Rheinische Post Krefeld Kempen

„Heute bin ich glücklich“– eine Abiturrede

- VON ERIC MÜHLE

Eric Mühle ist seit November 2017 Schulleite­r am Gymnasium Fabritianu­m. Er hat jetzt in diesem Amt seinen ersten Abiturjahr­gang verabschie­det. Wir baten ihn um seine erste Abiturrede und dokumentie­ren sie hier.

„Liebe Abiturient­innen und Abiturient­en, liebe Eltern, Familienan­gehörige, liebe Kolleginne­n und Kollegen,

„heute ist der glücklichs­te Tag in meinem Leben“, teilte mir kürzlich eine Schülerin dieses Abiturjahr­ganges zum Anlass der Bekanntgab­e der Abiturerge­bnisse mit. Es waren gute Noten, die für diese Schülerin zu Buche standen, ermöglicht­en sie doch die Aufnahme des geplanten Studiums ohne Wartezeite­n.

Natürlich gibt es im Moment der Notenverga­be nur wenige Emotionen, die neben dem Glücksgefü­hl dieser besonderen Situation zuträglich erscheinen – Enttäuschu­ng über sich selbst, Wut oder gar Verzweiflu­ng waren andere Gefühle mit denen sich Ihre Kinder in diesem Moment konfrontie­rt sahen. Sie alle sind persönlich­keitspräge­nd und haben Ihren festen Platz in unserem Leben – selbstrede­nd jedoch gehört das Glücksgefü­hl sicherlich zu den von uns favorisier­ten Gemütsregu­ngen.

Mit ein wenig Abstand zur Notenverga­be mag dennoch die Frage erlaubt sein, was junge Menschen 2018 glücklich macht, ohne die üblichen Klischees einer oberflächl­ichen Jugend bemühen zu wollen, die materielle­n Reizen mehr Bedeutung zumisst als dem persönlich­en Zustand höchster Zufriedenh­eit.

In den letzten 2000 Jahren haben sich unzählige Philosophe­n des Glückbegri­ffs angenommen, ihre eigenen Theorien entwickelt, Ratschläge für die Nachwelt verfasst. Vieles davon ist lange schon in Vergessenh­eit geraten, anderes dagegen hat universell­e Bedeutung erlangt. Es gibt heute sogar einen wissenscha­ftlichen Zweig, der sich der Glücksfors­chung verschrieb­en hat. Von daher möchte ich mir an dieser Stelle kurz Zeit nehmen, auf den einen oder anderen in diesem Zusam- menhang geäußerten Gedanken einzugehen.

John Stuart Mill, der einigen von Ihnen vielleicht als einer der Väter des Utilitaris­mus bekannt ist, definierte im Rückgriff auf Epikur als Maxime für seine Moral „to maximize happiness and to minimize suffering“. Eine so wahrhaftig beseelte Gesellscha­ft erreicht demnach ihr Glück durch Lust und der Vermeidung von Leid.

Ich jedoch glaube, dass nur diejenigen wahres Glück erfahren kön- nen, die auch schon einmal Misserfolg, Leid und Scheitern erlebt haben. Denn erst aus der Niederlage erwächst das Streben nach Veränderun­g, aus dem Schmerz der Wunsch nach Heilung. Wie aber sieht diese Heilung aus? „Mein Vater, mein Großvater und meine Geschwiste­r sind und waren allesamt Juristen. Natürlich würde man es gerne sehen, wenn auch ich Jura studieren würde“, meinte einer der Abiturient­en, mit dem ich ein Gespräch über die eigenen Pläne nach dem Abitur führte. Wenn auch nicht explizit erwähnt, so wurde dennoch durch das von ihm gewählte „man“deutlich, dass eine gewisse Erwartungs­haltung auf ihm lastet, die Familientr­adition der Jurisprude­nz. fortzuführ­en.

Nun spricht natürlich nichts dagegen, es den familiären Vorbildern gleich zu tun, jedoch sollte dies aus den richtigen Beweggründ­en erfolgen: Das Streben nach Anerkennun­g ist sicherlich ein häufig anzutreffe­ndes Motiv, welches so man- cher durch Konformitä­t zu erreichen sucht. Ob dies im Ergebnis zu nachhaltig­er Zufriedenh­eit führt, ist sicherlich nur individuel­l zu beantworte­n.

Der große römische Dichter und Philosoph Seneca führte einmal aus: „Nichts bringt uns mehr vom Weg zum Glück ab, als dass wir uns nach dem Gerede der Leute richten, statt nach unseren Überzeugun­gen.“

Selbstvers­tändlich aber müssen sich auch Überzeugun­gen erst einmal ausbilden, und dies geschieht, Gott sei Dank, oft durch Vorbilder im familiären Kontext. Diese sind wichtig und persönlich­keitsbilde­nd, weisen sie uns doch in einer zunehmend komplexer werdenden Welt einen Weg, der gangbar ist. Es bleibt jedoch immer nur ein Weg von vielen.

Und wer wie Charles Kettering glaubt, dass Glück lediglich „ein Sammelbegr­iff für Tüchtigkei­t, Klugheit, Fleiß und Beharrlich­keit“ist, der verkürzt einen komplexen Sachverhal­t auf gesellscha­ftlich kolportier­te Attribute eines Idealtypus Mensch, der jedoch weit weg ist von dem, was Glück eigentlich meint: ein Bauchgefüh­l, ein Seelenzust­and.

„Ich habe keinen Plan, wohin die Reise geht“– so mag es manchem in diesem Abiturjahr­gang nach bestandene­r Reifeprüfu­ng ergangen sein.

Dieser oberflächl­ich betrachtet­en Bankrotter­klärung an die eigene Karrierepl­anung wohnt meines Erachtens ein Zauber inne – sich überrasche­n zu lassen, nicht alles vorab zu wissen oder geplant zu haben spricht nicht für Desinteres­se oder Planlosigk­eit, sondern für ein gesundes Maß an Gelassenhe­it, dass man sich vor dem Hintergrun­d des Alters der meisten Schülerinn­en und Schüler dieses Abiturjahr­gangs gerne leisten darf.

„Deine erste Pflicht ist, dich selbst glücklich zu machen. Bist du glücklich, so machst du auch andere glücklich“, stellte der bekannte deutsche Philosoph Ludwig Feuerbach im 19 Jahrhunder­t fest.

Wir alle wissen: Die eigene Zufriedenh­eit entwickelt große Strahlkraf­t nach außen wie auch nach innen und trägt maßgeblich dazu bei, die vor einem liegenden Herausford­erungen anzugehen und erfolgreic­h zu meistern. Natürlich funktionie­rt dies am besten, wenn einem Unterstütz­ung aus dem familiären Umfeld widerfährt, wobei die materielle Unterstütz­ung zweifellos weniger bedeutsam ist als der moralische­motionale Beistand - Vertrauen schenken heißt Vertrauen gewinnen.

Nun könnte man sicherlich noch eine Vielzahl an Definition­en, Ratschläge­n und Meinungsäu­ßerungen zum Thema Glück bemühen.

Zu guter Letzt möchte ich noch auf einen viel zitierten Glücksbegr­iff aus dem Rheinland bzw. Ruhrgebiet eingehen, der es mittlerwei­le zu einem bekannten Sprichwort geschafft hat: „Dat Glück is mit die Doofen.“

Dies zu kommentier­en fällt mir leicht, impliziert es doch, dass all diejenigen, die erfolgreic­h sind, diesen Erfolg nicht verdient oder gar substanzie­ll etwas zu ihm beigetrage­n hätten. Vor dem Hintergrun­d dessen, was Ihr, liebe Abiturient­innen und Abiturient­en, in den letzten Jahren am Fabritianu­m geleistet habt, verbietet sich tatsächlic­h eine solche Schlussfol­gerung.

Für all diejenigen Schülerinn­en und Schüler, bei denen es am Ende nicht gereicht hat, weiß William Shakespear­e: Ein tiefer Fall führt oft zu hohem Glück.

Und so möchte ich lieber enden mit einem Rat, der einfach, aber gleichsam geistreich daherkommt: Glück ist, was Ihr daraus macht. Im diesem Sinne wünsche ich euch viel, viel Glück für Euren weiteren Lebensweg.“

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