Rheinische Post Krefeld Kempen
Manche Wünsche besser nicht erfüllen
US-Präsident Trump beklagt stets das Handelsdefizit. Aber Exportstärke birgt auch Kapitalrisiken.
Lesern bunter Gesellschaftsseiten sind Menschen, die fürs bessere Aussehen zu Botox greifen, gut bekannt. Ein oft geäußerter Wunsch sind etwa „vollere Lippen“. Heraus kommt nicht selten ein übertriebenes Ergebnis, das als „Schlauchboot“bekannt ist. Ein gutes Beispiel für einen Wunsch, der besser nicht in Erfüllung gegangen wäre.
Nicht viel einfacher als Humanmedizin ist die Volkswirtschaft. Auch hier führen verborgene Zusammenhänge bisweilen dazu, dass gut Gemeintes ein unerwünschtes Ergebnis hervorbringt. Während die Deutschen mit überwältigender Mehrheit US-Präsident Trump ablehnen, stehen sich beide in ihrer Sicht auf den Welthandel überraschend nahe. Sie sind nämlich überzeugt davon, dass Exporte ein Zeichen der Stärke sind und Importe eines von Schwäche. Für uns Deutsche klingt das geradezu natürlich. Alle Welt liebt unsere Autos, von denen wir viel mehr bauen, als wir selbst kaufen. Und was wir nicht brauchen, verkaufen wir eben ins Ausland. Deshalb haben wir einen großen Handelsüberschuss, auf den wir stolz sind. Und anderen Ländern wie Griechenland gern als Vorbild empfehlen. Sollen sie sich halt mehr anstrengen, tolle Sachen zu produzieren, dann ginge es ihnen auch so gut wie uns. Was übersieht, dass erst dann alle Länder gleichzeitig Handelsüberschüsse produzieren könnten, wenn wir erfolgreich an Außerirdische verkaufen könnten.
So wie Deutschland geradezu genetisch auf einen Exportüberschuss festgelegt scheint, so haben die USA ein Defizit. Und das seit etwa 40 Jahren. „Klar – kein Wunder bei deren Autos“, denken viele reflexhaft. Und liegen damit weit daneben. Denn es geht nicht um die Qualität von Autos, sondern ganz allgemein umWaren und Dienstleistungen. Und da sind US-Unternehmen in den meisten BranchenWeltmarktführer. Arzneimittel, Medien, Flugzeuge, Ban- ken, Software, Computerchips, Onlinehandel – man kann sie gar nicht alle aufzählen. Und Präsident Trump denkt genau wie die Deutschen: Ein Handelsdefizit ist ein Zeichen der Schwäche, wir werden übervorteilt. Er nimmt wahr, dass die Handelspartner der USA sich unfair verhalten – wie könnte es sonst zu einem Importüberschuss kommen? Das klingt wie eine rein rhetorische Frage, ist es aber nicht. Man könnte auch sagen: Die Sparer sind schuld. Wie das?
Stellen wir uns unsere Volkswirtschaft wie eine talentierte Großfamilie vor.Sie stellt praktisch alles selbst her, was sie braucht. Aber da sie talentiert ist, produziert sie über den eigenen Bedarf hinaus.
Die handgestrick- ten Schals, die leckere Marmelade aus den eigenen Kirschen und den selbst geschreinerten Esstisch verkauft sie erfolgreich auf Handwerksmärkten und bei Ebay. Die Familie könnte nun diese Dinge so lange aufbewahren, bis sie selbst Verwendung dafür hat. So gesehen, hat sie nämlich Schals und Marmelade gespart. Stattdessen spart sie nun das Geld, das sie durch denVerkauf eingenommen hat. Mit ihrem „Exportüberschuss“sammelt die Familie Kapital an.
Ganz ähnlich sind in der globalen Wirtschaftswelt die größten Netto-Exporteure auch die größten Sparer. Mit Stärke oder Schwäche hat das aber nichts zu tun. Schließlich muss der Sparer immer hoffen, dass er sein gespartes Geld irgendwann auch wie- der sieht. Einem Exportüberschuss steht nämlich immer ein Kapitalexport gegenüber. Das ist so etwas wie das Grundgesetz der Handelsbilanz. Das aus Exporten aufgebaute Kapital liegt also im Ausland. Auch Kleinanleger wissen, was das bedeutet: Dort können Inflation und Wirtschaftskrisen an seinemWert nagen.
Präsident Trump kann ohnehin das Handelsdefizit seines Landes nicht einfach abschaffen. Er kann nur die Einfuhren seiner Landsleute bremsen, etwa durch Zölle. Das verteuert also die Lebenshaltung seiner Wähler. Oder er sorgt dafür, dass in anderen Ländern mehr US-Waren gekauft werden. Dann werden seine Exporteure ebenfalls zu „Sparern“, mit allen Risiken. Keins von beiden dürfte ihn freuen. Auch ein US-Präsident hat manchmal Wünsche, die aber im eigenen Interesse besser nicht in Erfüllung gehen.