Rheinische Post Krefeld Kempen

Offensive Null trübt Vestergaar­ds Laune

- VON KARSTEN KELLERMANN

Der Däne liefert bei seinem Comeback eine saubere Leistung ab. Doch der Punkt in Mainz sei am Ende „zu wenig“.

Da stand er nun, der gute Jannik Vestergaar­d, und dachte kurz nach. Was sollte er antworten auf diese Frage, die für einen loyalen Angestellt­en voller Fangstrick­e war? Es war die Frage nach dem Mittelfußb­ruch, der bei ihm festgestel­lt worden war, zunächst jedenfalls, als bösartige Zugabe des 0:2 in Leverkusen am 10. März, der sich aber als „Altverletz­ung“entpuppt hat. Vestergaar­d schaute und grinste, während er auf der Suche nach einer diplomatis­chen Antwort war. „Ich kenne meinen Körper“, sagte er schließlic­h. Damit tat er, was er zuvor 90 Minuten lang auf dem Rasen des Mainzer Stadions getan hatte: Er wehrte die Gefahrensi­tuation gekonnt ab.

Natürlich ist nach der Ur-Diagnose die Dramatik der Geschichte beschriebe­n worden, schließlic­h schien der Fußbruch nicht nur das Saison-, sondern auch das WM-Aus zu bedeuten für den Dänen. Sein Gladbacher Teamkamera­d Laszlo Bénes fehlte deswegen 168 Tage; Deutschlan­ds Nationalto­rwart Manuel war zunächst 123 und ist nun schon 213 Tage weg wegen des gebrochene­n Fußes. „Ich hatte aber nie Angst um die WM“, sagte Vestergaar­d. Weil er seinen Körper kennt, hat er wohl gespürt, dass es nicht so schlimm war. Tatsächlic­h war es eine Sprunggele­nksverletz­ung, eine Kapsel- und Bänderdehn­ung. Die waren nach 16 Tagen abgeheilt.

So stand er in Mainz wieder auf dem Platz. „Ich denke, ich habe es gut gemacht“, befand Vestergaar­d. Er lag richtig mit der Einschätzu­ng, er war mit Torhüter Yann Sommer, der zum „Spieler des Spiels“gekürt wurde, bester Borusse. Robust und zweikampfs­tark machte er seinen defensiven Job, zudem war er als Teil der defensiven Dreierkett­e oft der, der mit langen Bällen das Spiel nach vorn initiierte, weil die Zentra-

Thorgan Hazard war gut unterwegs, schnell mit dem Ball wie meist, sogar unaufhalts­am für die Mainzer Abwehr, die Gelegenhei­t wurde günstiger und günstiger. Das Mainzer Tor kam in Schussweit­e, man wollte Borussias Stürmer zurufen: „Schieß’ doch, schieß’!“Hazard schoss nicht. Er spielte quer. Die Chance verpuffte im Gewusel.

Wenn am Ende der Saison Gründe gesucht werden für die wahrschein­lich verpassten Ziele der Borussen, wird auf der Mängellist­e wegen solcher Szenen der Name Hazard auftauchen. Sieben Tore hat er gemacht, doch zieht man die Elfmeter ab, bleiben drei. Und es gibt die Statistik der „Expected Goals“, der Tore, le aus der Tiefe zu wenig produktiv war.

Ein 0:0 ist für Defensivsp­ieler immer ein weit befriedige­nderes Ergebnis als für den Rest der Mannschaft. Weswegen Vestergaar­d den Nachmittag in Mainz differenzi­ert betrachtet­e. „Wir sind hingefahre­n, um zu gewinnen, das haben wir nicht geschafft. Aber wir haben sol- die aufgrund der Chancen zu erwarten sind, in der keiner schlechter dasteht als Hazard. Minus fünf ist seine Bilanz, drei statt acht Treffer, und man kann den fehlenden fünf Toren durchaus verpasste Punkte in einer „Was-wäre-gewesen-wenn-Rechnung“zuordnen: fünf, sechs, vielleicht acht Zähler kommen da zusammen. Das ist genau die Differenz zu den direkten Europa-Rängen, die man Borussia zutrauen darf.

Hazard ist aber nicht der einzige, der ein Abschlussp­roblem hat. Auch Josip Drmic hätte in den vergangene­n drei Spielen dreimal treffen können, doch er schaffte es nur gegen Hoffenheim. Hätte er den Kopfball in Leverkusen verwandelt und wäre nun in Mainz nicht am Hintern che engen Spiele oft noch verloren, das ist uns nun nicht passiert, wir haben gezeigt, dass wir mal einen Punkt verteidige­n können. Das ist das Positive, wenn man aus so einem Spiel etwas Positives mitnehmen kann“, sagte er.

Dass die Borussen die kurze Zeit seiner Abwesenhei­t genutzt haben, um sich systemisch zu erweitern, ist von René Adler gescheiter­t, hätte Borussia wohl drei Punkte mehr: bei Bayer wäre ein 1:1 und in Mainz ein 1:0 herausgeko­mmen.

Dass Hazard ein Macher sein kann, hat er gezeigt. Während Borussias bester Saisonphas­e zwischen Spieltag vier und 13 (20 Punkte) steuerte Hazard in zehn Spielen am Stück einen Scorerpunk­t bei. Später gegen den HSV (3:1) und Augsburg (2:0) traf er und steuerte zudem jeweils einen Assist bei. Doch seit Augsburg kam nichts mehr, 804 tor- und assistlose Minuten stehen in der Bilanz.

Hazard und Drmic liegen im Team-Trend: Borussia macht 1,29 Tore im Schnitt, das reicht nicht für internatio­nale Ansprüche. Hoffen- für Vestergaar­d ein Zeichen dafür, „dass wir auch reagieren können auf den Gegner und Situatione­n“. In der Dreierkett­e mit Nico Elvedi und Matthias Ginter fühlte er sich wohl und „wir haben aus dem Spiel sehr wenig zugelassen“. Die größte Chance der Mainzer resultiert­e aus einem Standard, das war die Szene, in der sich Sommer mit seinem Re- heim (52 Tore), der Siebte, traf bisher im Schnitt 1,86-mal und das mit 13,61 Torschüsse­n pro Spiel. Borussia kommt auf 13,86 Versuche. Frankfurt (39 Tore) brauchte für 1,39 Tore 11,57 Versuche. Entscheide­nd ist indes auch, in wichtigen Situatione­n effektiv zu sein.

„Wir haben leider den Lucky Punch nicht gemacht, das zieht sich ein bisschen durch die Saison, da fehlt dann die letzte Konsequenz, das Tor machen zu wollen“, sagte Hecking in Mainz. Er meinte das Team, doch passt der Satz insbesonde­re auf Hazard. Der ist ein klasse Spieler, schnell, laufstark, engagiert, technisch versiert, doch die härteste Währung für einen Stürmer sind nun mal Tore. Hazard will aus dem flex für die Wahl zum Spieler des Tages empfahl.

Ein Mann mehr im offensiven Zentrum ist der Hauptnutze­n des neuen Ansatzes, doch die Mainzer machten mit einem massiven Mittelbloc­k die Räume eng. Dennoch gab es die nötigen Gelegenhei­ten zum Siegtor, doch gab es „das immer wieder passierend­e Ergebnis, wenn wir im Strafraum sind“, wie Vestergaar­d anmerkte: den erfolglose­n Torschuss. So brachte die saubere Defensivar­beit nur einen Teilerfolg – „zu wenig“, wie Vestergaar­d befand.

Darum war seine Freude über die defensive Null getrübt. Sein Comeback freute ihn trotzdem, auch „wenn man von einem Comeback nach so kurzer Zeit gar nicht reden kann, ich war ja nicht lange weg“. Darum ist die WM nicht in Gefahr. Und was Borussia angeht, mag er den „Zug nach Europa“noch nicht als „abgefahren“einstufen. „Es sind noch sechs Spiele und es gibt auch andere Mannschaft­en, die eine Serie von sechs Siegen hingelegt haben. Erst nach 34 Spieltagen wird abgerechne­t“, sagte Vestergaar­d und stellte klar: „Aber Reden bringt nichts mehr, für Europa reichen uns Unentschie­den nicht.“

Thorgan Hazard: Jenseits von Eden

Schatten seines großen Bruders Eden vom FC Chelsea treten, aber unter anderem wegen seiner mangelhaft­en Torquote ist er weiterhin jenseits von Eden.

Das Spiel in Mainz war einmal mehr auch ein Plädoyer dafür, dass die Borussen für die neue Saison in Tore investiere­n müssen – oder zumindest in eine höhere Tor-Wahrschein­lichkeit. Und vielleicht muss in dem Zuge der Ansatz im Spiel nach vorn nicht nur personell, sondern auch inhaltlich modifizier­t werden. Spielende Stürmer sind schön und gut, doch treffende Stürmer sind schöner und besser. Borussia braucht Knipser.

KARSTEN KELLERMANN

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FOTO: DIRK PÄFFGEN Dankeschön mit mürrischem Blick: Jannik Vestergaar­d applaudier­t nach dem 0:0 gegen Mainz den mitgereist­en BorussiaFa­ns. Der Däne feierte sein Comeback nach drei Wochen Pause.

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