Rheinische Post Krefeld Kempen
Schirmchen im Herz gegen erneuten Schlaganfall
Bei manchen Patienten findet man nach einem Schlaganfall ein PFO, ein Loch in der Herzscheidewand. Heutzutage können es Kardiologen effektiv unschädlich machen.
Wir alle haben es für einige Monate gehabt, dieses kleine Loch in unserem Herz, und es hat unser Leben gerettet. Weil das Ungeborene im Mutterleib nicht atmen kann, bekommt es Sauerstoff der Mutter über die Nabelschnur; der Lungenkreislauf des Blutes arbeitet noch nicht, und das Blut tritt vom rechten Herzvorhof durch das Loch in der Scheidewand in den linken Herzvorhof, wird in den Körper gepumpt, kommt wieder im Rechtsherz an – ein kleiner Kreislauf fürs Überleben. Ist das Baby auf der Welt, atmet es spontan, und das Löchlein wächst in wenigen Tagen zu. Jetzt arbeitet die Lunge, und die Lungenarterien und -venen gehen in Betrieb.
Das ist in vielen Fällen so, aber längst nicht in allen. Bei jedem vierten Menschen bleibt das Löchlein offen, man spricht von einem PFO. P bedeutet: Es bleibt dauerhaft vorhanden, es persistiert. F bedeutet „Foramen“, also Loch. O steht für „oval“, damit ist die Form des Lochs gemeint. Bevor jetzt Panik ausbricht, gleich Entwarnung: Dieses PFO ist fast immer harmlos. Dierk Rulands, Kardiologe am Krankenhaus St. Franziskus in Mönchengladbach, sagt es so: „Es ist keine krankhafte Veränderung, sondern eher eine Normvariante.“Weil das PFO ja auch eine Kurzschlussverbindung zwischen dem venösen und dem arteriellen System ist, nennen Ärzte es wie bei allen solchen Fällen einen „Shunt“. Auf der Suche nach dem „verbotenen Weg“In der Fachliteratur tauchen indes immer wieder Fälle auf, dass kleine Blutgerinnsel durch das PFO schwimmen und im Gehirn einen Schlaganfall auslösen. Für solche Verschlüsse eines Gefäßes im Gehirn gibt es diverse mögliche Ursachen: Gefäßverkalkungen, Gerinnungsstörungen, tiefe Beinvenenthrombosen oder Herzrhythmusstörungen. „20 bis 30 Prozent aller Schlaganfälle sind sicher auf Vorhofflimmern zurückzuführen“, sagt Robert Zabrocki, Kardiologe am Elisabeth-Krankenhaus in Mönchengladbach. Scheiden diese Ursachen allerdings aus – das ist vor allem bei jüngeren Patienten der Fall –, muss der Neurologe ans PFO denken. Hat der Patient vielleicht eine sogenannte „paradoxe Embolie“gehabt, also den unvorhergesehenen Übertritt eines Gerinnsels vom rechten ins linke Herz mit Abwanderung ins Gehirn? Rulands nennt das den „verbotenen Weg“.
Ärzten stehen verschiedene Therapieformen zur Verfügung, wenn sie einen zweiten Schlaganfall vermeiden wollen. Natürlich können sie das Blut so verdünnen, dass sich erst gar keine Embolien bilden; dazu gibt es mehrere bewährte Medikamente, etwa Marcumar oder die neuen Gerinnungshemmer. Seit die minimal-invasive Kardiologie die trickreichsten Wege gefunden hat, um am schlagenden Herzen zu intervenieren, nimmt sie sich auch des PFO an: Sie verschließt es, ohne dass Herzchirurgen die Brust öffnen müssen. Gute Kardiologen besitzen die Fertigkeit von Elektrikern und die handwerkliche Begabung von Innenausstattern.
Jeder Fall ist gewiss individuell, denn es gibt verschieden große Löcher, von einfach bis sehr kompliziert, von klitzeklein bis zum fetten Vorhofseptum-Aneurysma mit einer Aussackung der Scheidewand. Aber der Verschluss ist in fast allen Situationen das gleiche standardisierte Verfahren. Der Arzt schiebt einen Katheter durch die Leisten- und die Hohlvene, durch den rechten Herzvorhof und das Loch in der Scheidewand bis in den linken Vorhof.
Dieser Katheter trägt mehrere Mini-Deckel, die der Kardiologe „Schirmchen“nennt. Zieht der Operateur den Katheter nun zurück, entfalten sich die Schirmchen wie Hohlraumdübel. Hubertus Degen, Kardiologe am Lukas-Krankenhaus in Neuss: „So verschließt der PFOSchirm das Loch in der Vorhofscheidewand von beiden Seiten wie die zwei Scheibchen eines Sandwich-Toasts. Danach kontrolliert man den stabilen Sitz mit Röntgen und Ultraschall.“
Den Patienten erinnert an den etwa 30-minütigen Eingriff für ein paar Stunden die Einstichstelle in der Leiste, die mit einem Druckverband abgedichtet wird. Nach wenigen Tagen kann er wieder Sport treiben. Für einige Monate muss er sogenannte Plättchenhemmer einnehmen. Degen: „Diese Medikamente reduzieren die Wahrscheinlichkeit, dass sich Blutgerinnsel am
Prof. Ernst Vester PFO-Schirmchen bilden und fortgeschwemmt werden.“
Statistisch sind die Erfolge unbestritten. Ernst Vester, Chef-Kardiologe am EVK Düsseldorf, kennt die Zahlen: „Mehrere Studien konnten nachweisen, dass die SchlaganfallRate nach einem Erstereignis durch den Verschluss eines PFO signifikant gegenüber rein medikamentöser, blutverdünnender Therapie gesenkt werden kann.“Einen kleinen Schönheitsfleck des innovativen Verfahrens benennt Heribert Brück, niedergelassener Kardiologe in Erkelenz: „Bei einigen Patienten mit PFO-Verschluss trat allerdings ein Vorhofflimmern auf, das ja selbst Ursache eines Schlaganfalls sein kann.“
Dennoch breiter Konsens: Ein PFO-Schirmchen kann bei bestimmten Patienten sehr sinnvoll sein, sie müssen allerdings nach ihrem Alter und nach der Struktur des Lochs in der Herzscheidewand ausgewählt werden. Vester: „Ein Kriterium ist ein großer Rechts-LinksShunt, das heißt, es tritt spontan oder bei entsprechenden PatientenManövern wie Pressen und Husten relativ viel Blut vom rechten in den linken Vorhof über.“
Interessant wurde die Sache mit den Schirmchen, als sich spezielle Schlaganfall-Patienten nach der PFO-Behandlung erfreut bei ihrem Arzt meldeten: „Ich habe keine Migräne mehr!“Tatsächlich verschwinden bei etwa der Hälfte aller PFO-Patienten, die zugleich an Migräne mit Aura litten, die Symptome, oder die Zahl der Attacken verringert sich. Seitdem rätseln Neurologen und Kardiologen, woran das liegen kann. Eine befriedigende Antwort gibt es bisher nicht, nur Vermutungen. Für einige Ärzte stellt eine therapie-resistente Migräne und ein gleichzeitig vorliegendes großes PFO auch ohne Schlaganfall eine Indikation für einen PFO-Verschluss dar, sie würden den Eingriff durchführen. Andere lehnen ihn ab, weil er den Leitlinien widerspricht.
Wenn also jeder Vierte dieses PFO im Herz hat, könnte man auf die Idee kommen, sicherheitshalber per Herzultraschall nach ihm zu suchen und es vorsorglich verschließen zu lassen. Das aber ist vorerst nicht möglich, denn Ärzte haben dazu noch keine Studie gemacht. Sie müssten an verschiedenen Kliniken gleichzeitig Menschen mit einem nachgewiesenen PFO in zwei Gruppen aufteilen: Eine bekommt den richtigen Eingriff, bei anderen wird er nur simuliert. Fraglich ist, ob eine Ethikkommission dieses Verfahren billigt. Denn die Implantation eines Verschlusssystems ist ein invasiver Eingriff, bei dem es womöglich eher zu einer Komplikation kommt, als dass ein potenzieller Schlaganfall verhindert wird.
Kardiologe Rulands kennt allerdings schon eine Ausnahme von der Regel: „Der prophylaktische Verschluss kann bei Tauchern mit einem großen PFO sinnvoll sein, da bei einer Taucherkrankheit im venösen Blut entstehende Luftbläschen keinesfalls in das Gehirn wandern sollten. In der Regel wird die Indikation bei einer solchen Ausnahme auf ausdrücklichen Wunsch des Tauchers und nicht durch einen Arzt gestellt.“
„Statistisch ist der Verschluss des PFO allen Medikamenten
überlegen“
Kardiologe „Das Loch im Herz ist nicht
krankhaft, sondern eine Normvariante“
Dierk Rulands
Kardiologe