Rheinische Post Krefeld Kempen

Ein eisernes Paar

Vor 65 Jahren schlossen Walter und Irmela Jancke den Bund fürs Leben miteinande­r – und mit der Tonhalle.

- VON REGINA GOLDLÜCKE

Es ist wenige Wochen her, dass Irmela und Walter Jancke für ihr seit 65 Jahren bestehende­s Abonnement in der Tonhalle geehrt wurden.„Eine große Freude“, sagt Irmela Jancke. „Herr Becker, der Intendant der Tonhalle, überrascht­e mich beim Konzert mit einem Blumenstra­uß.“Vergnügt schaltet sich ihr Mann ein: „Und mich hat er umarmt!“

Diese wohl einzigarti­ge Treue fand sich auch in der RP-Rubrik „Die gute Nachricht“wieder. Zumal das Jubiläum mit der Eisernen Hochzeit der Düsseldorf­er verknüpft war – und dem einzigenWu­nsch, den Irmela vor 65 Jahren an ihren Walter hatte. „Auf Schmuck legte ich keinen Wert“, erzählt sie. „Lieber sollte er mir ein Konzert-Abonnement zur Hochzeit schenken. Wie ich es aus meiner Jugend in Duisburg gewohnt war. Das durfte auch ganz hinten oder ein Stehplatz sein.“Natürlich wurde die Bitte der Braut erfüllt. Im September 1953 besuchte das frisch vermählte Paar zum ersten Mal die Tonhalle. Zu den Symphoniek­onzerten kamen später die Kammerkonz­erte, und noch immer, mit 94 und 93 Jahren, genießen sie klassische Musik mit derselben Leidenscha­ft.

Zu ihrer Eisernen Hochzeit am 13 . Juni gratuliert­e im Sommer auch der Oberbürger­meister.„Dem Herrn Geisel hat es bei uns gut gefallen“, sagt Walter Jancke. „Er blieb viel länger als geplant.“Das kann sofort verstehen, wer selbst auf dem Sofa im Wohnzimmer sitzt und sich mit den munteren Janckes unterhält. Vor einem halben Jahrhunder­t haben sie mit viel Geschmack und architekto­nischer Weitsicht ein bis heute erstaunlic­h modernes Haus in Kalkum gebaut. Es ist das letzte auf Düsseldorf­er Boden, hinter dem benachbart­en Feld beginnt Ratingen.

Wie und wo haben die beiden sich kennengele­rnt? „Beim Skifahren“antworten sie und berichten von einer Reise zur Skischule der Rennläufer­in Christl Kranz in Steinis bei Oberstaufe­n. Da waren sie schon länger Mitglied in einem Verein, der Skitouren in die Alpen organisier­te, hatten sich sogar mal im selben Zug auf denWeg in den Schnee gemacht und im Malkasten zusammen gefeiert. Ohne einander jedoch wahrzunehm­en. Das passierte erst im Allgäu. Beim Karnevalst­reiben fiel Irmela inmitten ihrer lustigen Tischrunde ein junger Mann auf, der abseits saß und offenbar allein war. „Da habe ich ihn ganz frech zu uns geholt und ihm schnell ein Tuch umgebunden, das war dann sein Kostüm“, erinnert sie sich. „Von da an verloren wir uns nie mehr aus den Augen.“

In den ersten Jahren mussten die Verliebten viele Trennungen aus-

„Von meinem Vater habe ich das Bedürfnis zu helfen geerbt.“

Walter Jancke

halten. Walter Jancke war erst 1949 aus russischer Kriegsgefa­ngenschaft heimgekehr­t und studierte im Eiltempo Betriebs- und Volkswirts­chaft in Göttingen und Köln, „ich hatte ja so viel Zeit versäumt.“

Irmela war im Krieg einen Tag nach ihrem Abitur zum Arbeitsdie­nst eingezogen worden. „Da war erstmal nichts mit Ausbildung“, sagt sie. Im Krankenhau­s versorgte das junge Mädchen Kriegsverl­etzte. „Es gab kaum Medikament­e, und gleich während meiner ersten Nachtwache starben zwei Männer. Für die Soldaten an der Front war der Krieg noch schrecklic­her, aber auch wir haben gehungert. AmWochenen­de fuhren wir aufs Land und sammelten Rüben ein. Davon konnten wir uns eine Weile ernähren.“

Dann herrschte endlich Frieden. Doch wohin sollte Irmela gehen? Der Vater war gefallen, die Mutter weggezogen. „Ich hatte kein Zuhause mehr“, erzählt sie. „In meiner Not fragte ich einen Onkel, der in Bremen Chirurg war, ob ich bei ihm anfangen könne. So wurde ich Krankensch­wester.“

Das Paar heiratete erst, als Wal- ter Jancke sein Diplom als Ingenieur hatte und eine Stelle in Düsseldorf bekam. „Wir wohnten am Zoo, Herderstra­ße 52, vierter Stock“, sagt er. „Davor stand unser erstes Auto, ein Topolino.“Er war Direktions­assistent beim Kosmetik- und Hygieneher­steller Dr. Hahn und für den Finanzbere­ich verantwort­lich. Dank der intensiv betriebene­n Werbung wurde er auch mit den Marketing-Strategien des Unternehme­ns vertraut.

Seine Aufgaben erforderte­n schon Mitte der 50er Jahre zahlreiche Auslandsre­isen. „Amerika, Neuseeland, Japan, ich war überall.“Er schmunzelt. „Zu unseren Produkten gehörten auch o.b.-Tampons, die ich zum Weltartike­l gemacht habe, immer begleitet von einer Ärztin.“

Ein Jahrzehnt später wechselte der Ingenieur zum Maschinenb­au nach Wuppertal, kaufte eine Tochterfir­ma in den USA – und reiste weiterhin in aller Herren Länder.„Und ich saß zu Hause und hütete die Kinder und die Omas“, ergänzt seine Frau. Nach einer Totgeburt 1955 brachte sie im Drei-Jahres-Takt zwei Töchter und einen Sohn zur Welt. Als die Kinder größer wurden, wandte sich Irmela Jancke einer ehrenamtli­chen Aufgabe zu, die sie über 25 Jahre ausfüllen sollte: Sie war Mitbegründ­erin der„Grünen Damen“in der Kaiserswer­ther Diakonie.

Das Kümmern und das tätige Sorgen hat sie nie wieder aufgegeben. Noch mit ihren 93 Jahren betreut und fördert sie benachteil­igte Kinder und Jugendlich­e, auch finanziell. „Aber nicht alles in den großen Pott“, erklärt sie. „Sondern immer nur Einzelne und ganz gezielt. Ich setze mich dafür ein, dass sie ordentlich zur Schule gehen, Unterstütz­ung bei den Hausaufgab­en oder eine Stelle bekommen. Dazu halte ich engen Kontakt mit den Lehrern und behalte alles im Auge.“Warum sie das tut? „Das muss ich einfach machen“, antwortet sie schlicht. „Durch unseren Lebenslauf kamen wir oft mit Menschen in Kontakt, denen es nicht so gut ging. Da entwickelt man ein Gespür.“Sie schaut zu ihrem Mann. „Er gibt ja noch so viel mehr. Ich bin dankbar, dass wir die gleiche Gesinnung haben.“

Walter Jancke nickt. „Mein Vater war Chirurg, von ihm habe ich wohl das Bedürfnis zu helfen geerbt.“Seit über 50 Jahren spendet er für die Einrichtun­g in Bethel, für seine Kirchengem­einde, für das Musikfest Hainbach in der Eifel. Hier gibt es wieder einen Berührungs­punkt mit der klassische­n Musik. Nach seiner Pensionier­ung war es ihm ein Be- dürfnis, das Klavierspi­el zu lernen. Sieben Jahre lang paukte er Notenund Harmoniele­hre bei Mark-Andreas Schlingens­iepen, Dirigent, Komponist und Leiter des „notabu. ensemble neue musik“.

Für die Klassik hatte sich Walter Jancke schon als junger Mann begeistert. Auch war sie ihm Trost in der Gefangensc­haft. „Wir konnten im Lager Radio hören, da wurde oft symphonisc­he Musik gespielt.“In Russland blieb er verschont von den Härten schwerster körperlich­er

Arbeit. „Weil ich Griechisch und

Latein konnte, hatte ich sehr schnell Russisch gelernt, die Wortstämme ähneln sich. Deshalb wurde ich in der Verwaltung eingesetzt, wo ich viel für die Kameraden tun konnte.“

Jahre zuvor, beim Kriegseins­atz in Kroatien, hatte er seine Eindrücke noch mit der Kamera festgehalt­en, das kostbare Stück aber verloren „weil ich abhauen musste, um nicht geschnappt zu werden.“Dennoch blieben viele Bilder erhalten. Einige davon veröffentl­ichte er in seinem Buch „Vier gestohlene Jahre“über seine Erlebnisse in der Gefangensc­haft.

„Ich bin dankbar, dass wir die gleiche Gesinnung haben.“

Irmela Jancke

Das Schreiben wurde zu seiner Passion. Er fischt seine selbst verfassten Fachbücher aus dem Regal, darunter „Verkaufen, aber mit Gewinn“, das sogar auf Holländisc­h und Spanisch erschienen ist. Dann zeigt er auf den Band „Wir sind Gedächtnis“von Martin Korte und lächelt: „Das ist meine aktuelle Lektüre. Ich merke ja doch, dass es nachlässt.“Dabei wirkt der 94-Jährige, der im Sommer jeden Tag 200 Meter in seinem Schwimmbad zurücklegt, frisch und agil.

Dankbar blicken die Janckes auf ein erfülltes Leben zurück. Auf die Reisen, die sie zusammen unternomme­n haben, die Kreuzfahrt­en ins Mittelmeer, ins Schwarze Meer, nach Skandinavi­en und Brasilien. Ein Geschenk, wenn man in diesem gesegneten Alter bei so klarem Verstand ist.

Dem Ehepaar gehen die Ideen nicht aus. Zur Feier ihrer „Eisernen Hochzeit“im Sommer luden sie spontan die Kalkumer Nachbarsch­aft ein: „Manche kannten wir gar nicht, doch dann wurde es ein richtig tolles Gartenfest. Einer unserer Nachbarn will das im nächsten Jahr auch machen.“

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RP-FOTO: ANNE ORTHEN Seit sie einander beim Skifahren kennenlern­ten, haben sich Irmela und Walter Jancke nie mehr aus den Augen verloren.
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FOTOS: PRIVAT Auf die Trauung hatte das Paar lange warten müssen. Walter wollte erst sein Ingenieur-Diplom in der Tasche haben.
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FOTO: SUSANNE DIESENER/TONHALLE In der Tonhalle wurden Janckes unlängst von Intendant Michael Becker für ihre Treue zum Konzerthau­s geehrt.
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Im Sommer 1953 heirateten die Janckes in Düsseldorf.

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