Rheinische Post Krefeld Kempen
Offensive Null trübt Vestergaards Laune
Der Däne liefert bei seinem Comeback eine saubere Leistung ab. Doch der Punkt in Mainz sei am Ende „zu wenig“.
Da stand er nun, der gute Jannik Vestergaard, und dachte kurz nach. Was sollte er antworten auf diese Frage, die für einen loyalen Angestellten voller Fangstricke war? Es war die Frage nach dem Mittelfußbruch, der bei ihm festgestellt worden war, zunächst jedenfalls, als bösartige Zugabe des 0:2 in Leverkusen am 10. März, der sich aber als „Altverletzung“entpuppt hat. Vestergaard schaute und grinste, während er auf der Suche nach einer diplomatischen Antwort war. „Ich kenne meinen Körper“, sagte er schließlich. Damit tat er, was er zuvor 90 Minuten lang auf dem Rasen des Mainzer Stadions getan hatte: Er wehrte die Gefahrensituation gekonnt ab.
Natürlich ist nach der Ur-Diagnose die Dramatik der Geschichte beschrieben worden, schließlich schien der Fußbruch nicht nur das Saison-, sondern auch das WM-Aus zu bedeuten für den Dänen. Sein Gladbacher Teamkamerad Laszlo Bénes fehlte deswegen 168 Tage; Deutschlands Nationaltorwart Manuel war zunächst 123 und ist nun schon 213 Tage weg wegen des gebrochenen Fußes. „Ich hatte aber nie Angst um die WM“, sagte Vestergaard. Weil er seinen Körper kennt, hat er wohl gespürt, dass es nicht so schlimm war. Tatsächlich war es eine Sprunggelenksverletzung, eine Kapsel- und Bänderdehnung. Die waren nach 16 Tagen abgeheilt.
So stand er in Mainz wieder auf dem Platz. „Ich denke, ich habe es gut gemacht“, befand Vestergaard. Er lag richtig mit der Einschätzung, er war mit Torhüter Yann Sommer, der zum „Spieler des Spiels“gekürt wurde, bester Borusse. Robust und zweikampfstark machte er seinen defensiven Job, zudem war er als Teil der defensiven Dreierkette oft der, der mit langen Bällen das Spiel nach vorn initiierte, weil die Zentra-
Thorgan Hazard war gut unterwegs, schnell mit dem Ball wie meist, sogar unaufhaltsam für die Mainzer Abwehr, die Gelegenheit wurde günstiger und günstiger. Das Mainzer Tor kam in Schussweite, man wollte Borussias Stürmer zurufen: „Schieß’ doch, schieß’!“Hazard schoss nicht. Er spielte quer. Die Chance verpuffte im Gewusel.
Wenn am Ende der Saison Gründe gesucht werden für die wahrscheinlich verpassten Ziele der Borussen, wird auf der Mängelliste wegen solcher Szenen der Name Hazard auftauchen. Sieben Tore hat er gemacht, doch zieht man die Elfmeter ab, bleiben drei. Und es gibt die Statistik der „Expected Goals“, der Tore, le aus der Tiefe zu wenig produktiv war.
Ein 0:0 ist für Defensivspieler immer ein weit befriedigenderes Ergebnis als für den Rest der Mannschaft. Weswegen Vestergaard den Nachmittag in Mainz differenziert betrachtete. „Wir sind hingefahren, um zu gewinnen, das haben wir nicht geschafft. Aber wir haben sol- die aufgrund der Chancen zu erwarten sind, in der keiner schlechter dasteht als Hazard. Minus fünf ist seine Bilanz, drei statt acht Treffer, und man kann den fehlenden fünf Toren durchaus verpasste Punkte in einer „Was-wäre-gewesen-wenn-Rechnung“zuordnen: fünf, sechs, vielleicht acht Zähler kommen da zusammen. Das ist genau die Differenz zu den direkten Europa-Rängen, die man Borussia zutrauen darf.
Hazard ist aber nicht der einzige, der ein Abschlussproblem hat. Auch Josip Drmic hätte in den vergangenen drei Spielen dreimal treffen können, doch er schaffte es nur gegen Hoffenheim. Hätte er den Kopfball in Leverkusen verwandelt und wäre nun in Mainz nicht am Hintern che engen Spiele oft noch verloren, das ist uns nun nicht passiert, wir haben gezeigt, dass wir mal einen Punkt verteidigen können. Das ist das Positive, wenn man aus so einem Spiel etwas Positives mitnehmen kann“, sagte er.
Dass die Borussen die kurze Zeit seiner Abwesenheit genutzt haben, um sich systemisch zu erweitern, ist von René Adler gescheitert, hätte Borussia wohl drei Punkte mehr: bei Bayer wäre ein 1:1 und in Mainz ein 1:0 herausgekommen.
Dass Hazard ein Macher sein kann, hat er gezeigt. Während Borussias bester Saisonphase zwischen Spieltag vier und 13 (20 Punkte) steuerte Hazard in zehn Spielen am Stück einen Scorerpunkt bei. Später gegen den HSV (3:1) und Augsburg (2:0) traf er und steuerte zudem jeweils einen Assist bei. Doch seit Augsburg kam nichts mehr, 804 tor- und assistlose Minuten stehen in der Bilanz.
Hazard und Drmic liegen im Team-Trend: Borussia macht 1,29 Tore im Schnitt, das reicht nicht für internationale Ansprüche. Hoffen- für Vestergaard ein Zeichen dafür, „dass wir auch reagieren können auf den Gegner und Situationen“. In der Dreierkette mit Nico Elvedi und Matthias Ginter fühlte er sich wohl und „wir haben aus dem Spiel sehr wenig zugelassen“. Die größte Chance der Mainzer resultierte aus einem Standard, das war die Szene, in der sich Sommer mit seinem Re- heim (52 Tore), der Siebte, traf bisher im Schnitt 1,86-mal und das mit 13,61 Torschüssen pro Spiel. Borussia kommt auf 13,86 Versuche. Frankfurt (39 Tore) brauchte für 1,39 Tore 11,57 Versuche. Entscheidend ist indes auch, in wichtigen Situationen effektiv zu sein.
„Wir haben leider den Lucky Punch nicht gemacht, das zieht sich ein bisschen durch die Saison, da fehlt dann die letzte Konsequenz, das Tor machen zu wollen“, sagte Hecking in Mainz. Er meinte das Team, doch passt der Satz insbesondere auf Hazard. Der ist ein klasse Spieler, schnell, laufstark, engagiert, technisch versiert, doch die härteste Währung für einen Stürmer sind nun mal Tore. Hazard will aus dem flex für die Wahl zum Spieler des Tages empfahl.
Ein Mann mehr im offensiven Zentrum ist der Hauptnutzen des neuen Ansatzes, doch die Mainzer machten mit einem massiven Mittelblock die Räume eng. Dennoch gab es die nötigen Gelegenheiten zum Siegtor, doch gab es „das immer wieder passierende Ergebnis, wenn wir im Strafraum sind“, wie Vestergaard anmerkte: den erfolglosen Torschuss. So brachte die saubere Defensivarbeit nur einen Teilerfolg – „zu wenig“, wie Vestergaard befand.
Darum war seine Freude über die defensive Null getrübt. Sein Comeback freute ihn trotzdem, auch „wenn man von einem Comeback nach so kurzer Zeit gar nicht reden kann, ich war ja nicht lange weg“. Darum ist die WM nicht in Gefahr. Und was Borussia angeht, mag er den „Zug nach Europa“noch nicht als „abgefahren“einstufen. „Es sind noch sechs Spiele und es gibt auch andere Mannschaften, die eine Serie von sechs Siegen hingelegt haben. Erst nach 34 Spieltagen wird abgerechnet“, sagte Vestergaard und stellte klar: „Aber Reden bringt nichts mehr, für Europa reichen uns Unentschieden nicht.“
Thorgan Hazard: Jenseits von Eden
Schatten seines großen Bruders Eden vom FC Chelsea treten, aber unter anderem wegen seiner mangelhaften Torquote ist er weiterhin jenseits von Eden.
Das Spiel in Mainz war einmal mehr auch ein Plädoyer dafür, dass die Borussen für die neue Saison in Tore investieren müssen – oder zumindest in eine höhere Tor-Wahrscheinlichkeit. Und vielleicht muss in dem Zuge der Ansatz im Spiel nach vorn nicht nur personell, sondern auch inhaltlich modifiziert werden. Spielende Stürmer sind schön und gut, doch treffende Stürmer sind schöner und besser. Borussia braucht Knipser.
KARSTEN KELLERMANN