. „Das ist perfekt“, sagt Ruff, „das Bild hat Ruhe, die Spuren der Bearbeitung sehen gut aus, das ergibt ein Ganzes.“
Das Pressefoto in Schwarz-Weiß ist das erste Motiv, das Ruff in kleiner Auflage zur Verfügung stellt, um die Renovierung des Schauspielhauses zu unterstützen. Als man ihn im Sommer fragte, ob er sich an der Kampagne „Schauspielhaus 2020“beteiligen wolle, hat er gleich zugesagt. „Das Schauspielhaus ist als architektonisches Zeichen so bedeutend für die Stadt, dass ich als Künstler, der in Düsseldorf lebt, mithelfen möchte, es zu erhalten“, sagt er. Und fügt dann noch an: „Das war für mich keine Frage.“
Ruff ist im Schwarzwald aufgewachsen. Man hört das noch ein wenig, wenn er spricht. In Düsseldorf lebt er, seit er Ende der 1970er Jahre die Akademie besuchte. Seither hat er die Vorstellungen davon, was Fotografie ist, mit jeder neuen Werkgruppe geweitet,