Rheinische Post Krefeld Kempen
Wie klingt Kunstgeschichte?
Seit vier Wochen ist das erste Audio-Archiv Kunst online. Sabine Oelze und Marion Ritter sammeln Originaltöne seit den 1960ern.
KÖLN Die Art Cologne erlebte vor 51 Jahren ihre Erstauflage als Kölner Kunstmarkt. 18 deutsche Aussteller boten im Gürzenich Kunst der Moderne an improvisierten Ständen feil. Sie machten einen Umsatz von einer Million Mark. Man zählte 15.000 Besucher. Alle Erwartungen wurden übertroffen.
Wer heute über die Kunst und den Kunstmarkt nachdenkt, hat völlig andere Dimensionen vor Augen, andere Preise und internationale Marktmechanismen. Die Art Colo- gne, die die älteste in ihrem Segment ist, gehört zu den Top Five in Europa. Was ist in dem halben Jahrhundert passiert? Warum und wie ist das alles explodiert? Wer die Zeit einmal zurückdrehen möchte und die Gründer, die Strippenzieher, Galeristen, Sammler, Künstler und Komparsen jener goldenen Aufbruchsjahre kennenlernen möchte, dem steht mit dem ersten Audioarchiv Kunst ein originelles wie authentisches Instrument zur Verfügung. Das Audioarchiv Kunst ist seit knapp einem Monat im Netz. Die zwei Kölnerinnen Sabine Oelze und Marion Ritter hatten diese Idee, die ihnen einst bei einem Künstlerbesuch kam. Eigentlich wollten sie nur die Insel Hombroich anschauen. Dort trafen sie auf den Maler Gotthard Graubner, der sie in anregende Gespräche verwickelte. Er erzählte – kurz vor seinem überraschenden Tod 2013 – von den Anfängen der Kunstszene im Rheinland. Als in den 1960er Jahren die ersten Galeristen Alfred Schmela und Jean Pierre Wilhelm die Pioniere waren, von der Beziehung zwischen Künstlern und Galeristen.
„Es war eine äußerst lebendige Plauderei über eine Zeit, die wir nur aus Büchern kennen“, sagt Marion Ritter. Leider habe man nicht daran gedacht, das Gespräch mitzu- schneiden. So hätte man die Erinnerungen Graubners wachhalten können, getränkt in eine sehr persönliche Intonation.
Die Graubner-Begegnung war die Initialzündung, aus der sich der Plan zum Aufbau eines Audioar- chivs entwickelte. In digitalen Zeiten, in denen Podcasts und Hörbucher boomen, gar keine so abwegige Idee. Um die Unterstützung des Landschaftsverbandes Rheinland und der Stadt Köln annehmen zu können, gründeten die Kunsthisto- rikerinnen einen gemeinnützigen Verein. Leider, sagt Oelze, sei das Projekt befristet bis Ende 2019.
Nicht durch Seiten blättern wird man oder fingerwischend googeln und youtuben, sondern einfach hören. Zuhören den Stimmen, die zu den Anfängen der zeitgenössischen Kunst im Rheinland Authentisches beizutragen haben. Als Zeitzeugen der ersten Stunde haben die Betreiberinnen dieses Archivs zum Beispiel Rudolf Zwirner interviewt, der zu den Erfindern des Kölner Kunstmarktes gehört und Anfang der 1960er Jahre eine Galerie in Köln eröffnete, in der er als Erster in Deutschland Pop Art zeigte. Zwirner, der 1933 in Berlin geboren ist, hat natürlich viel zu erzählen. Wie alles begann mit der modernen Kunst, die den Markt eroberte. Beinahe 60 Minuten Aufzeichnungen gibt es von der Begegnung der Autorinnen und dem Galeristen, unzensiert und ungeschnitten.
Neben dem gesamten Gespräch bietet die Audioplattform auch einzelne Themen an. Zwirner spricht über die Documenta oder über Peter Ludwig. Und er spricht Dinge aus, die man auch schon anders kolportiert hörte. Besonders amüsant ist eine Begebenheit, die sich in seiner eigenen Verkaufskoje ereignete. Er hatte eine Skulptur von Jean Tinguely im Angebot, in einer Zeit, in der Tinguely noch nicht sonderlich bekannt war. Das Klappern der blechern tönenden beweglichen Arbeiten erregte Unmut. Den Kollegen liefen die Kunden weg, weil es in Zwirners Koje so laut schepperte. Er musste schließlich die kinetische Skulptur abstellen.
Zehn Zeitzeugen sind bereits online: darunter der Künstler Konrad Klapheck, die Künstlerin Rissa, das Bruderpaar Walther und Kasper König oder die Kulturjournalistin Wibke von Bonin, die damals vom WDR berufen wurde, die erste Kunstre-
Die Gründer des Archivs haben Zeitzeugen wie Rudolf Zwirner
interviewt
daktion für das dritte Fernsehprogramm aufzubauen. Sie hatte bis dahin in ihrem Leben nicht ferngesehen, war nach eigener Aussage ein Greenhorn und erfolgreich; immerhin leitete sie 30 Jahre lang diese Redaktion, kennt so gut wie jeden in der rheinischen Kunstszene.
Die Nutzung des Audioarchivs ist kostenlos, mit Fotos vom Interviewtermin sind die Soundfiles garniert. Ein paar tausend Interessenten haben sich schon zugeschaltet, zugehört. Den Stimmen, die irgendwann, vielleicht bald, verstummen.