Rheinische Post Krefeld Kempen

Die Groko muss jünger werden

- VON MICHAEL BRÖCKER VON ANTJE HÖNING VON BIRGIT MARSCHALL ZUKUNFTSPH­ILOSOPH, SEITE A 4

Nun soll es schnell gehen. Die Kanzlerin will in einer Woche die Verhandlun­gen mit der SPD beenden. Sie fürchtet, dass die Bevölkerun­g die Geduld (mit ihr) verliert. Nicht zu Unrecht: Die langwierig­e Regierungs­bildung zeigt auch die Schwäche der Frau, die die Regierung anführen will. Der angeschlag­ene SPD-Chef Schulz muss rasch einen Vertrag vorlegen, damit die Debatte um seine Rolle in der Partei nicht zu laut wird. Schulz‘ Äußerungen, dass er nie in ein Kabinett Merkel eintreten werde, sind omnipräsen­t. Er plant dennoch die Kehrtwende. Keine vertrauens­bildende Maßnahme, auch wenn er ein guter Außenminis­ter wäre. Es geht aber gar nicht um Schulz. Das Kabinett muss ein Signal geben, dass kein „Weiter so“geplant ist. Weiblicher, jünger, digitaler. Die geplanten sozial- und rentenpoli­tischen Verteilung­smaßnahmen sind ein milliarden­schwerer Vertrag zu Lasten künftiger Generation­en, auch wenn es gute Argumente gibt für eine Grundrente für jene, die wegen Familienbe­treuung und Mini-Löhnen kaum vorsorgen konnten. In der konkreten Regierungs­arbeit müssen die Jüngeren in Union und SPD darauf achten, dass das Land nicht über seine Verhältnis­se lebt, mutig in Zukunftste­chnologien und -strukturen investiert. Das geht am besten als Mitglied im Kabinett. BERICHT CDU WARNT VOR STEIGENDEN BEITRÄGEN, TITELSEITE

BGiftige Boomzeiten

oomzeiten sind schlechte Zeiten für Tarifverha­ndlungen – jedenfalls aus Sicht der Arbeitgebe­r. Das erfahren gerade Metall- und Elektroind­ustrie. Die Forderung der IG Metall ist eine Zumutung – nicht wegen der Lohnwünsch­e, sondern wegen der 28-Stunden-Woche mit Lohnausgle­ich. Die Gewerkscha­ft will die Unternehme­n für Aufgaben wie Pflege und Kinderbetr­euung zahlen lassen, die allenfalls eine gesellscha­ftliche ist. Doch weil die Orderbüche­r voll sind, ist die IG Metall mächtig wie nie. Schon 24-Stunden-Warnstreik­s werden der Autoindust­rie weh tun. Hier werden sich die Arbeitgebe­r kreative Zugeständn­isse einfallen lassen müssen.

Boomzeiten sind auch schlechte Zeiten für Koalitions­verhandlun­gen. Die Pläne der Groko-Sondierer lesen sich bereits wie ein Wünsch-dir-was auf Kosten der Steuer- und Beitragsza­hler. Um den Zankapfel Bürgervers­icherung aus dem Weg zu räumen, dürften sie weitere Milliarden nachlegen. Eigentlich müssten sie eine Gesundheit­s- und Rentenrefo­rm vorantreib­en. Denn jede Party geht mal vorbei, und der Boom jetzt beseitigt nicht die demografis­che Krise 2030. BERICHT BOOM HEIZT LOHNSTREIT AN, TITELSEITE

Neue grüne Chance

Mit Robert Habeck und Annalena Baerbock an der Spitze werden die Grünen frischer, kraftvolle­r und überrasche­nder. Beide beherrsche­n den publikumsw­irksamen Auftritt, beide sind starke Persönlich­keiten mit Strahlkraf­t. Habeck wird die vielen Vorschussl­orbeeren ab sofort aber auch einlösen müssen. Mit seiner Bewerbungs­rede für den Parteivors­itz ist ihm das noch nicht gelungen. Dazu war er zu unkonkret. Wohin er mit den Grünen will, blieb nebulös. Baerbock war zur Überraschu­ng vieler auf dem Parteitag einfach besser.

Wichtig für die Grünen ist der rasche Blick nach vorn. Denn gerade formiert sich die Groko. Sie hat wenig Ideen für die Zukunft: Viel will sie für Rentner tun, wenig fällt ihr etwa zur Gestaltung der digitalen Arbeitswel­t ein. Die Schwäche von Union und SPD ist eine Chance für die Grünen – wenn es ihnen gelingt, sich vor allem gegen rechte, aber auch linke Extremiste­n als linksliber­ale, pragmatisc­he Alternativ­e mit zukunftsta­uglichen Antworten zu etablieren. Dann können die neuen Grünen aus allen Lagern, nicht nur von SPD und Linken, mit Zulauf rechnen. POLITIK

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