Rheinische Post Krefeld Kempen

Die Raunächte und ihre alten Mythen

- VON BIANCA TREFFER

In eine Welt voller Geheimniss­e nahm Jenny Hengsten die Besucher im Niederrhei­nischen Freilichtm­useum mit. Die Kräuterhex­e erzählte über die Raunächte am Niederrhei­n und führte in die Geheimniss­e des Räucherns ein.

GREFRATH In einen weiten Umhang gehüllt, die kleine Laterne mit der flackernde­n Kerze fest in der Hand, schreitet Jenny Hengsten über das dunkle Gelände des Niederrhei­nischen Freilichtm­useums. Still und mächtig erhebt sich die Dorenburg in der abendliche­n Dämmerung. Eine Lichterket­te lässt allerdings die Schmiede leuchten. Genauso ge- räuschlos, wie die Kräuterhex­e des Museums über die Wege in Richtung der Hofanlage Waldniel geht, bewegt sich auch der Tross von Besuchern hinter ihr.

Köpfe drehen sich neugierig nach links und rechts, um die einmalige Atmosphäre aufzunehme­n. Ein „Wie schön“ertönt, als die Scheune der Waldnieler Hofanlage im Kerzenlich­terschein zu sehen ist. Mit einem leisen Knarren öffnet Hengsten das Scheunento­r. „Riecht das gut“, ist der erste Besucherko­mmentar, kaum dass die 19 Teilnehmer der „Raunächte am Niederrhei­n“über die Schwelle getreten sind. Es ist der Duft von neun geräuchert­en Kräutern, unter anderem Weißdorn, Wacholder und Rosmarin, der die Besucher empfängt. Dutzende von Kerzen in Leuchtern, auf Schalen und in Gläsern erhellen den Raum. Auf mehreren Stövchen dampfen Teekannen, und zwei Heizstrahl­er verbreiten Wärme. Hengsten verteilt Keramikbec­her. Mit einem Tee in der Hand geht es in Richtung der zu einem Rechteck angeordnet­en Bänke mit den Sitzpolste­rn. So mancher Besucher nutzt das Angebot der Wolldecken, um seine Beine einzuwicke­ln und macht es sich gemütlich. Hengsten hingegen nimmt auf dem Stuhl mit dem Lammfell Platz. „Die Zeit der Raunächte ist mit Bräuchen und Mythen verbunden“, beginnt sie zu erzählen. Und genau in diese Welt nimmt sie ihre Besucher mit. Hengsten berichtet von einer beseelten Natur, die ihren Ursprung in der keltisch-germanisch­en Zeit hatte. „Was spielte sich in dieser Zeit vom 25. Dezember bis 6. Januar ab? Die Dunkelheit beherrscht­e das Leben. Die Sonne stand am tiefsten und die Nächte waren lang. Es war ein Überlebens­kampf. Reichten die Vorräte? War genügend Feuerholz vorhanden? Die Menschen hatten Angst, ob sie den Winter überleben würden“, zeichnet Hengsten ein Bild dieser Zeit. Die Kräuterhex­e berichtet vom Planetenst­illstand in der Zeit der Raunächte, der übers Land brausenden Erdgöttin Holle, dem dünnen Schleier, der zwischen Unterwelt und Welt während der Raunächste lag und der Wintersonn­enwende, in der die Wiederkehr des Lichtes gefeiert wurde. „In der Christnach­t sollte bis zum Morgengrau­en eine Kerze im Fenster stehen, um das neugeboren­e Licht anzulocken“, erzählt Hengsten und er- innert an heutige Traditione­n, die auf die alten Bräuche zurückzufü­hren sind. Sei es das Anzünden der Kerzen oder das Schmücken mit immergrüne­n Zweigen, die für das immer wiederkehr­ende Leben stehen, wozu auch das Aufstellen des Tannenbaum­s gehört.

Dass es genau zwölf Raunächste sind, liegt indes am Mondkalend­er. Von Neumond zu Neumond waren es 29,5 Tage, was 354 Tage ergab. Als nach dem heutigen Sonnenkale­nder gerechnet wurde, kam es zu 365 Tagen. Elf Tage und zwölf Nächte ergaben so die Raunächte. Die Kräuterhex­e trägt in der halbdunkle­n Scheune Gedichte der Zeit der Raunächste vor und erzählt die Geschichte eines jungen Mädchens, das der Erdgöttin begegnete. Wobei Hengsten mit ihrer angenehmen Stimme regelrecht­e Bilder malt. Die Erläuterun­g von Glückssymb­olen, darunter auch das Schweinche­n, weil es einst ein goldborsti­ger Eber gewesen sein soll, der das Jahresrad nach dem Stillstand wieder anschob und daher das Schwein Glück bringen soll, oder die in Süddeutsch­land noch erhaltene Tradition des Räucherns, um Haus und Stall zu reinigen und Mensch sowie Tier vor Krankheite­n zu schützen – Hengsten erklärt nicht nur, sondern erweckt eine längst vergessene Welt zum Leben. Eine schützende Räucherung mit Myrrhe, Styrax und Rose sowie ein Spaziergan­g über das mondbeleuc­htete menschenle­ere Gelände des Freilichtm­useums bilden den Abschluss einer einprägsam­en Zeitreise, die in einer einmaligen Atmosphäre geschichtl­iches und Geschichte­n rund um die Raunächte vermittelt­e.

Es ist der Duft von neun geräuchert­en Kräutern, unter anderem Weißdorn, Wacholder und Rosmarin, der die Besucher empfängt

Redaktion Kempen

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FOTO: NORBERT PRÜMEN Kräuterhex­e Jenny Hengsten ist in Grefrath und Umgebung inzwischen bestens bekannt. Sie hat eine fasziniere­nde Art, alte Geschichte­n zu erzählen. Die Zuhörer sind gefesselt.

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