Rheinische Post Krefeld Kempen
Die Groko muss jünger werden
Nun soll es schnell gehen. Die Kanzlerin will in einer Woche die Verhandlungen mit der SPD beenden. Sie fürchtet, dass die Bevölkerung die Geduld (mit ihr) verliert. Nicht zu Unrecht: Die langwierige Regierungsbildung zeigt auch die Schwäche der Frau, die die Regierung anführen will. Der angeschlagene SPD-Chef Schulz muss rasch einen Vertrag vorlegen, damit die Debatte um seine Rolle in der Partei nicht zu laut wird. Schulz‘ Äußerungen, dass er nie in ein Kabinett Merkel eintreten werde, sind omnipräsent. Er plant dennoch die Kehrtwende. Keine vertrauensbildende Maßnahme, auch wenn er ein guter Außenminister wäre. Es geht aber gar nicht um Schulz. Das Kabinett muss ein Signal geben, dass kein „Weiter so“geplant ist. Weiblicher, jünger, digitaler. Die geplanten sozial- und rentenpolitischen Verteilungsmaßnahmen sind ein milliardenschwerer Vertrag zu Lasten künftiger Generationen, auch wenn es gute Argumente gibt für eine Grundrente für jene, die wegen Familienbetreuung und Mini-Löhnen kaum vorsorgen konnten. In der konkreten Regierungsarbeit müssen die Jüngeren in Union und SPD darauf achten, dass das Land nicht über seine Verhältnisse lebt, mutig in Zukunftstechnologien und -strukturen investiert. Das geht am besten als Mitglied im Kabinett. BERICHT CDU WARNT VOR STEIGENDEN BEITRÄGEN, TITELSEITE
BGiftige Boomzeiten
oomzeiten sind schlechte Zeiten für Tarifverhandlungen – jedenfalls aus Sicht der Arbeitgeber. Das erfahren gerade Metall- und Elektroindustrie. Die Forderung der IG Metall ist eine Zumutung – nicht wegen der Lohnwünsche, sondern wegen der 28-Stunden-Woche mit Lohnausgleich. Die Gewerkschaft will die Unternehmen für Aufgaben wie Pflege und Kinderbetreuung zahlen lassen, die allenfalls eine gesellschaftliche ist. Doch weil die Orderbücher voll sind, ist die IG Metall mächtig wie nie. Schon 24-Stunden-Warnstreiks werden der Autoindustrie weh tun. Hier werden sich die Arbeitgeber kreative Zugeständnisse einfallen lassen müssen.
Boomzeiten sind auch schlechte Zeiten für Koalitionsverhandlungen. Die Pläne der Groko-Sondierer lesen sich bereits wie ein Wünsch-dir-was auf Kosten der Steuer- und Beitragszahler. Um den Zankapfel Bürgerversicherung aus dem Weg zu räumen, dürften sie weitere Milliarden nachlegen. Eigentlich müssten sie eine Gesundheits- und Rentenreform vorantreiben. Denn jede Party geht mal vorbei, und der Boom jetzt beseitigt nicht die demografische Krise 2030. BERICHT BOOM HEIZT LOHNSTREIT AN, TITELSEITE
Neue grüne Chance
Mit Robert Habeck und Annalena Baerbock an der Spitze werden die Grünen frischer, kraftvoller und überraschender. Beide beherrschen den publikumswirksamen Auftritt, beide sind starke Persönlichkeiten mit Strahlkraft. Habeck wird die vielen Vorschusslorbeeren ab sofort aber auch einlösen müssen. Mit seiner Bewerbungsrede für den Parteivorsitz ist ihm das noch nicht gelungen. Dazu war er zu unkonkret. Wohin er mit den Grünen will, blieb nebulös. Baerbock war zur Überraschung vieler auf dem Parteitag einfach besser.
Wichtig für die Grünen ist der rasche Blick nach vorn. Denn gerade formiert sich die Groko. Sie hat wenig Ideen für die Zukunft: Viel will sie für Rentner tun, wenig fällt ihr etwa zur Gestaltung der digitalen Arbeitswelt ein. Die Schwäche von Union und SPD ist eine Chance für die Grünen – wenn es ihnen gelingt, sich vor allem gegen rechte, aber auch linke Extremisten als linksliberale, pragmatische Alternative mit zukunftstauglichen Antworten zu etablieren. Dann können die neuen Grünen aus allen Lagern, nicht nur von SPD und Linken, mit Zulauf rechnen. POLITIK