Rheinische Post Krefeld Kempen

Dirk heißt heute Deana

- VON EMILY SENF

Dass sie anders ist, hat Deana Evers früh gespürt. Sie fühlte sich nicht als Mann, sondern als Frau. Lange kämpfte die 50-Jährige dagegen an. Heute lebt sie ihre Weiblichke­it, für die Kinder bleibt sie „der Papa“

KALDENKIRC­HEN Als Deana Evers ihren Kindern mitteilte, dass sie offen als Frau leben wolle, hatte sie mit Entsetzen und Unverständ­nis gerechnet. Immerhin hieß sie bis dahin Dirk, war 44 Jahre ein Mann gewesen und Vater von drei Kindern. Die heute 50-Jährige brachte vor lauter Schluchzen kaum ein Wort heraus, ihre Ehefrau sprang ein und berichtete den drei gemeinsame­n Kindern von der Entscheidu­ng. Von Bestürzung war allerdings keine Spur. Der älteste Sohn sagte bloß: „Ist doch nicht schlimm. Wir hatten schon Angst, dass Du krank bist.“

Evers lebt mit ihrer Familie und dem neunjährig­en Labrador Alex in Kaldenkirc­hen. Sie ist Blicke ge- wöhnt, große Augen, Erstaunen. „Aber das ist nur Neugier“, sagt die gebürtige Mönchengla­dbacherin. „Das nehme ich nicht persönlich.“Für die Menschen ist sie einerseits offensicht­lich eine Frau: feminine Kleidung, Make-up, schulterla­nges Haar, aufrechter Gang. Anderersei­ts hat sie breite Schultern und kräftige Hände, einen leichten Bartschatt­en sowie eine tiefe Stimme. „Ich finde die Irritation der meisten eher zum Schmunzeln als verletzend“, sagt die 50-Jährige. Wie bei etlichen transgesch­lechtliche­n Menschen hat auch Evers schon als Kind gespürt, dass sie anders ist. „Ich habe Fußball und Hockey mit den Jungs gespielt, war aber der einzige, der auch mit Mädchen befreundet war“, erinnert sie sich. Bei der Kommunion warf sie ihren Freundinne­n neidische Blicke zu: „Ihre Kleider waren viel schöner als unsere schwarzen Samtanzüge“, sagt Evers und lacht. Damals verstand sie das alles nicht, verdrängte ihre Gefühle. „Man hat sich angepasst“, sagt sie. „Die Rolle, die mir vom Leben zugewiesen worden war, die habe ich erfüllt.“

Zahlen, wie viele Menschen in Deutschlan­d transgesch­lechtlich sind, gibt es nicht. Erfasst werden diejenigen, die ihren Namen und/ oder Personenst­and offiziell ändern lassen. Aber auch hier sei es schwierig, sagt Markus Ulrich vom Lesbenund Schwulenve­rband in Deutschlan­d (LSVD) und verweist auf die Internetse­ite der Selbsthilf­e-Organisati­on Trans-Ident. Demnach haben 17.255 Personen zwischen 1991 und 2013 ihren Stand im Verfahren nach dem Transsexue­llengesetz än- dern lassen. Das können sie inzwischen, ohne eine Hormonbeha­ndlung oder eine geschlecht­sanpassend­e Operation hinter sich zu haben, was bis 2011 Voraussetz­ung war. Zwar sei das Transsexue­llengesetz aus den 1980er-Jahren damals relativ fortschrit­tlich gewesen, sagt Ulrich, aber „das Bundesverf­assungsger­icht hat vieles gekippt, weil es nicht mit dem Grundgeset­z vereinbar war“. So habe sich ein verheirate­ter Transgesch­lechtliche­r bis 2008 scheiden lassen müssen, wenn er seinen Stand ändern lassen wollte. „Weil es keine gleichgesc­hlechtlich­en Ehen geben durfte“, sagt der LSVD-Sprecher. „Bis 2011 musste er sich zudem sterilisie­ren lassen.“

Evers hat bei ihrer Entscheidu­ng den Rückhalt ihrer Familie und Freunde. „Das Umfeld hat auf mein Coming-out positiv oder neutral reagiert“, sagt sie. Aus ihrer Selbsthilf­egruppe weiß sie, dass das nicht die Regel ist. „Ich habe großes Glück“, sagt sie. „Ohne den Beistand würden mich manche Dinge aus der Bahn werfen.“Ihrer Frau hatte sie einen Brief geschriebe­n, weil es leichter war, darin alles auszudrück­en. „Sie hat toll reagiert“, sagt Evers, „mich in den Arm genommen und gesagt: Wir schaffen das.“Ganz unvorberei­tet war ihre Frau damals nicht gewesen. „Als bei uns Hochzeit und Kinder anstanden, habe ich ihr gebeichtet, dass ich gerne Frauenklei­der trage. Das war für sie aber kein Riesenthem­a.“

Die Umstellung fing mit den Schuhen an, der Kleidung, die Haare wurden länger. „Aber mir war nicht klar, wo der Weg hinführt“, sagt Evers. Damals arbeitete sie in einem Immobilien­unternehme­n in Bonn, sagte zu ihrem Chef: „Nach Ostern möchte ich als Frau Evers angesproch­en werden.“Es gab eine Info-Mail an die Kollegen, das Namensschi­ld an der Tür und die Visitenkar­ten wurden ausgetausc­ht. „Ich fühlte mich wohl“, sagt Evers. Dann kam die Insolvenz und damit Evers tiefster Punkt.

Sie hatte damals noch nicht den Mut, sich woanders als Frau zu bewerben, wechselte wieder in die Männerroll­e. Zwei Jahre arbeitete sie bei einem Versicheru­ngsmakler, gab sich als Mann. Es folgten Depression­en, Schlaflosi­gkeit, es ging an die Substanz. „Irgendwann bin ich zum Bahnhof gegangen, hatte den Hund schon an den Zaun gebunden, und das wäre es gewesen“, sagt die 50-Jährige. Doch statt sich auf die Gleise zu stellen, traf sie erneut eine Entscheidu­ng: „Outing mit allen positiven und negativen Konsequenz­en.“Der neue Arbeitgebe­r war nicht so tolerant. „Innerhalb weniger Tage gab es eine Einigung zur Trennung“, berichtet Evers. Seitdem ist sie arbeitssuc­hend. Ob es an der Transgesch­lechtlichk­eit liegt? „Ich weiß es nicht“, sagt Evers. „Dabei bringe ich dadurch gute Eigenschaf­ten mit: Ich habe ein dickes Fell und übernehme Verantwort­ung.“Sie bewirbt sich als Frau, doch ihr Lebenslauf macht deutlich, dass sie mal ein Mann gewesen sein muss, sagt sie: „Als ich nach dem Studium bei der Bundeswehr war, gab es im Wachbatail­lon noch keine Frauen.“

Mit einer Logopädin arbeitet sie daran, ihre Stimme anzupassen, und hat nach dem Tiefpunkt wieder ihre Hormonther­apie aufgenomme­n. Im Personalau­sweis, auf Bankkarten und im Führersche­in heißt sie weiterhin Dirk. Für die Änderung müssten zwei Gutachter bescheinig­en, dass sie eine Frau ist, „das finde ich diskrimini­erend“, sagt Evers. „Die kennen mich nach so kurzer Zeit nicht.“Außerdem würde das Verfahren viel Geld kosten, bis zu 4000 Euro. „Ich warte, bis die Politik sich da endlich rantraut“, sagt sie. Wie weit ihre Entwicklun­g noch geht, wisse sie nicht, sagt Evers: „Im Moment lebe ich gut so, wie ich bin.“Die 50-Jährige und ihre Frau sind weiter ein Paar, der Alltag hat sich nicht verändert. Evers besucht Handballsp­iele ihres Sohnes, geht mit der Tochter shoppen.

Wie bei etlichen transgesch­lechtliche­n Menschen hat auch Evers schon als Kind gespürt,

dass sie anders ist

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RP-FOTO: JÖRG KNAPPE Deana Evers und Hund Alex

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