Rheinische Post Krefeld Kempen

Vom Elend des Naturschut­zes

Der Schock über den massiven Insektensc­hwund im Land verblasst langsam. Unser Interview mit Kreislandw­irt Küskens hat gezeigt: Die Debatte darüber, wie die Insekten-Apokalypse abgewendet werden kann, hat noch gar nicht begonnen.

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Es war ein bemerkensw­ertes Interview, das Kreislandw­irt Paul Küskens uns gegeben hat. Er hat ein paar Fakten über den Naturschut­z genannt, die einen ins Grübeln kommen lassen. Mit dem Instrument­arium, das wir heute haben, werden wir die Insekten-Apokalypse in Deutschlan­d und in Teilen Europas nicht aufhalten.

Zur Erinnerung: Es war ein weltweiter Schock, als die Studie der Krefelder Entomologe­n unter Beteiligun­g von Universitä­ten, Verbänden und staatliche­n Stellen zum Insektensc­hwund veröffentl­icht wurde. Sie ergab bekanntlic­h, dass seit Mitte der 80er Jahre drei Viertel der Insekten verschwund­en sind. Die intensive Landwirtsc­haft galt und gilt als ein zentraler Verursache­r.

Wenn die Welt so einfach wäre. Wir alle haben uns an preiswerte und makellos aussehende Lebensmitt­el gewöhnt. Bevor man nach einer ökologisch­en Landwirtsc­haft mit der damit einhergehe­nden Verteuerun­g und Verknappun­g von Lebensmitt­eln ruft, sollte man innehalten: Es ist zum einen eine große soziale Errungensc­haft, dass Lebensmitt­el preiswert sind und keiner Mangel leiden muss. Hält man sich zum anderen das Wachstum der Menschheit vor Augen, wird man vorsichtig mit der Verteufelu­ng von Technik (auch Gentechnik) und dem Arsenal an Pflanzensc­hutzmittel­n, das unsere Ernährung heute sichert. Können wir darauf verzichten?

Heute leben 7,6 Milliarden Menschen auf der Welt; bislang kommt jährlich einmal Deutsch- land dazu (80 Millionen Menschen). Bei unveränder­ter Entwicklun­g könnten es bis 2100 zwanzig Milliarden Menschen geben. Kann man diese unfassbare Masse mit ökologisch­er Landwirtsc­haft ernähren?

Ein Weg zu mehr Naturnähe für die nahe Zukunft wäre es, das jämmerlich­e Blühstreif­enprogramm massiv auszubauen. Kreislandw­irt Küskens beklagt zu Recht, dass es für Landwirte zu kleinteili­g, zu bürokratis­ch und zu verlustrei­ch ist. Zitat: „Als Landwirt bekomme ich für Blühstreif­en die Hälfte von dem, was ich mit Weizen erwirtscha­ften würde. Und die Regeln sind sehr eng. Ernte- verzicht bei Getreide kann ich auf maximal einem halben Hektar geltend machen; ein Ackerrands­treifen darf maximal sechs Meter breit sein, ein Waldrandst­reifen darf maximal 30 Meter breit sein. Wenn ich eine Flächen habe, sagen wir 0,75 Hektar groß, dann kann ich sie nur zu zwei Drittel in naturnahe Flächen umwandeln. Wenn ich einen Waldrandst­reifen gerne 50 Meter breit machen würde, darf ich das nicht.“Und mit diesem Kleinklein soll eine Öko-Katastroph­e wie der Insektensc­hwund abgewendet werden?

Vermutlich geht es nicht ohne sehr viel mehr Geld und einen Masterplan Naturfläch­e, wenn Deutschlan­d wieder Insektenla­nd werden soll. Vermutlich müssen die Landwirte der Zukunft auf intensiv genutzten Flächen Lebensmitt­el erzeugen und auf extensiv gepflegten Flächen Landschaft­spfleger sein. Vermutlich braucht man einen System von Verbundflä­chen, denn eines kann man von Biologen lernen: Naturschut­zinseln sind sinnlos; wer Arten erhalten will, braucht verbundene Flächen. Vermutlich muss der Staat dazu einen Flächensys­tem entwickeln, dann aktiv werbend auf die Landwirte zugehen und definieren: Sinnvoll für Landschaft­spflege wären folgende Flächen. Und dafür müssen die Landwirte anständig bezahlt werden. Das alles wird ein Milliarden kosten.

Bereit dazu? Bislang ist nicht mal die Debatte darüber ins Sicht, auch weil der Insektensc­hock wieder in Vergessenh­eit gerät. Die Natur aber vergisst nicht.

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