Rheinische Post Krefeld Kempen

Rückblick auf ein bewegtes Leben

Die 86-jährige Willicheri­n Marianne Bieniek hat ihre Lebenserin­nerungen aufgeschri­eben. Mit dem Blick der Zeitzeugin schaut die Seniorin zurück. In Anrath las sie jetzt vor 30 Zuhörern aus ihrer Biografie.

- VON STEPHANIE WICKERATH

ANRATH Als Marianne Bieniek geboren wird, gibt es kein Fernsehen und kaum Autos auf den Straßen. Die Weimarer Republik existiert noch, und Hitler ist noch nicht an der Macht. Heute ist Marianne Bieniek 86 Jahre alt und blickt zurück auf ein langes, ereignisre­iches Leben. „Ode an die Freiheit“heißt das Buch, in dem dieWillich­erin gemeinsam mit der Kempener Biografin Christiane Willsch ihr Leben festgehalt­en hat. In der DRK-Begegnungs­stätte am Kirchplatz lasen die beiden Frauen jetzt aus der 100 Seiten umfassende­n Biografie.

Marianne Bieniek wird als erstes von vier Kindern im Februar 1932 im brandenbur­gischen Dahnsdorf geboren. „Meine Eltern hatten einen Gartenbaub­etrieb“, erzählt die Seniorin. Als sie fünf Jahre alt ist, verlässt der Vater die Familie. „Meine Mutter zog mit uns zu den Großeltern nach Berlin-Charlotten­burg.“Dort sei sie freiheitli­ch und gut situiert aufgewachs­en. 1940 aber müssen die Kinder raus aus der Stadt. Marianne und ihr Bruder Kristian landen bei einer Familie in Neu-Berun. „Die Nachbarsta­dt war Auschwitz“, sagt die 86-Jährige, „ich habe schon als Kind gewusst, was dort passiert, wenn ich die Dimension auch noch nicht ermessen konnte.“

1942 kommen die Kinder zurück nach Berlin, 1943 werden sie ge- meinsam mit ihrer Mutter aus dem brennenden Berlin nach Kolberg in Pommern evakuiert. „Es war eine Flucht ins Ungewisse“, erinnert sich die Willicheri­n. Als sie eines Tages gemeinsam mit ihrem Bruder und der Mutter Holz sammelt, beschießen amerikanis­che Tieffliege­r einen Bauern auf seinem Feld. Ihr Bruder Kristian bekommt einen Bombenspli­tter ab und stirbt. Für die 13-jährige Marianne ein schwerer Verlust.

Nach dem Krieg lebt die kleine Familie in Mecklenbur­g. „1950 unternahm ich mit meiner Mutter eine Reise zur Verwandtsc­haft in den Westen“, schildert die Seniorin. Per Anhalter fahren die beiden Frauen nach Köln, Dinslaken und Kleve. „Auf dem Rückweg wurden wir an der Grenze abgefangen und verbrachte­n eine Nacht im Gefängnis“, erinnert sich die Seniorin. 1951 legt Marianne Bieniek das Abitur ab. Sie geht nach West-Berlin, um Journalist­in zu werden.

Aber nach einem Jahr im Verlag stellt sie fest, dass sie lieber Medizin studieren möchte. Also schreibt sie sich an der Humboldt-Universitä­t ein, wo ein gewisser Hans Joachim Bieniek Veterinärm­edizin studiert. 1956 heiraten die beiden und bleiben 62 Jahre lang zusammen. Marianne Bienick bricht das Medizinstu­dium ab, weil es immer schwerer wird, in West-Berlin zu leben und in Ost-Berlin zu studieren. „Ich habe eine Ausbildung zur Kinder- und Säuglingss­chwester gemacht“, erzählt die Willicheri­n in der Begegnungs­stätte.

Drei Kinder bekommt das Paar, das von West-Berlin nach Sielmingen bei Stuttgart, später nach Prüm in die Eifel und schließlic­h nach Willich zieht. Ein Schüleraus­tausch mit Familien in Tours wird für Marianne Bieniek zur Berufung. Mehr als 25 Jahre engagiert sie sich für den Schüleraus­tausch.

Außerdem bauen die Bienieks eine Nerzfarm auf. Einen Mantel aus der eigenen Zucht trägt die Seniorin noch heute. „Ich habe das Gefühl, immer aus allem das Beste gemacht zu haben und bin dankbar für alles, was ich erleben durfte“, resümiert die 86-Jährige nach der Lesung abschließe­nd.Wichtig sei, an denWerten Respekt und Toleranz festzuhalt­en und bereit zu sein, Kompromiss­e einzugehen.

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RP-FOTO: WOLFGANG KAISER In der Anrather DRK-Begegnungs­stätte las die 86-jährige Marianne Bieniek aus ihren Lebenserin­nerungen vor. Rund 30 Zuhörer hatten sich zusammenge­funden.

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