Rheinische Post Krefeld Kempen
Auf Wunsch auch lebenslänglich
Manchmal hilft schon menschliche Wärme und das Gefühl, dazuzugehören. 42 Menschen mit psychischen Problemen leben in der Region in Gastfamilien. Wir haben eine in Süchteln besucht.
KREIS VIERSEN Ruth Martschin und Myriam Hoffmann strahlen. Die beiden Frauen haben gerade ihren Urlaub gebucht. „Wir machen nächstes Jahr im April eine Mädelstour. Es ist unser erster gemeinsamer Urlaub und es geht für neun Tage nach Ägypten“, erzählt Hoffmann, während sie in der heimischen Küche einen Kaffee kocht und die eingekauften Teilchen auf einem Teller verteilt.Wenn man die beiden beobachtet, könnten es Mutter und Tochter sein, die es sich nach dem Besuch im Reisebüro gerade in den eigenen vier Wänden gemütlich machen. Eine verwandtschaftliche Beziehung besteht aber nicht, wenngleich Hoffmann seit nunmehr sechs Jahren fest zu der Süchtelner Familie gehört. Die psychisch erkrankte 38-Jährige nutzt das Angebot von LiGa vom Landschaftsverband Rheinland (LVR). LiGa steht dabei für „Leben in Gastfamilien“.
Seit 30 Jahren bietet der LVR-Klinikverbund die besondere Wohnform an, bei der eine Gastfamilie einem Menschen mit psychischen Problemen ein Zuhause bietet. Es handelt sich dabei um Laien, die sich einfach durch Mitmenschlichkeit, allgemeine soziale Kompetenz und eine von Toleranz geprägte Grundhaltung auszeichnen. Sie nehmen einen erkrankten Menschen in ihrem Haushalt auf und binden ihn wie ein Familienmitglied in den Alltag ein. Wobei es sich bei den Erkrankungen unter anderem um Depressionen, Angstzustände, Suchterkrankungen mit psychischen Folgen oder Psychosen handeln kann. Sie beeinträchtigen den Erkrankten so, dass er nicht alleine leben kann, aber auf der anderen Seite auch nicht in einer stationären Einrichtung leben müsste.
Für Martschin ist Hoffmann nicht die erste Bewohnerin. Für knapp fünf Jahre hatte auch ein junger Mann bei der Süchtelner Familie gelebt. „Heute wohnt er mit seiner Freundin zusammen. Der Kontakt ist aber nicht abgerissen, wenngleich er vor mehr als sechs Jahren ausgezogen ist“, erzählt sie. Kaum war der junge Mann damals ausgezogen, kam Myriam Hoffmann zur Familie.
Die Entscheidung, Gastfamilie zu werden, wurde damals innerhalb der Familie besprochen. Schließlich ist es eine Entscheidung, die alle Familienmitglieder zusammen treffen müssen. Martschin selbst hatte über ihre Arbeit als Hausangestellte in der LVR-Klinik Süchteln von LiGa erfahren und sich als Gastfamilie bewor- ben. Hoffmann nennt es„ein großes Glück, innerhalb einer Familie leben zu dürfen“, zu der sie passt. Das war leider bei der ersten Familie, in die sie einzog, nicht der Fall. „Dort habe ich mich nicht wohl gefühlt. Ich kam mir nicht richtig dazugehörig vor“, erzählt die 38-Jährige. Das ist bei Familie Martschin nicht der Fall. Hier stimmt die Chemie. Auf eins sind alle besonders stolz sind. Seit Hoffmann bei der Süchtelner Familie lebt, ist sie so ausgeglichen, dass es keinen Rückfall ihrer Erkrankung gab, der sie zu einem Klinikaufenthalt zwang. „Zuvor war ich dagegen einmal im Jahr für mehrereWochen in der Klinik, weil es mir einfach nicht gut ging“, berichtet sie. Der ganz normale Alltag bei den Martschin, in den sie eingebunden ist, gibt ihr Sicherheit. Ebenso ihre Arbeit in der Kerzenwerkstatt des LVR. „Sie gestaltet Kerzen nach individuellen Kundenwünschen und macht das einfach nur fantastisch“, lobt Martschin, die selbst solche Kerzen besitzt. Dabei lacht sie Hoffmann an und meint, dass Myriam aufWunsch auch gerne lebenslänglich in ihrer Familie haben könnte.
42 Klienten leben derzeit in den Kreisen Viersen, Neuss, Heinsberg sowie den Städten Krefeld und Mönchengladbach in insgesamt 39 Gastfamilien. „Wir sind immer auf der Suche nach weiteren Gastfamilien“, sagt Petra Theloy vom LiGa-Team. Die Gastfamilien werden durch das Team professionell unterstützt. Es steht bei Fragen oder Problemen rund um die Uhr zur Seite. Es gibt immer einen Ansprechpartner. Für Miete, Verpflegung und Betreuung erhält eine Gastfamilie pro Monat 990 Euro steuerfrei.