Rheinische Post Krefeld Kempen

Der Meister der Moderation

Ottmar Hitzfeld ist der Diplomat unter den großen Fußballtra­inern. Mit Menschlich­keit und Zurückhalt­ung führte er Dortmund und Bayern zum Champions-League-Sieg. Samstag wird er 70.

- VON ROBERT PETERS

MÜNCHEN/DORTMUND Es ist ein frühsommer­licher Nachmittag im Mai 2008. Zwei ältere Herren liegen sich auf dem Rasen der Münchner Arena weinend in den Armen, Bayerns Manager Uli Hoeneß (damals 56) und Trainer Ottmar Hitzfeld (59). Der Coach gibt seinen Abschied, nachdem er für eineinhalb Jahre eingesprun­gen ist. Er verabschie­det sich mit dem Gewinn des Doubles aus Meistersch­aft und Pokalsieg. Und als der Druck von ihm abfällt, rollen die Tränen über sein kantiges Gesicht. „Es waren Tränen des Glücks“, sagt er. Es sind vor allem Tränen der Erleichter­ung. Fast 20 Jahre hat Hitzfeld sich durch die Mühle Bundesliga gekämpft, er verlässt die Liga als einer ihrer größten Trainer. Seine Karriere klingt 2014 als Nationaltr­ainer der Schweiz aus. Am Samstag wird er 70 Jahre alt.

Er sieht entspannte­r aus als zu seiner Zeit an der Linie, als sich die nervliche Belastung in tiefen Falten rund um Augen und Mund ins Gesicht malen. Hitzfeld ist nie der Typ gewesen, der Anspannung rauslässt, der ein Ventil findet wie extroverti­erte Kollegen vom Schlag eines Jürgen Klopp. Er hat auch nie die Fähigkeit besessen, im Vertrauen auf die eigene Unbesiegba­rkeit Probleme zu ignorieren. In dieser Hinsicht sind ihm Amtsbrüder wie José Mourinho oder Joachim Löw voraus.

Hitzfeld dagegen schluckt herunter, was in anderen den Vulkan weckt. Das trägt ihm schon zu Dortmunder Zeiten diesen magensaure­n Zug um die Mundwinkel ein. Und es führt letzten Endes dazu, dass er seine Karriere 2004 wegen eines Burnouts unterbrech­en muss. Er sucht ärztliche Hilfe, weil er allein aus diesem grauen Matsch nicht mehr herauskomm­t. Der „Sport-Bild“schildert er, wie sich das Leben für ihn anfühlte, für einen Trainer, der zum Zeitpunkt der Erkrankung schon sechs deutsche Meistersch­aften und zwei Champions-League-Titel gewonnen hat, den also eigentlich nichts umwerfen sollte: „Man gewinnt und freut sich nicht. Man gewinnt und sagt: zum Glück nicht verloren. Man schläft schlecht, man hat Rückenschm­erzen. Ich hätte nicht gedacht, dass der Job so einen gewaltigen Einfluss hat.“

Sich dagegen zu panzern, hat Hitzfeld nicht gelernt. Er leidet mit, wenn er Spielern unangenehm­e Entscheidu­ngen präsentier­en muss. Er hält die Schläge der Öffentlich­keit aus. Spieler an den Pranger zu stellen, ist nicht sein Ding. Seine Fußballer verehren ihn dafür. „Er hat immer alles erklärt“, sagt Stefan Effenberg, „er ist zu mir gekommen, als er das Gefühl hatte, dass ich nicht mehr gesetzt bin.“Ottmar Hitzfeld

„Als Trainer muss man sich immer neu beweisen“

Ottmar Hitzfeld

ist ganz sicher nicht feige.

Er ist ein Diplomat, ein Meister der Moderation. Deshalb hält er in Dortmund eine Mannschaft ichbezogen­er Großverdie­ner bei Laune und gewinnt mit ihr die Champions League. Er erträgt, dass Julio Cesar den Urlaub überzieht. Er verzeiht Paulo Sousa bemerkensw­erte Anfälle von Divenhafti­gkeit. Und er macht aus dem Ehrgeiz des Matthias Sammer Energie für sein Team. Mit dem besessenen Sammer ist er nie auf einer Wellenläng­e, aber er begreift den Wert des Spielers und nimmt sich zurück.

Ärger macht er mit sich aus. Das ist anstrengen­d, und es führt dazu, dass er in Dortmund nach zwei Meistersch­aften und dem Sieg in der Champions League auf den Posten des Sportdirek­tors wechselt.

Das ist dann aber wieder zu viel Schreibtis­ch für den Trainer, der immer zwischen den Extremen „ich will es mir wieder beweisen“und „es tut mir eigentlich nicht gut“pendelt. Dass er die in Deutschlan­d größtmögli­che Herausford­erung annimmt, das Traineramt beim FC Bayern, passt in dieses Charakter- spiel. Seine Meistersch­aft in der Moderation wird auch hier die Grundlage großer Erfolge. Bundesliga-Titel räumt der Verein mit einer Selbstvers­tändlichke­it ab, wie er es erst wieder in den Jahren seit 2013 tut. Und auch die Krönung durch den Sieg in der Champions League gelingt 2001. Aber der Erfolg macht nie zufrieden, er fordert nur den nächsten Erfolg. „Dann wird es ja erst gefährlich“, sagt er der „SportBild“, „als Trainer muss man sich in jedem Spiel neu beweisen. Immer wieder neu. Gewinnen, das Gewonnene wiederhole­n.“Hitzfeld nennt es einen „Existenzka­mpf“.

Auch in München geht der an die Substanz. Er muss nämlich nicht nur 20 hochbezahl­te Egomanen in der Mannschaft pflegen, er muss auch aufpassen, zwischen den Mühlsteine­n der Mächtigen in der Chefetage nicht zerrieben zu werden.

Die Bayern werden von den Großen des deutschen Fußballs geführt, und die begnügen sich nicht mit Nebenrolle­n. Als die Mannschaft in der Champions-League-Gruppe bei Olympique Lyon mit 0:3 verliert, hält Präsident Franz Beckenbaue­r beim Bankett eine legendäre Rede. „Das war kein Fußball“, poltert der Kaiser, „das ist eine andere Sportart, die

wir spielen. Das ist Uwe-Seeler-Traditions­mannschaft, Altherren-Fußball.“Das gilt natürlich auch dem Trainer. Hitzfeld reagiert auf seine Art. Noch in der Nacht trommelt er seine Mannschaft zusammen und schwört sie auf seine Haltung ein. „KeinWiders­pruch, wenn der Präsident etwas sagt“, erklärt der Coach. So besiegt er die Krise, bevor sie eine wird. Drei Monate später sind die Bayern Champions-League-Sieger.

Und als Hitzfeld nach seiner Burnout-Pause dabei hilft, den FC Bayern 2007 aus einem Tal zu führen, muss er sich nach einer großflächi­gen Personal-Rotation in seiner Aufstellun­g eine Belehrung durch Vereinsvor­stand Karl-Heinz Rummenigge gefallen lassen. „Fußball ist keine Mathematik“, sagt der Funktionär. Der studierte Mathelehre­r Hitzfeld schluckt. Es trifft ihn so, dass er sich gegen sein Naturell öffentlich wehrt. „Ich hoffe“, erklärt er, „dass ich das Fußball-Einmaleins kann.“Das bestreitet wohl nicht mal Rummenigge, der als ehemaliger Banklehrli­ng ein ausgeprägt­es Verhältnis zu Zahlen haben sollte.

Hitzfelds Beziehung zum Rechnen hat nur durch einen Zufall nicht in den Lehrerberu­f geführt. Nach der Karriere als Spieler will er Anfang der 1980er mit den Fächern Mathematik und Sport an die Realschule. Weil sein Examen aber zu lange zurücklieg­t, verlangt das Schulamt eine zusätzlich­e Prüfung. Hitzfeld frisst den Ärger darüber ausnahmswe­ise nicht herunter. Er beschließt, profession­eller Fußballtra­iner zu werden. Gerechnet hat sich das. Hitzfeld ist ein reicher Mann geworden. Er hätte noch reicher werden können. 2015 bietet der chinesisch­e Spitzenklu­b Guangzhou Evergrande dem Ruheständl­er 25 Millionen Euro für anderthalb Jahre. „Unmoralisc­h“, sagt Hitzfeld und lehnt ab. Prinzipien sind im wichtiger. Und die Gesundheit.

 ?? FOTO: DPA ?? Auf dem Gipfel: Ottmar Hitzfeld mit Pickelhaub­e und Zigarre bei den Feierlichk­eiten zum Champions-League-Sieg mit Borussia Dortmund.
FOTO: DPA Auf dem Gipfel: Ottmar Hitzfeld mit Pickelhaub­e und Zigarre bei den Feierlichk­eiten zum Champions-League-Sieg mit Borussia Dortmund.

Newspapers in German

Newspapers from Germany