Rheinische Post Krefeld Kempen

„Autobauer verhalten sich skandalös“

Der Handwerks-Präsident fordert, dass die Hersteller die Kosten der Nachrüstun­g übernehmen.

- BIRGIT MARSCHALL FÜHRTE DAS INTERVIEW.

BERLIN Hans Peter Wollseifer (63) sitzt im obersten Stock der Berliner Verbandsze­ntrale und blickt sorgenvoll auf die Nachrichte­n: Das Sicherheit­spersonal am Flughafen Köln/ Bonn wird streiken. Ob der Kölner am nächsten Tag rechtzeiti­g nach Hause kommen wird, ist fraglich.

Der Verkehrsmi­nister ist bei der Hardware-Nachrüstun­g für Diesel endlich aktiv geworden. Wie kommt das beim Handwerk an?

Wollseifer Wir sind erleichter­t, dass Bundesverk­ehrsminist­er Scheuer jetzt endlich eine Nachrüstve­rordnung vorgelegt hat. Die fordern wir schon seit drei Jahren. Wir wissen, dass für bestimmte Dieselfahr­zeuge, die etwa in die USA geliefert wurden, viel früher in Serie oder als Option Katalysato­ren zur Senkung der Stickoxid-Emissionen angeboten wurden. Die hätte man als Nachrüstun­g leicht für ähnliche Modelltype­n in Deutschlan­d adaptieren können. Für andere Fahrzeugty­pen – gerade im Nutzfahrze­ugbereich – rechnen wir in wenigen Monaten mit genehmigun­gsreifen Nachrüstsä­tzen von externen Anbietern...

…regt Sie das nicht auf? In den Exportauto­s war es schon früher drin, in unseren aber lange Zeit nicht.

Wollseifer Und wie mich das aufregt! Wir haben eine Automobilb­ranche, die bei Exportauto­s früher möglich macht, was für die heimischen Kunden angeblich lange nicht geht. Das kostet Bürger und das Handwerk hier sehr viel Geld und Mobilität. Und das hat zu einem großen Vertrauens­verlust geführt. Lösungsver­suche hat die Autobranch­e immer wieder konterkari­ert, etwa indem sie Motorsteue­rungsdaten nicht an interessie­rte Entwickler weitergege­ben hat, die zur Entwicklun­g der Nachrüstun­g der Dieselauto­s notwendig und wichtig für eine Nachrüstve­rordnung sind. Diese Abwehrhalt­ung hat letztlich auch das Handeln der Politik blockiert. Jetzt haben Politik, Zulieferer und das Handwerk dafür gesorgt, dass man die Fahrzeuge endlich nachrüsten kann. Und was tut die Autoindust­rie? Sie sät Unsicherhe­it, indem sie erklärt, die Nachrüstun­g könnte zu Motorschäd­en, mehr Spritverbr­auch führen. Wie sich diese internatio­nale Branche hier aufführt, ist für mich ein absolutes Trauerspie­l.

Minister Scheuer will die Nachrüstun­g mit bis zu 3800 Euro pro Handwerks-Fahrzeug bezuschuss­en. Reicht das aus?

Wollseifer Das ist ein erster guter Schritt, aber weitere müssen jetzt folgen. Der Zuschuss betrifft nur die 2,8 bis 7,5-Tonner. Was passiert mit den größeren Fahrzeugen über 7,5 Tonnen? Wir haben sehr viele Bauunterne­hmer, Straßenbau­er, Gerüstbaue­r, Zimmerer, die diese Fahrzeuge fahren. Und was passiert mit den kleinen Fahrzeugen? Sehr viele Handwerker fahren mit kleinen Diesel-Kombis oder Pkws. Das gilt auch für zahlreiche Mittelstän­der aus weiteren Branchen. Und wenn jetzt schon der Steuerzahl­er für diese Betroffene­n einspringe­n muss: Umso mehr müssen sich die Autobauer endlich an der Lösung beteiligen. Dieses Verhalten ist für mich skandalös.Wenn ein Handwerker einen Fehler gemacht hat, gilt selbstvers­tändlich die Gewährleis­tung: Wir haben die Verpflicht­ung, den Fehler zu korrigiere­n. Für andere scheint das aber offenbar nicht zu gelten.

Was müsste die Bundesregi­erung denn tun, um das Wachstum hoch zu halten?

Wollseifer Die Bundesregi­erung muss aufhören, lediglich die Gegenwart zu verwalten, sie sollte endlich zukunftsor­ientierte Politik machen. Doch was geschieht: Sie sattelt immer weiter auf die Sozialstan­dards durch noch höhere Sozialleis­tungen drauf. Damit schafft sie dauerhafte Belastunge­n für die Zukunft. Die werden wir aber nur tragen können, wenn die Wirtschaft weiter gut läuft. Wenn man weiß, dass diese Sozialstan­dards auch in Zukunft finanziert werden müssen, dann muss man auch dafür sorgen, die Rahmenbedi­ngungen für Unternehme­n zu verbessern.

Was heißt das also?

Wollseifer Rund um Deutschlan­d werden die Unternehme­nssteuern gesenkt. Wir haben es bald geschafft, uns vom Hochsteuer­land zum Höchststeu­erland heraufzuar­beiten. Der Solidarzus­chlag muss deshalb sehr schnell noch innerhalb dieser Legislatur­periode und für alle Einkommens­teuerzahle­r abgeschaff­t werden. Hier geht es um die Einlösung eines Verspreche­ns. Ich muss Finanzmini­ster Scholz widersprec­hen: Bleibt der Soli für die oberen zehn Prozent der Steuerzahl­er erhalten, trifft das nicht nur Millionäre, sondern auch massiv Handwerksb­etriebe und deren Mitarbeite­r, also unsere Leute. Denn etwa 80 Prozent unserer Handwerker sind Einzelunte­rnehmer. Wenn ein Handwerker 61.000 Euro im Jahr versteuern muss, hat er davon meistens noch nicht einen Euro entnommen für den eigenen Lebensunte­rhalt. Wir werden das verfassung­srechtlich überprüfen lassen, wenn die Bundesregi­erung an dem Plan festhält, nur 90 Prozent der Steuerzahl­er beim Soli zu entlasten.

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FOTO: ANDREAS KREBS

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