Rheinische Post Krefeld Kempen
INTERVIEW REINER HASELOFF (CDU) „Volksparteien sind Geschichte“
Sachsen-Anhalts Ministerpräsident über die Zukunft einst großer Parteien, die Sorgen der Ostdeutschen und die AfD.
Herr Haseloff, als Ministerpräsident in Sachsen-Anhalt verweisen Sie immer wieder auf spezifische Probleme im Osten. Wie groß ist die Gruppe, die die Mauer wiederhaben will? HASELOFF Niemand will die DDR zurückhaben. Nicht einmal Mitglieder der Linken. Enttäuschungen sind aber da. Wir sind in gewisser Weise immer noch ein gespaltenes Land. Wir haben unterschiedliche gesetzliche Regelungen zum Beispiel im Rentenrecht. Wir haben Unterschiede bei den Tarifverträgen und den Branchen-Mindestlöhnen, bei den Steuereinnahmen und der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit. Dies alles hat natürlich Auswirkungen. Nur mit einer Kenia-Koalition aus CDU, SPD und Grünen haben Sie es 2016 geschafft, gegen die AfD eine Regierung zu bilden. Halten Sie die Partei dauerhaft nur so in Schach? HASELOFF Es gibt in Ostdeutschland aufgrund der Erfahrung mit der DDR-Diktatur starke Vorbehalte, sich in Parteien oder auch Gewerkschaften zu binden. Die Zahl der Mitglieder in hiesigen Parteien entspricht größeren Ortsgruppen im Ruhrgebiet. Der Stachel im Fleisch, die ehemalige Teilung, geografisch und mental mitten durch Europa und Deutschland, wird noch lange schmerzen. Schon in der Bibel heißt es, dass die Missetaten der Väter bis in die dritte und vierte Generation fort- wirken. Das lässt sich nicht in zwei oder drei Jahrzehnten überwinden. Warum könnte sich die AfD im Osten dann zu einer Volkspartei entwickeln, wenn sich Ostdeutsche nicht an Parteien binden wollen? HASELOFF Die AfD ist mit sehr vielen Abgeordneten aus dem Westen, aber auch welchen aus dem Osten auch die stärkste Opposition im Bundestag. Sie ist bis auf Weiteres in Deutschland insgesamt nicht wegzukriegen. Was den Osten betrifft, so darf man nicht vergessen: Faktisch war die Hälfte der Erwerbstätigen nach der Wende arbeitslos, oft mehrmals. Wir haben diese schwierige Lage inzwischen gemeistert. Aber es entlädt sich heute trotzdem noch vieles, auch zwischen den Generationen. Die Menschen haben Angst vor Kontrollverlust. Das haben sie aber während der Flüchtlingskrise wieder erlebt. Sie erwarten, dass so etwas nicht mehr passiert. Die Politik hat inzwischen deut- lich gemacht, dass sich dies so nicht mehr wiederholen wird. Das wollen die Bürger jetzt umgesetzt sehen. Die Parteien der demokratischen Mitte müssen befriedend wirken. Für die SPD geht es ums Überleben, auch die Union verliert an Zustimmung. Sind die Volksparteien ein Auslaufmodell? HASELOFF Volksparteien, wie wir sie in Deutschland kannten und in einigen Bundesländern auch noch haben, sind in Europa Geschichte. Daran sieht man auch, wie offene Gesellschaften, wie Migration, die Globalisierung und Veränderungen in der Arbeitswelt auch die Parteienlandschaft beeinflusst haben. Dass wir es in Deutschland bisher überhaupt geschafft haben, Volksparteien in dieser Größe zu halten, ist schon ein Erfolg. Wir sind deshalb als Union auch gut beraten, beide Flügel weiter gut atmen zu lassen – das Sozialliberale und Christliche ebenso wie das Konservative. Ist Annegret Kramp-Karrenbauer eine gute Nachfolgerin für Merkel? HASELOFF Sie ist eine hervorragende Kollegin. Und ich bedauere sehr, dass ich sie künftig nicht mehr als Vorsitzende der Ministerpräsidentenkonferenz erleben werde. K. DUNZ, G. MAYNTZ UND H. MÖHLE FÜHRTEN DAS GESPRÄCH.