Rheinische Post Krefeld Kempen
Im Säurebad des Rock
Guns N’ Roses haben vor rund 40.000 Fans in der Veltins-Arena die ersten Stücke vergeigt. Danach wurde es gut.
GELSENKIRCHEN Erster Eindruck: Das Alter ist ein mieser Verräter. Axl Rose schleicht wie ein angeschossenes Raubtier über die Bühne. Massiger Körper, ein Karohemd als Rock, mehr Schmuck als Zsa Zsa Gabor, der Mund geöffnet, als müsse der 56-Jährige über die Zunge atmen. Man hört Soundbrei, der Spuren des Stücks „Mr. Brownstone“enthält. Die Band, die einst berüchtigt dafür war, Auftritte mit stundenlanger Verspätung zu eröffnen oder gar nicht aufzutreten, weil der Veranstalter Flaschen der falschen Whiskeymarke in die Umkleide gestellt hatte, beginnt diesen Abend sogar noch vor der avisierten Zeit. Viele überraschte Fans trudeln erst allmählich ein. Die Stücke verenden kraftlos in der mächtigen Arena. Und man fragt sich, ob der Kerl mit Zylinder, Gitarre und LockenPracht wohl der echte Slash ist. Nach dem dritten Lied tritt genau dieser Kerl dann aber ganz vorne an den Bühnenrand und stellt klar: Er ist es. Er fischt ein paar Akkorde aus dem Säurebad des Rock, dann stürmt Axl Rose zu ihm, wirft den Kopf nach hinten, holt tief Luft und schreit: „Welcome to the Jungle“. 41.520 Besucher sind aus dem Häuschen, und nun wird alles gut, erstaunlich gut sogar. Am Ende des Songs steht Rose auf einem Monitor und reckt die Arme in die Luft: Er weiß, jetzt hat er sie.
Guns N’ Roses spielen auf Schalke. Sie waren einst die größte Band der Welt, 1991 war das, als sie am selben Tag zwei Doppelalben veröffentlichten, die sich allein in den USA in den ersten zwei Stunden 500.000 Mal verkauften. Sie mischten Punk und Blues, Größenwahn und Bescheuertheit zu einem unwiderstehlichen Cocktail. Im selben Jahr spielten sie bei „Rock in Rio“vor 140.000 Menschen, und sie waren so gut, dass man sogar das AxlRose-Outfit mit Radlerhose, Stirnband und Arbeiter-Stiefeln irgendwie cool fand. Überhaupt konnten so viele gar nicht anders, als mit to- taler Hingabe auf diese Gruppe zu reagieren, sie wirkte identitätsstiftend auf eine Generation. Guns N’ Roses ließen den Rock ’n’ Roll explodieren, größer ging es nicht mehr, danach kam nur noch die Autoaggression von Nirvana, und heute regiert HipHop. Guns N’ Roses soffen, fixten und zerstritten sich, sie legten nur noch ein Album mit Coverversionen vor, Drummer und Gitarrist gingen von Bord, und irgendwann war da nur noch Axl Rose, der allerdings inzwischen bloß noch so hieß und nicht mehr so aussah. Nie im Leben würden diese Helden wieder zusammenkommen, das war jedem klar. Die Comeback-Tournee heißt nun „Not In This Lifetime“.
Die Bühne hat eine Showtreppe mit kleinem Podest in der Mitte, über die riesigen LED-Wände laufen Projektionen von Quallen, Blutkörperchen und Augen. Zu einem ultrahocherhitzten „Live And Let Die“knallt Pyrotechnik, und danach sagt Axl Rose, dass es jetzt gemütlicher und liebevoller werde, was aber nicht stimmt, weil sie „You Could Be Mine“mit Rasierklingen gespickt haben. „Guten Morgen!“, ruft Rose nach Ende des Songs – Metaller-Humor. Er trägt unglaublich hässliche Westernstiefel, deren Spitzen vorne senkrecht in die Höhe ragen, als habe ein Schuster in Texas von 1001 Nacht geträumt. Der Sound wird indes immer besser, sie erhöhen die Schlagzahl, bringen ein umwerfendes „Civil War“und ein sehr schön ätzendes „Sweet Child O’ Mine“. Slash (52), der ja von einem Herzschrittmacher beim Überleben unterstützt wird, seit er Mitte 30 ist, bekommt Szenenapplaus. Neben ihm und Axl Rose ist noch Bassist Duff McKagan (54) von damals dabei.
Gedanke zwischendurch: Das Wichtigste für eine Hardrock-Band ist das Logo. Das kann man dann auf alles drucken. Guns N’ Roses haben den goldenen Kreis mit den zwei Revolvern, eines der besten Logos überhaupt, und mehr als die Hälfte der versammelten Fans trägt es auf schwarzen T-Shirts. Überhaupt gilt diese Tournee in der „anteiligen Originalbesetzung“, wie man im Rock-Biz so sagt, schon jetzt als vierterfolgreichste aller Zeiten; übertroffen nur von U2, den Stones und Coldplay. Und vielleicht liegt das gar nicht an ihm, sondern an einem selbst, weil man natürlich ständig an früher denkt und sich dabei selbst begegnet und so eigenartig gerührt ist: Axl Rose scheint im Laufe dieser drei Stunden immer jünger zu werden. Er lächelt, er wirkt charmant, er rennt und rennt, und er zieht sich x-mal um: Sonnenbrille, Stirnband, Hut, Fransenjacke und zerrissene Jeans. Eine Diva in vollem Ornat.
Ein bisschen too much werden mit der Zeit allerdings die ausufernden Soli von Slash. Man muss schon Gitarrenhändler oder -lehrer sein, um nach dem Sechs-Minuten-Intro zu „Sweet Child O’ Mine“auch noch das Sieben-Minuten-Intro zu „November Rain“auf der DoppelhalsGitarre gut zu finden. Enervierende Verliebtheit in die Virtuosität: Drei Minuten spielt Slash nur mit links auf dem Griffbrett, er improvisiert auf das Thema von „Der Pate“und auf „Wish You Were Here“von Pink Floyd. Da atmet man auf, als sich Axl Rose auf einen Hocker setzt, der wie eine halbe Harley aussieht, und am Piano als eine Mischung aus Easy Rider und Elton John die ersten Verse einer völlig überkandidelten und total großartigen Rockoper in ein rot glitzerndes Mikro singt: „When I look into your eyes / I can see a love restrained“. Das ist „November Rain“, und man sollte sich nochmal den ellenlangen Video-Clip von damals ansehen, in dem Axl Rose seine Freundin, das Supermodel Stephanie Seymour, heiratet und Slash erst im Staub vor der Wüstenkirche und später auf dem Klavier stehend seine Soli spielt. Die endgültige PowerKitsch-Ballade. Großes Tennis.
Sie sagen noch etwas über Donald Trump, die Worte „kick“und „balls“tauchen darin auf, und dann kommt „Paradise City“. Vielleicht schnurrt die ganze Faszination dieser Band auf die Trillerpfeife zusammen, in die Axl Rose pustet, bevor der Song ausrastet: Störung, Aufruhr, Schrillheit, Alarm. Bei ihnen geht es nur um den Moment, die Ewigkeit überlassen sie den Stones.
„Am Wochenende JunggesellenAbschied in Holland gefeiert, heute dieses Konzert: Ich weiß gar nicht, wie ich morgen die Arbeit überstehen soll“, sagt einer beim Rausgehen. „It’s hard to hold a Candle in the cold November Rain.“