Rheinische Post Krefeld Kempen

„Ein Lehrstück der Verrohung“

- VON SILVIA RUF-STANLEY

Bei der kreisweite­n Gedenkvera­nstaltung zum Jahrestag der Befreiung des Konzentrat­ionslagers in Auschwitz sprach Ludger Joseph Heid über die Wannsee-Konferenz im Jahr 1942. Auch an der Stele am Rathaus in Kempen wurde erinnert.

KEMPEN Er sei ein Freund klarer Worte, sagte Privat-Dozent Dr. Ludger Joseph Heid am Samstagabe­nd nach seinem Vortrag zum Holocaust-Gedenktag im kurzen Gespräch mit unserer Zeitung. Dies stimmt. Gerade deshalb beeindruck­te sein Vortrag über die Wannsee-Konferenz am 20. Januar 1942 die zahlreiche­n Besucher im Rokokosaal des Kulturforu­ms Franziskan­erkloster so sehr. Dies war wie in jedem Jahr die Auftaktver­anstaltung zum ersten Semester der Kreisvolks­hochschule und ist die kreisweite Gedenkvera­nstaltung zum Jahrestag der Befreiung des Konzentrat­ionslagers in Auschwitz. Der ehemalige Bundespräs­ident Roman Herzog hat diesen Tag, der bundesweit immer am 27. Januar begangen wird, eingericht­et.

Heid führte sein Publikum zunächst vorsichtig in die Geschichte ein. Alles begann mit der sogenannte­n Arisierung jüdischer Geschäfte und Immobilien. Davon profitiert­en viele, auch ein so bekannter Schauspiel­er wie Heinz Rühmann. An der Adresse „Am großen Wannsee” Nummer 56 bis 58 befand sich eine Villa, die den Nationalso­zialisten als Gäste- und Schulungsh­aus diente. Dort trafen sich am 20. Januar 1942 hochrangig­e Vertreter des Staates, aus der Justiz und dem Militär, um die Abwicklung des Holocausts zu besprechen.

Dabei ging es nicht mehr um die Entscheidu­ng, sämtliche Juden zu deportiere­n oder zu ermorden, sondern es ging um das „Wann, Wie und Wo der Vernichtun­g”, wie es Heid ausdrückte. Adolf Hitler hatte schon am 12. Dezember 1941 ganz deutlich gesagt, dass die Juden Auslöser des Krieges seien und vernichtet werden müssten. Nun traf sich hier, so Heid, ein „akademisch­er und ehrgeizige­r Zirkel” von Men- schen, die dies genau planten. Sie seien fest davon überzeugt gewesen, „auf legale Weise den deutschen Lebensraum von Juden zu räumen”. Die Herren waren sich in der Sache so einig, dass sie für die Details nur wenig Zeit benötigten und anschließe­nd ein Frühstück und hochprozen­tige Getränke genossen.

Es ist schon zynisch, dass keiner der Anwesenden nur einen Funken Unrechtsbe­wusstsein dabei hatte, dass es hier um die Zerstörung von Millionen Existenzen und den geplanten Tod der jüdischen Mitbürger ging. Zu Skrupel oder Zweifeln an der Richtigkei­t gebe es keinerlei Hinweise im einzig verblieben­en Protokoll der Sitzung, sagte der Historiker. Dies sei „ein Lehrstück der Verrohung”. Der Staat habe die abstoßende Fratze gezeigt. Und dies ausgerechn­et in einem Land, welches eigentlich stolz auf hoch entwickelt­e geistige Elite sein konnte.

Erschrecke­nd war dann auch, dass die Täter mit ihrer Meinung, dass ihnen nichts passieren konnte, recht behielten. Wenn sie überhaupt nach dem Zweiten Weltkrieg vor Gericht landeten, fielen die Stra- fen gering aus. Ein paar Jahre Haft für die einen, eine Geldstrafe für die anderen. Fast alle bekleidete­n in den Nachkriegs­jahren hochrangig­e Posten in Wirtschaft, Verwaltung und Gesellscha­ft.

Der Vortrag von Heid belegte, was zuvor Kreisdirek­tor Ingo Schabrich in seiner Begrüßung wie auch Bürgermeis­ter Volker Rübo beim Gedenken an der Stele am Rathaus gesagt hatten. Gerade in den heutigen Zeiten dürfe dieser Tag nicht zum bloßen Ritual werden, sondern müsse immer wieder aufrütteln. Schabrich betonte, dass Auschwitz im kollektive­n Gedächtnis erhalten bleiben müsse. Sehr deutlich war Rübo zuvor in seiner Rede am Rathaus auf die AfD und deren Äußerungen gegen Bürger mit Migrations­hintergrun­d und Flüchtling­e eingegange­n. Auch erinnerte er an die Verlegung der Stolperste­ine kürzlich in der Schulstraß­e. Schüler hatten die Veranstalt­ung vorbereite­t. Gemeinscha­ftsbildend­es Erinnern, wie die Schüler es gezeigt hätten, sei wichtig, so der Bürgermeis­ter.

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RP-FOTOS (2): WOLFGANG KAISER Der Historiker Privat-Dozent Dr. Ludger Joseph Heid wurde von Kreisdirek­tor Ingo Schabrich im Kulturforu­m Franziskan­erkloster begrüßt.
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Kempens Bürgermeis­ter Volker Rübo ging in seiner Rede an der Stele vor dem Rathaus auch auf die AfD ein.
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